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Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

Er wird als einflussreichste Person im Bundeshaus bezeichnet. Er ist der Mann, der die Interessen der Landwirtschaft emotional und hartnäckig vertritt. Markus Ritter, Mitte-Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Bauernverbands, über eine Branche, die wirtschaftlich ge­sehen unwichtig ist.

Marcel Baumgartner am 15. Juni 2024

Markus Ritter, wie ist der aktuelle Zustand der Schweizer Landwirtschaft?

Sie ist gefordert. Die Gemütslage ist hierzulande zwar eine andere als in Deutschland oder Frankreich. Aber auch hier herrscht das Gefühl, dass die Kosten und die Administra­tion deutlich gestiegen sind. Handkehrum ging Ertragskraft verloren. Darauf darf man auch in der Schweiz aufmerksam machen. Wir tun es hier aber auf eine sympathischere und friedlichere Art und Weise als im Ausland.

Sie sprechen von einem Gefühl? Was aber sind die Fakten?

Es ist von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich. Viele sind in einer finanziell schwierigen Lage. Die Kosten sind gestiegen. Energie kostet mehr, Maschinen und Bauten ebenso. Die ganze Branche hat 300 bis 400 Millionen Franken Mehrkosten zu tragen, die sie nicht über höhere Produktpreise abdecken kann. Das drückt das Einkommen. Es sind also durchaus Fakten.

Sie haben das Ausland angesprochen. Die deutschen Bauern fühlen sich von der Politik ignoriert. In der Schweiz ist die Agrarlobby sehr stark …

Der von Ihnen angesprochene Unterschied besteht effektiv. Die Schweizer Landwirtschaft ist gut eingebunden in die Gesellschaft, in die Märkte und auch in das politische System. Wir haben heute eine Landesregierung, die uns ernst nimmt, mit der wir einen regen Austausch pflegen. Das ist anders als noch vor zehn Jahren. Diese Integration in die Politik ist mit ein Grund, weshalb wir als Verband selber keine Kundgebungen organisiert haben.

Was mich überrascht hat, ist eine Statistik. Gemäss dieser sind die Bauern wirtschaftlich gesehen eigentlich eher unwichtig. Und das, obwohl es in der Schweiz rund 50 000 registrierte Landwirtschaftsbetriebe gibt. Wie muss man das werten?

Sie sprechen das BIP an, zu dem die Landwirtschaft gerade einmal 0,6 Prozent beisteuert. Die wirtschaftliche Bedeutung zeigt diese Zahl aber nur zu einem kleinen Teil auf. Die Schweizer Landwirtschaft hat eine zentrale Funktion. Sie sichert 50 000 vorgelagerte Arbeitsplätze, etwa Mechaniker, Tierärzte oder solche im Baugewerbe. Hinzu kommen 150 000 Arbeitsplätze in der Branche selbst und 200 000 nachgelagerte. Die gesamte Wertschöpfungskette erwirt­schaftet in der Schweiz rund 54 Milliarden Franken. Über die Gastronomie kommen nochmals rund 13 Milliarden hinzu. Die Landwirtschaft hat innerhalb der Wertschöpfungskette also eine zentrale Funktion. Was hingegen stimmt: Die reine Wertschöpfung, die effektiv bei der Landwirtschaft bleibt, ist relativ bescheiden. Im Jahr 1970 betrug unser Anteil am Konsumentenfranken 55 Prozent. Inzwischen sind es noch rund 25 Prozent.

Sie sprechen von einer deutlichen Verschlechterung …

Die Position hat sich sicherlich nicht verbessert. Sie war aber vor Jahren noch schlechter als heute. Aber ja, es ist schwierig, unsere Interessen durchzusetzen. Die Marktkräfte sind sehr ungleich verteilt. Dabei muss man aber unbedingt auch sehen, dass die Bedeutung der Landwirtschaft für die Erhaltung der Kulturlandschaft, aber auch für die Versorgungssicherheit gross ist.

Und sie hat in der Schweiz auch eine Tradition.

Ja, sie beinhaltet weit mehr als die reine Lebensmittelproduktion, die das Zentrum unseres Auftrags darstellt. Wir machen sehr viel für die Biodiversität und die Ökologie im Allgemeinen. Bäuerinnen und Bauern pflegen 37 Prozent der Landesfläche, das sind 1,5 Millionen Hektaren Land. Davon profitiert nicht zuletzt auch der Tourismus. Und dann ist die Landwirtschaft auch mit zahlreichen Bräuchen und Traditionen eng verbunden, die die Schweiz prägen.

Haben Sie das Gefühl, die jüngere Generation sei sich dessen noch bewusst bzw. schätzt das?

Ich glaube schon, ja. Gerade in den ländlichen Gebieten sucht die Jugend nach den Wurzeln, nach der Identität. Und schauen Sie doch einmal, welche mediale Aufmerksamkeit heute Formate wie das Schwingen oder die Landfrauenküche erhalten? Ich bin jetzt 57. Als ich jung war, waren solche Inhalte in den Medien kaum präsent. Und könnten Sie sich eine Sendung wie «Advokat, ledig, sucht …» vorstellen? Oder «Journalist, ledig, sucht …»?

Wohl kaum …

Weil es da nur wenige schöne Bilder zu zeigen gibt. Auf einem Landwirtschaftsbetrieb haben sie die Natur, sie haben Tiere, sie haben schöne Kulissen. Keine Büroumgebung. Die wäre nicht sexy. Das macht den Unterschied.

Wohl deshalb gibt es auch den «Bauern-Kalender» und nicht den «Journalisten-Kalender» …

Obwohl es sicher auch schöne Journalistinnen und Journalisten gibt.

Markus Ritter

(Bild: KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Zurück zur Landwirtschaft: Ohne die doch sehr hohen Subventionen und eine Marktpreisstützung würde es wohl noch weniger Landwirtschafts­betriebe geben, oder?

Wenn man es rein wirtschaftlich betrachtet, müssten wir hier in der Schweiz kaum Lebensmittel produzieren. Das Kostenumfeld ist viel zu teuer. Ökonomischer wäre es im Ausland. Man könnte also dort einkaufen und hier einfach noch den Handel betreiben. Aber eben, es hängt noch viel mehr davon ab … Deshalb hat der Bundesrat während der Coronaphase die Landwirtschaft auch als systemrelevant eingestuft. Es geht um die sichere Versorgung des Landes, gerade auch in Krisenzeiten. Und derzeit brennt es weltweit ja an allen Ecken und Enden. Auch wenn wir nur einen heimischen Versorgungsgrad von 50 Prozent haben, so ist dieser doch ­essenziell für die positive Weiterentwicklung unseres Landes. Zudem hat das Schweizer Volk mit den Verfassungsartikeln 104 und 104a der Landwirtschaft einen klaren Auftrag gegeben.

Ist eine erhöhte Nachfrage nach regionalen Produkten spürbar?

Ja. Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen wissen, woher die Lebensmittel kommen. Regionalität ist dabei entscheidend.

Und dennoch, Sie haben es erwähnt, kann die hiesige Nachfrage gar nicht mit dem Schweizer Angebot gedeckt werden. Es braucht den Import.

Ende Juni haben wir jeweils die eigene Produktion statistisch aufgebraucht. Wir verbauen seit Jahren pro Sekunde fast einen Quadratmeter Kulturland. Und gleichzeitig wächst die Bevölkerung sehr stark. Das kann man gut finden oder nicht. Aber Fakt ist: Alle müssen versorgt werden. Und womit? 25 Prozent unserer Landesfläche bestehen aus Steinen und Felsen, weitere 30 Prozent aus Wald. Hinzu kommen weitere acht Prozent überbaute Flächen, zwölf Prozent sind extensiv genutzte Alpweiden und weitere fünf Prozent Ökoflächen.

Somit verbleiben noch 20 Prozent …

Genau. Das ist die Fläche, die in der Schweiz als Kulturland normal genutzt werden kann und für die Ernährung unserer Bevölkerung dient. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das extrem wenig. Sie sehen: Eine reine Selbstversorgung wäre also gar nicht möglich.

Wohin wird – ja muss – sich die Landwirtschaftsbranche entwickeln?

Wesentlich ist, dass sie zu einem starken Teil der Wertschöpfungskette wird und sie die eigenen Kosten decken kann. Auch gilt es, den Nachwuchs zu sichern. Und hier sind wir auf Nachfolgelösungen innerhalb der Bauernfamilien angewiesen. Eine familienfremde Nachfolge müsste zu viel Kapital bringen – so würden sich nur die wenigsten Fälle finanzieren lassen. Entsprechend müssen wir darauf achten, weiterhin als attraktive Branche wahrgenommen zu werden. Denn letztlich wird die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft am Küchentisch der Bauernfamilien entschieden und nicht in der Politik. Die Politik hingegen muss dafür sorgen, dass der administrative Aufwand zurückgeht. Ein Betrieb wird durchschnittlich von 1,4 Arbeitskräften bewirtschaftet. Diese können sich nicht mit immer mehr Aufzeichnungen herumschlagen. Wir müssen einfach bleiben. In den vergangenen Jahren ist es aber leider nicht in die richtige Richtung gegangen.

Sie sind seit 2012 Präsident des Schweizerischen Bauernverbands. Welches Fazit ziehen Sie aus der bisherigen Amtszeit?

Ich würde sagen, dass sich sehr vieles positiv entwickelt hat. Auch im Politischen konnten wir wichtige Veränderungen herbeiführen. Im Vergleich zu früher hat sich unser Einfluss im nationalen Parlament, aber auch in den Kantonsräten spürbar verbessert. Wir sind auch zentraler in die Märkte eingebunden und pflegen eine gute Kommunikation.

Noch spürt man bei Ihnen ein «Feuer». Wie lange möchten Sie das Amt noch ausüben?

Ich werfe bei dieser Frage immer drei Punkte ein. Erstens muss ich gesund bleiben, um die Kadenz weiter hochzuhalten. Zweitens braucht es die Akzeptanz meiner Familie für diese sehr anspruchsvolle Aufgabe. Ich bin durchschnittlich doch 200 Tage im Jahr auswärts – und 100 Nächte. Und letztlich müssen natürlich auch die Bäuerinnen und Bauern der Meinung sein, dass wir den Verband unter meiner Führung weiter stärken können und damit die ­Ziele erreichen.

Die nächsten Wahlen sind im November 2024 …

Ja. Und ich werde mich dann gerne nochmals für weitere vier Jahre zur Verfügung stellen.

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Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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