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Andrea Büsser

Im Schutz der Anonymität

Als Gemeinderätin und Politikerin erlebe ich täglich, wie Menschen miteinander interagieren – sowohl im realen Leben als auch online. Dabei habe ich festgestellt, dass die Anonymität und Distanz, die soziale Medien bieten, unser Verhalten und unseren Mut erheblich beeinflussen können.

Andrea Büsser am 14. August 2024

Soziale Medien haben zweifelsohne die Art und Weise, wie wir kommunizieren und interagieren, revolutioniert. Doch während sie uns auf der einen Seite ermöglichen, über Grenzen und Zeitzonen hinweg zu kommunizieren, scheinen sie auf der anderen Seite auch eine Kultur der Feigheit zu fördern.

Im Schutz der Anonymität oder auch nur der physischen Distanz fällt es vielen Menschen leichter, online harsche Kritik zu üben oder sich in hitzige Diskussionen zu stürzen. Die digitale Welt wird oft zu einer Arena, in der Beschwerden und Kritik ohne direkte persönliche Konfrontation ausgetauscht werden. Worte, die man möglicherweise nie ins Gesicht einer Person sagen würde, tippt man ohne Zögern in die Tasten des Smartphones oder Computers.

Verglichen mit dieser oft rücksichtslosen Offenheit in den sozialen Medien, beobachte ich im realen Leben eine zunehmende Zurückhaltung. Es scheint, als ob die direkte, persönliche Konfrontation zunehmend vermieden wird. In Versammlungen oder bei öffentlichen Anlässen sind es immer weniger Menschen, die sich trauen, aufzustehen und unbequeme, kritische Fragen zu stellen. Die Fähigkeit, konstruktive Kritik direkt zu äussern, scheint abzunehmen.

Ein besonders alarmierendes Phänomen ist die Diskrepanz zwischen der Bereitschaft, online Unterstützung zu zeigen, und der tatsächlichen Hilfsbereitschaft im echten Leben. Auf Social Media ist es ein Leichtes, Unterstützung zu signalisieren – ein Klick auf „Gefällt mir“ oder das Teilen eines Beitrags. Doch wenn es darum geht, in realen Situationen Hilfe zu leisten, zögern viele. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die digitale Solidarität oft oberflächlich bleibt und nicht in die reale Welt übertragen wird.

Diese Beobachtung stimmt mich nachdenklich, denn sie deutet darauf hin, dass die sozialen Medien zwar einerseits eine Plattform für den Austausch bieten, andererseits jedoch echte, mutige Zivilcourage untergraben könnten. Die Frage, die sich stellt, ist: Verlernen wir durch die sozialen Medien, wie man im realen Leben mutig und konstruktiv auftritt? Und noch wichtiger: Wie können wir sicherstellen, dass die Technologien, die uns verbinden sollen, uns nicht stattdessen voneinander isolieren und unsere Fähigkeit zur direkten, ehrlichen Kommunikation verloren geht?

Als Gemeinschaft sollten wir Wege finden, die Vorteile der sozialen Medien zu nutzen, ohne dabei die für das soziale Zusammenleben so wichtigen Tugenden wie Mut, Direktheit und Ehrlichkeit zu opfern. Vielleicht beginnt dies mit einem bewussteren Umgang mit der Art und Weise, wie wir online und offline kommunizieren. Letztlich liegt es an uns allen, die Balance zu finden und Technologie so einzusetzen, dass sie unsere menschlichen Qualitäten fördert, statt sie zu schwächen.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Andrea Büsser

Andrea Büsser (*1988) aus Sargans ist Finanzberaterin, Paralegal Senior bei Raiffeisen Schweiz im Bereich Legal & Compliance. Sie ist ausserdem Präsidentin von «Die Mitte Frauen» des Kantons St.Gallen.

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