Der Traum von einer Finanztransaktionssteuer, welche scheinbar mühelos alle Probleme löst, ist tatsächlich nichts anderes als — ein Traum. Wer sich mit den Zahlen befasst, erkennt rasch: Die Idee geht nicht auf.
Die Eier legende Wollmilchsau unter den Steuern ist eine Steuer, die kaum jemand spürt — und die trotzdem Milliarden einbringt.
An diese Quadratur des Kreises glaubt offenbar auch der Nationalrat. Anders ist es nicht zu erklären, dass er in der soeben beendeten Sondersession vom April 2024 mit 97:87 Stimmen beschlossen hat, die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen in die laufende Legislaturplanung aufzunehmen.
Oder im Wortlaut der Meldung der Nachrichtenagentur SDA: «Konkret soll der Bundesrat bis 2027 eine Botschaft zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer zur Finanzierung der AHV verabschieden.» Man meint es ganz offensichtlich ernst damit.
Elegant — oder gefährlich
Eine Steuer, die kaum jemand spürt, ist je nachdem eine sehr elegante Lösung — oder sehr gefährlich. Eine hohe Inflation erlaubt zum Beispiel einem stark verschuldeten Staat, seine reale Schuldenlast elegant abzubauen — ohne zu diesem Zweck eine einzige neue Steuer einführen zu müssen.
Wer denkt bei Inflation denn schon an eine Steuer? Wie eine Steuer wirkt sie hingegen auf die Besitzer staatlicher Schuldverschreibungen, denn sie vermindert den Wert ihrer Wertpapiere. Im Extremfall einer Hyperinflation wirkt sie gar wie eine Steuer von hundert Prozent: Die Sparer werden komplett enteignet.
Zu was eine aus dem Ruder gelaufene Inflation in der Realität führen kann, zeigt die Geschichte Europas nur zu gut: Die deutsche Hyperinflation der Zwischenkriegszeit trug ihren Teil dazu bei, dass es schliesslich zur grössten Katastrophe des Kontinents im 20. Jahrhundert kam.
Keine neue Erfindung
Tatsächlich ist eine Steuer auf Finanztransaktionen keine neue Erfindung, sondern bereits heute in vielen Ländern Realität. In Grossbritannien wird eine Stempelsteuer von 0,5 Prozent beim Kauf von Aktien erhoben, in Frankreich eine solche von 0,3 Prozent und in Italien von 0,1 Prozent.
Die Schweiz kennt gar eine Steuer für den Kauf und Verkauf von Aktien. Dabei werden bei inländischen Aktien 0,15 Prozent und bei an schweizerischen Börsen gehandelten ausländischen Aktien gar 0,3 Prozent fällig. Diese unverfänglich als «Umsatzabgabe» bezeichnete Steuer bringt dem Bund jährlich 1,5 Milliarden Franken ein.
Doch dass man bei privaten oder institutionellen Aktienbesitzern etwas vom Vermögen abknabbern will, darum geht es bei der hier anvisierten Finanztransaktionssteuer nicht. Vielmehr soll mittels einer Mikrosteuer von 0,01 Prozent auf alle Finanztransaktionen — Devisenhandel, Swiss Interbank Clearning (SIC) usw. — ein Ertrag von fünf Milliarden Franken oder mehr generiert werden.
Ähnliche Grössenordnung wie die Landwirtschaft
Die Befürworter einer Finanztransaktionssteuer sehen die riesigen Dimensionen der Finanzflüsse und denken sich: Davon kann man doch etwas abzweigen. Vergessen darob aber gänzlich: Irgendjemand — Privatperson oder Unternehmen — muss diese Steuer letztlich bezahlen. Eine Steuer bezahlt sich schliesslich nicht von alleine.
Fünf Milliarden Franken entsprechen einem Anteil von 0,6 Prozent am BIP. Das ist ähnlich viel wie die Landwirtschaft respektive das Gastgewerbe zum BIP beitragen — und mehr als der Anteil der Hotellerie am BIP. Also beileibe keine Kleinigkeit, die man einfach so, mir nichts, dir nichts, aus der Portokasse bezahlt.
Die Banken haben einen Anteil von etwas mehr als fünf Prozent am BIP. Schaut man sich die Zahlen genauer an, so sieht am, dass das klassische Zinsgeschäft und das Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft je rund 35 Prozent zum Gesamtertrag von rund 70 Milliarden Franken der Banken im Inland beitragen.
Relativ unbedeutendes Handelsgeschäft
Das Handelsgeschäft, also der Geschäftsbereich, in dem die Banken noch am ehesten «spekulieren», generiert seit dem Ende der Finanzkrise 2008 im Durchschnitt einen Ertrag von rund 8 Milliarden Franken pro Jahr.
Von diesem Gesamtertrag von rund 70 Milliarden Franken entfallen etwa 60 Prozent auf den Personal- und Sachaufwand. Der erzielte Bruttogewinn belief sich in den Jahren 2021 und 2022 auf 28,3 respektive 26,8 Milliarden Franken. Der Reingewinn (Periodenerfolg) nach Zinsen, Steuern, Abschreibungen etc. fällt dabei nochmals um einen Faktor 3 geringer aus als der Bruttogewinn.
Wendet man diese Faktoren analog auf das Handelsgeschäft an, dann resultiert dort gerade noch ein Bruttogewinn von 3 Milliarden Franken bzw. ein Reingewinn von rund einer Milliarde Franken.
Kurzum: Beim Handelsgeschäft der Banken lassen sich keine fünf Milliarden Franken holen. Nicht einmal der Reingewinn von einer oder bestenfalls zwei Milliarden Franken liesse sich wegbesteuern, denn keine Bank wäre willens, Kapital in ein Geschäft ohne angemessene Verzinsung des investierten Kapitals zu investieren.
Haushalte und Realwirtschaft zahlen
Lässt sich das Geld nicht bei den Finanzakteuren holen, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: (1) es lässt lässt sich überhaupt nirgendwo holen — oder (2) jemand anders zahlt.
Das gilt auch im Fall einer Mikrosteuer auf Finanztransaktionen: Kommen dadurch tatsächlich fünf Milliarden Franken zusammen, dann sind es letztlich die Unternehmen und Haushalte, welche dafür aufkommen.
Damit unterscheidet sich eine solche Finanztransaktionssteuer in ihrem Effekt kaum mehr von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer oder einer Erhöhung der Lohnbeiträge für die Finanzierung der AHV.
Denn ob man eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um ein Prozent wirklich spürt, mag man ebenfalls in Frage stellen: Bei einem Wocheneinkauf von hundert Franken würde es zur Kompensation einer solchen Mehrwertsteuererhöhung ausreichen, anstatt zwei Becher Markenjoghurt zu kaufen, zweimal zum Händlerprodukt zu greifen.
«Kleinvieh macht Mist»
Im Vorfeld der Einführung der 13. AHV-Rente rechneten selbst die Gewerkschaften vor, wie wenig die arbeitende Bevölkerung die Finanzierung einer 13. AHV-Rente mittels Lohnprozenten angeblich kosten würde. Ein Elektriker mit einem Monatseinkommen von 6000 Franken würde gerade einmal läppische 24 Franken mehr pro Monat bezahlen müssen, so die Gewerkschaften.
Immerhin: In einem Jahr machen 24 Franken pro Monat auch fast 300 Franken (oder fast ebenso viel wie die Radio- und Fernsehgebühr) aus. Und die Gewerkschaften haben dabei erst noch den Arbeitgeberbeitrag aussen vor gelassen. Berücksichtigt man auch diesen, ist man schon bei (fast) 600 Franken pro Jahr.
«Auch Kleinvieh macht Mist» sagt der Volksmund. Doch damit es dadurch ordentlich Mist gibt, braucht es auch die entsprechende Menge Kleinvieh. Ein paar Boni-raffende Banker, denen man den Gewinn wegbesteuert, reichen dazu nicht. Will man wirklich fünf Milliarden Franken generieren, muss in erster Linie das gemeine Volk bluten.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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