Im September werden das Stadtparlament und der Stadtrat in der Äbtestadt neu gewählt. Die Vorzeichen deuten bereits jetzt auf einen intensiven Wahlkampf hin.
Derzeit geht die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Wiler Stadtparlaments Vorwürfen gegen die Vorsteherin des Departements Bau, Umwelt und Verkehr (BUV) nach. Die Partei Grüne Prowil unterstellt Stadträtin Ursula Egli (SVP), sie habe die Leiterin der Stadtplanung gemobbt und diese damit zur Kündigung gedrängt. Je nach Ergebnis der Untersuchung könnte die erneute Kandidatur von Egli mit einem Image-Schaden behaftet sein.
Fragliche Ablenkungsmanöver
Aus SVP-Kreis heisst es, der Vorwurf gegen ihre Stadträtin sei vor allem lanciert worden, um von den Vorwürfen gegen Stadtpräsident Hans Mäder (Mitte) abzulenken. Dieser hatte 2021 bei der Lancierung einer App, die zur Steigerung der Attraktivität der Stadt beitragen sollte, seine finanziellen Kompetenzen massiv überschritten und das Stadtparlament umgangen. Ein GPK-Bericht sowie ein juristisches Gutachtenbestätigten bestätigten die Vorwürfe.
Wiederwahl mit reduzierten Chancen
Der 66-jährige Mäder hat seine erneute Kandidatur bekannt gegeben. Die langwierige Affäre um die App und die zögerliche Entschuldigung hat den amtierenden Stadtpräsidenten einiges an Vertrauen in der Bevölkerung gekostet. In seinem letzten Wahlkampf verwendete er den Slogan «Vertrauet Sie mir – es chunnt guet.» Ein Glanzresultat darf er bei seiner erneuten Wahl kaum erwarten.
Neuer Kandidat der SP
Die Wiederwahl der Stadträte Jigme Shitsetsang (Departement Bildung und Sport; FDP) sowie Andreas Breitenmoser (Departement Versorgung und Energie; anfänglich parteilos, jetzt Mitte) ist kaum gefährdet. Beide wurden bisher mit keinen gravierenden Vorwürfen konfrontiert.
Für den nicht mehr antretenden Vize-Stadtpräsidenten Dario Sulzer (SP) steigt sein Parteikollege Manuel Nick ins Rennen. Dem Maschinenbauingenieur werden gute Wahlchancen nachgesagt.
Kandidatur mit Hypothek
Die Grünen Prowil wollen ihren bei den letzten Wahlen verlorenen Sitz im Stadtrat mit dem Tierarzt und Juristen Sebastian Koller zurückerobern. Seine jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen um den Vertrag der beliebten Mädchensekundarschule St. Katharina in Wil dürften ihn etliche Stimmen kosten. In weiten Teilen der Bevölkerung ist sein hartnäckiger Kampf schwer nachvollziehbar.
Rechnung offen
Erfahrungsgemäss werden die Grünen Prowil einen erbitterten Wahlkampf führen. Die Nicht-Wiederwahl ihres Stadtrates Daniel Stutz (ehemaliger Vorsteher BUV) scheint nach vier Jahren kaum vollständig verdaut. Deshalb dürften sich mit Kritik, insbesondere an Ursula Egli, nicht sparen.
Mit der intensiven Bearbeitung der Themen Sicherheit und Finanzen kann sich die Wiler SVP weiter als politische Schutzmacht der Interessen vieler Bürgerinnen und Bürger profilieren. Damit wird sie zu erwartende Kritik an ihrer Stadträtin Ursula Egli abfedern. Vor geraumer Zeit hat kündigt die SVP an, einen zweiten Sitz im Stadtrat anzustreben. Mit einer zweiten Kandidatur könnte sie zusätzlich positive Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Praxistest steht aus
Am 14. April 2024 erreichte die Wiler SVP in der durch ein Ratsreferendum ausgelöste Abstimmung eine Steuersenkung von 118 Prozent auf 115 Prozent. Dabei argumentierte sie mit der unterstellten Ausgabefreudigkeit des Stadtrates. Dieser würde auch Partikularinteressen von Minderheiten finanziell unterstützen. Allerdings: Überzeugende Antworten, wie sie einen kompetenteren Umgang mit dem Steuergeld pflegen will, hat die SVP bisher noch kaum geliefert.
Auch von der FDP wird gemunkelt, sie trete mit einer zweiten Kandidatin oder einem zweiten Kandidaten zur Stadtratswahl an. Bis Ende Juni haben die Parteien Zeit, ihre Wahlvorschläge zu unterbreiten.
Städtisches Dorf
Die Wahlen in Wil sind ein Abbild des Spannungsfelds, in der die drittgrösste Stadt im Kanton St. Gallen mit 24 541 Einwohnern steht. Sie sei eine kleine Grossstadt oder ein grosses Dorf, wird ihr nachgesagt.
Mit über dreihunderten Vereinen ist sie eine überschaubare Gemeinde, wo viele sich kennen oder gar verwandt sind. In seinen Randquartieren mutet Wil nahezu dörflich an. Beispiele dafür sind Rossrüti und Broschhofen. Sie sind mit dem Zusammenschluss von Wil und Bronschhofen im Jahr 2013 zur Stadt gestossen sind.
Das gesellschaftliche Leben wird von der Pflege historischer Traditionen, wie etwa dem Laternenumzug zu Silvester, sowie von kulturellen Grossanlässen wie dem Musikfestival Rock am Weier geprägt.
Wil war lange eine wichtige Markt- und Einkaufsstadt für die Region, Onlinehandel und Einkaufszentren in den umliegenden Gemeinden haben das Kundenaufkommen in den letzten Jahren in Wil reduziert.
Veränderungen bei den Religionen
Im Weiteren ist die Äbtestadt mit den Herausforderungen einer urbanen Gesellschaft konfrontiert: Über dreissig Prozent Migranten aus unterschiedlichsten Regionen leben in der Stadt. Dies lässt sich an den multiethnischen Passanten sowie am Gastronomie-Angebot erkennen: Viele ehemalige Quartierbeizen sind mittlerweile durch Döner-Shops und Thai-Restaurants abgelöst worden.
In einigen Schulklassen ist die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens. Drei Moscheen werden auf dem Stadtgebiet regelmässig frequentiert. Andererseits hat die einst dominierende katholische Kirche in den letzten Jahren an gesellschaftlichem Einfluss verloren.
Auf die sehr unterschiedlichen Herausforderungen einer zunehmend heterogenen Gesellschaft muss die Politik konsensfähige Lösungen entwickeln – keine leichte Aufgabe für die Wiler Parteien.
(Bilder: Adrian Zeller)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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