Mir wurde eine schwarze Fantasie in meinen Banker-Büchern vorgeworfen. Aber das hier hätte ich nicht zu erfinden gewagt. Zu realitätsfern. Aber ganz nah an der Credit Suisse.
Zwei Autos fahren dicht hintereinander durch das Stadtzentrum von Zürich. Das hintere Auto bedrängt das voranfahrende. Vor dem Haus Metropol, direkt hinter dem Sitz der Schweizerischen Nationalbank, bremst der erste Fahrer und steigt aus.
Er zückt sein Smartphone und filmt seine Verfolger, die ebenfalls ausgestiegen sind. Sie laufen auf ihn zu und versuchen, ihm das Handy wegzunehmen. Es entsteht ein Gerangel mit Geschrei, Passanten werden aufmerksam, die drei Verfolger, unter ihnen ein tätowierter Schlägertyp, hasten zu ihrem Auto zurück und fahren davon. Wenig später werden sie von der Polizei geschnappt und kurz in Untersuchungshaft gesteckt.
Das Drehbuch für den neuen Zürcher «Tatort»? Eine Szene in einem grottenschlechten Krimi, der in Zürich spielt? Könnte man meinen. Aber die Realität übertrifft wie so häufig jede Fantasie.
Denn diese Verfolgung und das Gerangel fanden tatsächlich statt. Der Bedrängte heisst Iqbal Khan. Das ist nicht irgendwer, das ist ein sogenannter Starbanker, ein Regenmacher. Das ist, Pardon, war der Chef Private Banking der Credit Suisse. Bis am 1. Juli dieses Jahres. Dann der urplötzliche Abgang, und vor wenigen Tagen noch eine schöne Abschiedsfeier, an der auch der CEO der CS, Tidjane Thiam, dabei war.
Am 1. Oktober soll Khan seinen neuen Job antreten. Chef der Privaten Vermögensverwaltung bei – der UBS. Hoppla. Bislang hat es nur Oswald Grübel geschafft, bei beiden Banken CEO zu sein. Aber das waren andere Zeiten, und Grübel hatte sich schon lange von der CS verabschiedet, als er in höchster Not von der UBS geholt wurde. In dieser Ebene von Bankern ist es völlig ungewöhnlich, dass einer nach nur drei Monaten zum direkten Konkurrenten wechselt.
Normalerweise stehen dem eine Kündigungsfrist von einem halben, vielleicht auch einem Jahr entgegen, und ein Konkurrenzverbot, das sogar mehrere Jahre umfassen kann. Nicht so bei Khan. Abgang, kurze Pause, dann die Ankündigung, dass er einfach seinen Job weitermacht, nur bei der direkten Konkurrenz. Was ist geschehen?
Niemand weiss nichts Genaues. Haltlose, aber plausible Vermutung: Thiam und Khan wussten gegenseitig von irgendwas, was der andere nun wirklich nicht in der Öffentlichkeit sehen möchte. Also einigte man sich auf einen Deal; Khan darf sofort gehen und nach nur drei Monaten bei der UBS anheuern. Aber dann muss irgendwas schief gegangen sein.
Wenn man sich an einem ehemaligen Mitarbeiter rächen will, gibt es dafür zwei Möglichkeiten. Man geht seine Spesenrechnungen mit der Lupe durch; findet man was, ist’s Betrug, der Banker vorbestraft, somit kommt er nicht mehr für eine Führungsposition in Frage. Oder aber, man ertappt ihn dabei, wie er ehemalige Kunden oder Mitarbeiter zur neuen Bank lotsen will. Auch das ist strafbar.
In solchen Fällen kennen normalerweise auch Schweizer Banken nichts. Überwachung der E-Mail, des Telefons, Lauschangriff, schliesslich ist Khan noch bis Ende Monat bei der CS angestellt. Und natürlich Beschattung. Allerdings nicht unbedingt so stümperhaft wie hier. Aber das könnte ja irgendjemand beauftragt haben? Ja, das könnte sein. Ist aber nicht, die CS hat bereits eingeräumt, dass sie mit der Beschattung zu tun habe, allerdings sei das eine «Privatangelegenheit», mehr sage man nicht.
Privatangelegenheit? Das ist mindestens so lachhaft wie die übliche Nummer, dass untergeordnete Mitarbeiter ohne Wissen der Vorgesetzten sämtliche Kontrollen überfahren hätten, und die Geschäftsleitung sowie der Verwaltungsrat waren entsetzt, als sie davon erfuhren.
Das geht hier aber nicht. Vielleicht konnte Thiam so etwas in der Elfenbeinküste oder in London durchziehen, aber in der Schweiz ist es unerhört, wenn die eigene Bank einen abtrünnigen hohen Mitarbeiter beschatten, bedrängen lässt. Dabei spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob der CEO Thiam davon wusste oder nicht. Wusste er, muss er gehen. Wusste er nicht, muss er auch gehen. In beiden Fällen hat er seinen Laden nicht im Griff.
Das gilt natürlich auch für den Verwaltungsratspräsidenten Urs Rohner. Der freute sich bis Ende letzter Woche schon auf das Zürcher Filmfestival, das von seiner Gattin ins Leben gerufen worden war. Hauptsponsor, Überraschung, die Credit Suisse. Nun hat Rohner aber ganz andere Probleme. Alle Schandtaten der Credit Suisse, Milliardenbusse, Mosambik, im Keller dümpelnder Aktienkurs, ein unfähiger CEO, der von Rohner ausgelesen worden war, das alles ist von Teflon-Rohner abgeperlt. Er sah keinen Flecken auf seiner weissen Weste, niemals.
Nun muss Rohner in den Nahkampf gehen. Nach einem solchem Vorfall muss er durchgreifen, Remedur schaffen. Nicht, indem ein subalterner Mitarbeiter geopfert wird. Sondern unter Beachtung des Sprichworts, dass der Fisch immer vom Kopf stinkt. Aber wenn Thiam gehen muss, dann wackelt auch Rohners Stuhl bedenklich. Thiam hingegen weiss, dass sein nächster Karriereschritt, Präsident des Verwaltungsrats, nur über die Entlassung Rohners geht.
So bleibt zurzeit, dass die CS unglaubliche Sitten in Zürich eingeführt hat. Es bleibt, dass sich niemand so bescheuert anstellt wie ein Banker. Denn wer sonst würde solche Flaschen mit einer Beschattung beauftragen. Und es bleibt, dass die CS nicht aus den Negativschlagzeilen kommt, solange Thiam und seine Seilschaft, Rohner und seine Seilschaft, noch an Bord sind. Ob es nachher besser wird, weiss man nicht. Schlimmer kann es aber nicht werden.
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