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FCSG-Präsident im Porträt

Matthias Hüppi und der FC St. Gallen: Zwischen Passion und Pragmatismus

Der Präsident des FC St. Gallen, Matthias Hüppi, ist Beispiel dafür, wie man die Komplexität des Fussballgeschäfts meistern kann, ohne die eigenen Werte aus den Augen zu verlieren. Ein Porträt.

Odilia Hiller am 01. Juli 2024

Es ist das letzte Spiel der Saison. FC St. Gallen gegen FC Zürich. Der Kybunpark ist ausverkauft bis auf den letzten Platz. Hunderte stehen Stunden vor dem Match an, um als Erste auf der Tribüne zu sein. Am Ende feuern über 20 000 Fussballbegeisterte ihren Klub an, davon 3000 Zürcher. Alle, die nicht Zürcher sind, nennt Matthias Hüppi die grünweisse Bewegung. Seit sechs Jahren gibt es sie nun – seit dem Präsidenten und seinem Team die Geschicke des FC St. Gallen übergeben wurden. Hüppi betont gern und oft, er sei kein Sololäufer. Das alles sei die Leistung eines grossen Teams. Dennoch ist er Kopf, Herz und Hirn dieser Bewegung. Und er trägt die Verantwortung.

In den Wochen, in denen wir den Klubpräsidenten und einstigen TV-Sportmoderator mehrmals treffen und begleiten, wird klar: Das Fussballgeschäft ist kompliziert. Es geht um die schwarze Null, ja, auch. Um Millioneninvestitionen, bei denen es keine Garantie auf Rendite gibt, weil sich im Fussball fast gar nichts garantieren lässt. Doch es dreht sich vor allem um Menschen, um Sportlerinnen, Talente und Profis. Um Interessensgruppen, Fans, Aktionäre, Sponsoren und Donatoren. Hüppi sagt es so: «Es geht um weit mehr als um Franken und Rappen.»

Passion und Energie wie auf Kommando

Siegen müssen ist kompliziert, und Hüppi verhehlt nicht, dass er neben Freude, Enthusiasmus und Feuer auch schwierige Momente erlebt. Er erzählt, wie er gelernt hat, mit dem Auf und Ab, dem Gewinnen und Verlieren, dem extremen Helldunkel der Fussballwelt umzugehen. Wir lernen einen Mann kennen, der wie auf Kommando Passion und Energie zu versprühen vermag wie kaum ein Zweiter. Der Reden mit so viel Tempo hält, dass alle mit offenem Mund zuhören. Weil er sich dem FC St. Gallen mit Haut und Haaren verschrieben hat. «Ich bin so. Ich kann gar nicht anders. Wenn ich etwas mache, dann richtig», sagt Hüppi. Viele sagen über ihn, in seinen Adern fliesse nicht rotes, sondern grünweisses Blut. Für Aussenstehende hört sich solches manchmal kitschig an. Zeit, es zu überprüfen.

Im Bauch des Stadions trifft sich der Klubpräsident vor jedem Spiel mit seinem Verwaltungsrat, mit dem er ein grosses gemeinsames Ziel teilt: den FC St. Gallen nachhaltig zu führen. Und, wie Hüppi sagt, noch viel mehr als das. Alle hier seien grünweiss im Herz: «Es ist ein Geschenk, dass es auch persönlich so gut passt. Wir haben ein ausgezeichnetes Verhältnis untereinander, was ich aussergewöhnlich finde.» An den Heimspielen sei der Verwaltungsrat, wo seit 2020 auch der St. Galler Ständerat Beni Würth einsitzt, praktisch immer komplett.

Die Macht der Rhetorik

Nach der Sitzung beginnt für Präsident Hüppi ein Sprint der besonderen Art: Wie ein Falke im Sturzflug eilt Hüppi von Loge zu Loge, um möglichst viele Gäste zu begrüssen. Um ihnen von der Riesenstimmung zu erzählen, die sie an dem Abend erwartet. Er jagt vom vierten in den fünften Stock des VIP-Bereichs. Von den V-Zug-Logen zur Fortimo-Lounge und wieder zurück. Er schafft es, in jeder Loge eine leicht andere Version der Begrüssungsansprache zu halten, während vor den Gästen die Älplermagronen und die Bratwürste dampfen. Es ist, als wäre er sich zu schade, vier- oder fünfmal das Gleiche zu erzählen.

Jedenfalls wird spätestens hier eines der unbestrittenen Talente dieses Mannes offensichtlich: fesseln, begeistern, anfixen. Im Grunde ist es die klassische Rhetorik: Überzeugen und Beeinflussen durch wirkungsvollen Einsatz von Sprache, um ein Publikum zu einem bestimmten Gedanken, Gefühl oder Handeln zu bewegen. Seine Stimme ist kraftvoll, jede Faser des Körpers tonisiert, das Lachen gewinnend. Stets weiss er, seine Aussagen mit einer Prise Humor zu garnieren. 36 Jahre Fernsehen prägen.

Sein Bruder, der St. Galler Anwalt und einstige FCSG-Verwaltungsrat Michael Hüppi, sagt, Matthias habe Auftritte schon als Jugendlicher geliebt. Performances und Produktionen im Familien- und Freundeskreis. «Das war seins. Er ist auch ein guter Dichter.» Solches kommt nicht von ungefähr. Vater Hüppi war Anwalt, die Mutter – Bundesrat Kurt Furglers Schwester – hatte einst davon geträumt, Schauspielerin zu werden. «Sie hatte dieses Talent auch», sagt Michael Hüppi. Wer überdies als Onkel einen Bundesrat und den verstorbenen Alt-TV-Sportchef Martin Furgler in der Familie hat, darf sich nicht wundern, wenn es den Neffen zum Reden und Auftreten treibt.

Matthias Hüppi selbst sagt: «Ich mache das nicht meinetwegen, sondern nur wegen des Klubs. Egal, ob es grössere oder kleinere Gruppen sind oder Einzelpersonen, mit denen ich spreche, es gibt immer eine Möglichkeit, an der Reputation zu arbeiten.» Und: «Ich bin permanent der FC. Das ist wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen. Ich sage das nicht, um mich selbst zu loben.» Aber ihn interessiere einfach rund um die Uhr, wie «wir als Club in dieser Region wahrgenommen werden».

«Ich bin sehr tief im Dialog mit der Kurve»

Er folge weder einem Auswahlprozedere noch einer Prioritätenliste, mit wem er rede. Der spontane Austausch mit den Fans in der Stadt St. Gallen – die er «wunderschön» findet, und wo er aufgewachsen ist – sei ihm ebenso teuer wie jener mit Aktionären, Sponsoren und Donatoren. Der Präsident betont die Bedeutung von Respekt und Dialog, auch gegenüber den Ultras, die für ihn keine «Chaoten» sind, sondern eine Gruppe, mit der man sprechen müsse. Was nicht immer einfach sei, zumal es tatsächlich einige wenige gebe, die sich strafbar machen. «Ich bin sehr tief im Dialog mit der Kurve. Da gibt es Momente, da hast du Erfolg, kommst weiter, und dann wirst du wieder zurückgeschlagen.» Die, die blöd tun, seien eine ganz kleine Gruppe. Doch insgesamt seien die Heimspiele in St. Gallen sehr sicher. «Das haben wir inzwischen gut im Griff. Das sieht man auch an unserem Publikum: Familien, viele Frauengruppen, es kommen einfach alle. Die wären nicht da, wenn es so gefährlich wäre.»

Während der Spiele stellt er sich am liebsten mitten ins Publikum. «Dann falle ich bei einem Goal auch mal wildfremden Leuten um den Hals.» Die Begeisterung für den FC St. Gallen ist für ihn keine Einbahnstrasse. Es ist offensichtlich, dass er eine Verpflichtung verspürt, etwas zurückzugeben. Von sich, von seiner Präsenz, von seinen Fähigkeiten. Leadership heisse für ihn vor allem eines: Verantwortung. «Du musst das Wissen, die Erfahrung und die Kompetenz bereitwillig weitergeben und anderen zur Verfügung stellen», sagt er über seinen Führungsstil.

Die Last der Verantwortung

Doch manchmal lastet die Verantwortung schwer. «Ich habe manchmal Mühe abzuschalten. Das gebe ich zu», sagt Hüppi. Mit der Grösse der «Bewegung» steigen auch die Ansprüche. Der Fussball ist ein emotionales Geschäft, verbunden mit viel Druck. Und manchmal gilt es, die «Hysterie einzumitten». Hüppi spricht offen über schlaflose Nächte, wenn die Mannschaft nicht erfolgreich ist. Oder wenn es intern zu Spannungen oder schweren Entscheidungen kommt. «Wir leben nicht auf einem Planeten der Seligen. Auch bei uns chlöpft es einmal.» Er sei nicht frei von Emotionen, im Gegenteil, aber er lebe mit ihnen. «Ich bin nicht aus Teflon.» Hüppi betont, dass man Emotionen nicht unterdrücken, sondern kanalisieren müsse. Noch nie habe er beispielsweise eine Wutrede vor der Mannschaft gehalten. «Aber authentisch musst du bleiben, dur all Böde dure.» Im Fussball gebe es so viele Situationen, die nicht beeinflussbar seien. Umso wichtiger sei es, unabhängig zu bleiben und seinen Weg zu gehen. «Ich musste lernen: Es ist gut so, wie ich bin.»

Kritiker und Skepsis werde es immer geben. Wichtig sei der Umgang damit. «Die Kritik anderer liegt ausserhalb meiner Verantwortung. Und Skeptiker kann man versuchen zu überzeugen.» Schon beim Fernsehen habe er gelernt, was es heisse, an einem Tag hochgejubelt und am nächsten niedergeschrieben zu werden. Irgendwann habe er für sich selbst entschieden, nie mehr wütend zu sein auf Leute, die ihn kritisierten. Weil auch das für ihn bedeute, unabhängig zu sein.

Der Erfolg ist nicht planbar

Hüppi sieht den Erfolg im Fussball nicht als planbar an. Eher als Resultat von guter Teamarbeit, den richtigen Rahmenbedingungen und der Fähigkeit, das Team und seine exponierten Figuren zu unterstützen und zu schützen. Kommt es ob all der Unplanbarkeit zu Momenten der Ohnmacht, zieht er sich zurück, sucht – auch im Stadion – für einen Moment die Stille. Wie sehr betrübt es ihn, wenn es nicht gut läuft? «Es gibt einfach Situationen, da weisst du, wir müssen gewinnen, sonst kommen wir richtig in die Bredouille.» Und dann kommt die Enttäuschung, wenn es nicht klappt. «Du denkst, gopf, das ist doch nicht möglich.» Das sei nie als Schuldzuweisung gemeint, sondern eher ein «Anflug von Fassungslosigkeit».

Bruder Michael Hüppi weist darauf hin, wie sportlich Matthias Hüppi selbst ist. Die Führung des FC St. Gallen betreibe er wie den Sport: mit Kampfgeist, Akribie, Planung, Fokus und einem Team, dem er vertraue. Für seine persönliche Balance hat Matthias Hüppi nun «im hohen Alter» noch angefangen zu golfen. «Eine Riesen-Challenge, weil meine Frau hundertmal talentierter ist als ich», sagt Matthias Hüppi. Hier lerne er, dass es absolut unmöglich sei, gleichzeitig an den FC St. Gallen zu denken und einen Golfball erfolgreich einzulochen. «Das klappt nur, wenn du zu 100 Prozent frei bist im Kopf. Ich arbeite daran, aber es will mir noch nicht so richtig gelingen. Es braucht noch etwas Zeit, aber dann wird das wunderschön.»

Vielleicht funktioniert es noch besser, wenn eines Tages nicht mehr nur grünweisses, sondern auch wieder etwas rotes Blut durch Matthias Hüppis Adern fliesst. Doch darauf muss der Golfball wohl noch länger warten.

(Bild: Donato Caspari)

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Odilia Hiller

Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.

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