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Michael Lindenmann

Europa und der Islam

Wir müssen ein Bekenntnis zu den Errungenschaften der Aufklärung einfordern!

Michael Lindenmann am 30. Oktober 2020

Die jüngst verübten islamistisch motivierten Attentate auf einen Geschichtslehrer und Kirchgängerinnen und Kirchgänger in Frankreich reihen sich ein in eine mittlerweile lange Kette von Angriffen auf die westliche Zivilisation. Wird eine Attacke verübt, wird sofort gerne Samuel P. Huntington bemüht: Kulturkampf lautet das Stichwort auf beiden Seiten! Wie lässt sich das Problem in den Griff bekommen und ein Miteinander auf Augenhöhe schaffen?

Rechtsstaat achten

In der Schweiz bildet die Bundesverfassung (BV) die Grundlage für das Zusammenleben von Frauen und Männern unterschiedlicher politischer und religiöser Überzeugungen, sexueller Orientierungen sowie ethnischer Herkunft. Art. 8 BV gewährleistet Rechtsgleichheit aller Menschen vor dem Gesetz unabhängig vorgenannter Unterschiede, Art. 15 BV die Glaubens- und Gewissensfreiheit und Art. 16 BV die Meinungs- und Informationsfreiheit. Entsprechend ist und muss es auch erlaubt sein, Karikaturen von Religionsstifterinnen und -stiftern wie auch ihrer Vertreterinnen und Vertreter zu veröffentlichen. Auch ich als Mitglied der römisch-katholischen Kirche akzeptiere dies, obschon mir Papst-Karikaturen bisweilen nicht gefallen. Dies muss auch von allen hier wohnhaften Musliminnen und Muslimen akzeptiert und nötigenfalls eingefordert werden.

Abendländische Kultur anerkennen

Mit dem Sieg Konstantin des Grossen in der Schlacht an der Milvischen Brücke 312 n. Chr. begann gewissermassen die Erfolgsgeschichte des Christentums in Europa. Kaiser Theodosius machte es alsdann gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. faktisch zur Staatsreligion des Römischen Reiches. In seiner nahezu 2000-jährigen Geschichte hat das Christentum im Guten wie im Schlechten massgeblichen Einfluss auf Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Kultur in Europa ausgeübt. Europa in seiner heutigen Form ist ohne das Christentum schlichtweg undenkbar. Zumal es doch gerade die römisch-katholische Kirche war, die auf Grundlage des römischen Rechts die Basis für ein auf Vernunft basierendes, abendländisches Rechtssystem schuf. Wenn man so will, bereitete sie damit den Boden für die Aufklärung und das moderne Menschenrechtsdenken. Hieran lässt sich nicht rütteln und es gilt das christliche Erbe Europas anzuerkennen.

Eigenverantwortung wahrnehmen

In der Schweiz können die Bürgerinnen und Bürger den Staat und seine Institutionen immer wieder herausfordern, indem sie Volksinitiativen lancieren, Referenden ergreifen, die Regierung durch das Parlament «kontrollieren» lassen und über Interessengruppen im Rahmen von Vernehmlassungen am Gesetzgebungsprozess mitwirken. Dies setzt allerdings einen hohen Grad an Eigenverantwortung und die Bereitschaft voraus, sich an die «Spielregeln» einer demokratischen Gesellschaft zu halten. Im Zusammenhang mit muslimischen Glaubensgemeinschaften wäre es wünschenswert, wenn sie rechtlich den gleichen Status wie andere, vom Staat offiziell anerkannte Religionsgemeinschaften erhalten würden. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn sie im Sinne der Eigenverantwortung aus sich selbst heraus die hierfür notwendigen Voraussetzungen schaffen.

Demokratische Debattenkultur leben

Eine Demokratie lebt von unterschiedlichen Meinungen, ja ist ohne teils mit harten Bandagen geführte Diskussionen nicht denkbar. «Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.», soll Voltaire, Philosoph und Schriftsteller, gesagt haben. Der demokratische Meinungsbildungsprozess ist ohne diese aufklärerische Grundhaltung schlichtweg undenkbar. Profitiert dieser doch gerade von möglichst vielen, unterschiedlichen Meinungen. In diesem Zusammenhang sind aber nicht nur die Musliminnen und Muslime, sondern mittlerweile die gesamte Gesellschaft gefordert. Ist doch vielerorts ein Zerfall der demokratischen Debattenkultur zu erkennen. Setzen wir uns also an einen Tisch, diskutieren das Für und Wider aus und lassen allenfalls am Schluss die Urne entscheiden. So kann ein friedliches Miteinander, nicht nur der Religionen, gelingen!

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Michael Lindenmann

Michael Lindenmann (*1989) studierte Geschichte und Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft an den Universitäten Zürich und Basel. Nach Stationen bei Swisscom und einer Zürcher PR-Agentur zog es ihn wieder in die Ostschweiz, um für eine St.Galler PR-Agentur zur arbeiten. Nach sechs Jahren wechselte er als Head of Communications and Community Management zur St.Galler Agentur am Flughafen. Er lebt in der Äbtestadt Wil.

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