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Arbeitsintegration

Eine doppelt sinnvolle Aufgabe: Wie die Thurgauer Stellensuchenden bald Nutztiere vor dem Wolf schützen können

Wie können Nutztiere besser vor dem Wolf geschützt werden? Eine Antwort hat der Verein Kompass in Bischofszell parat: Dort wurden Elektroband-Flatter-Zäune von den Stellensuchenden hergestellt – und mussten dafür einige Herausforderungen überwinden.

Manuela Bruhin am 04. Juli 2024

«Wolf reisst ein Schaf» oder «Alpaka durch einen Wolf gerissen» - Diese Schlagzeilen möchte zwar niemand lesen, und dennoch sind sie regelmässig in den Medien zu finden. Die Wolfspopulation steigt, und der Herdenschutz funktioniert an vielen Orten längst noch nicht so, wie er sollte. Nun könnte sich aber eine Lösung abzeichnen.

Die Beratungszentrale Agridea ermittelt mit verschiedenen Forschungsansätzen, wie Wölfe von Nutztieren ferngehalten werden können. Nun scheint ein Elektrozaun dafür besonders vielversprechend zu sein. Der «Turbo Fladry» besteht einerseits aus einem Stromdraht, der etwa auf einer Höhe von 35 bis 50 Zentimeter angebracht wird. Zudem werden farbige Textilstreifen an den Hochspannungsdraht befestigt.

Der Zaun schlägt sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Während der Elektrozaun die Wölfe wirkungsvoll davon abhält, in das Gehege einzudringen, wird der Effekt von den Bändern weiter verstärkt. Internationale Studien hätten gezeigt, dass diese beiden Aspekte eine abschreckende Wirkung auf Wölfe haben, die versuchen, in Tierweiden einzudringen, sofern die Einsatzdauer pro Gehege bis etwa sechs Wochen beträgt, lässt sich Agridea in einer Mitteilung zitieren.

Grosse Herausforderung

Hergestellt werden die farbigen Bänder durch Arbeitsuchende des Vereins Kompass in Bischofszell. Es war für Agridea nicht einfach, einen passenden Produzenten zu finden, sagt Abteilungsleiterin Simone Knüppel im Gespräch. «In der Testphase gingen bei den meisten Produzenten wohl die Nadeln der Maschine kaputt. Als die Anfrage bei uns auf dem Tisch war, wollten wir die Herausforderung gerne annehmen.» Und der Erfolg gab ihr schliesslich Recht: Die Industrienadeln hielten der Herausforderung problemlos stand.

Viele Voraussetzungen

Die ersten Testbänder wurden bereits im Januar vergangenen Jahres dem Auftraggeber abgegeben. Nachdem das passende Material besorgt wurde, konnte die Produktion in Bischofszell schliesslich starten. «Mehrere Mitarbeitende waren über Monate damit beschäftigt, zu schneiden, zu nähen und aufzuwickeln», hält Knüppel fest.

Nähen

Zudem wurde in diesem Jahr nach einem noch besseren Material für die Bänder gesucht – all dies brauchte vor allem eines: Zeit. Der Stoff durfte nämlich nicht ausfransen, musste reissfest und in knalligen Farben erhältlich sein. «Der Aufwand, bis wir all diese Kriterien erfüllen konnten, war gross. Aber die Umsetzung hat sehr viel Spass gemacht», sagt Knüppel.

Keine Konkurrenz

Der Verein Kompass hat sich zum Ziel gesetzt, die Mitarbeitenden in verschiedenen Abteilungen wie Schreinerei, Produktion oder Textilwerkstatt in den Ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Seit über 25 Jahren gelingt es den Verantwortlichen, ein Programm zur vorübergehenden Beschäftigung auf die Beine zu stellen. Die Teilnehmenden werden von den regionalen Arbeitsvermittlungszentren zugewiesen, konkurrenzieren den Ersten Arbeitsmarkt jedoch nicht. Vielmehr werden die Teilnehmenden mit der Arbeit motiviert, wieder eine längerfristig sinnvolle Beschäftigung und Anschlusslösung zu finden.

Verschiedene Niveaus

Im besagten Fall schnitten die Arbeitsuchenden die Stoffe in Streifen, entwickelten die spezielle Technik und behielten dabei stets das Zeitmanagement im Blick. Gesamthaft wurden 3'000 Meter Zaunlitzenmaterial vernäht. «Es war ein Ansporn für alle», sagt Knüppel. Die Arbeitenden hätten teilweise bereits Erfahrungen in der Textilbranche sammeln können – aber es hätte auch Mitarbeiter darunter, die zuerst angeleitet werden mussten. «Es war schön, mitansehen zu können, wie die unterschiedlichen Fertigkeiten der Stellensuchenden miteinander harmonierten», so Knüppel.

Litzen

Verständnis wecken

Besonders an diesem Projekt sei die grosse Sinnhaftigkeit, die dahinter stecken würde. Viele der Teilnehmenden hätten einen Migrationshintergrund – doch der Wolf halte sich auch in ihrem Heimatland auf. «Das Projekt weckt das Verständnis für die Wildtiere», so Knüppel. Und es würde sie freuen, wenn der Zaun bald auch in der Ostschweiz zu finden wäre.

Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Bisher ist Agridea mit verschiedenen Landwirtschaftsbetrieben in der Westschweiz in Kontakt. Anfang Juli wird gemäss Agridea der nächste Feldversuch im waadtländischen Ballaigues gestartet. Gehen diese erfolgreich über die Bühne, könnten bald weitere Regionen dazukommen.

(Bilder: pd)

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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