logo

Mediennachlese

Die Medien wollen endlich – aber die Leute wollen nicht

Der «Club» auf SRF thematisiert Corona und lädt zwei Kritiker der Massnahmen ein. Danach hagelt es Kritik an dieser Entscheidung. Die grosse Frage ist: Was hätte das TV-Publikum im Jahr 2021 denn gerne? Gegenseitiges Schulterklopfen?

Stefan Millius am 04. August 2021

Man kann – nein, man soll – die Rolle der Medien in der Coronasituation kritisieren. Die Diffamierung von Kritikern der aktuellen Politik, die einseitige Berichterstattung, die unkritische Wiedergabe offizieller Behauptungen. Aber allmählich besinnt sich das eine oder andere Medium und schwenkt sanft um. Nicht auf die Linie der Massnahmenkritiker, aber immerhin auf einen ergebnisoffenen Journalismus, der verschiedene Perspektiven zulässt. Es herrscht, auf tiefer Flamme, ein bisschen Aufbruch in der Coronafrage.

Die Frage ist nur, ob das Publikum das nach eineinhalb Jahren Panikmache überhaupt noch will. Ein aktueller Fall lässt vermuten: Viele wollen nicht.

Es geht um den «Club» auf SRF. Die Gesprächssendung, die im wohltuenden Unterschied zur «Arena» den Gästen Zeit lässt für Ausführungen, die nicht aus einem vorhersehbaren Hickhack verfeindeter Seiten besteht. In der letzten Sendung kamen zwei Protagonisten zu Wort, die die aktuellen und anhaltenden Massnahmen gegen das Coronavirus kritisieren. Und die anderen – zahlenmässig überlegenen – Gäste hielten dem Bundesrat die Stange. Ein Austausch von Meinungen, wie das in einer Gesprächsrunde der Fall sein müsste.

Wie der «Blick» nun berichtet, sehen das nicht alle so. Es habe empörte Stimmen gegeben, weil SRF «Schwurblern» eine Plattform geboten hatte. Selbstverständlich gehen die Kritiker der Sendung nicht konkret auf das Gesagte ein. Es reicht ihnen, zu wissen, dass da zwei Personen sassen, die die Coronasituation anders gehandhabt hätten als die offizielle Schweiz. Was, so finden sie, nicht gehe. Diese Leute hätten dort nicht sitzen dürfen, wenn es nach ihnen geht.

Was genau möchte das TV-Publikum, das sich nun beschwert? Dass im «Club» fünf oder sechs Leute sitzen, die sich gegenseitig in ihrer übereinstimmenden Meinung bestätigen? Einfach immer nicken, wenn ein anderer etwas sagt? Wollen sie, dass ausgeblendet wird, wie viele Menschen in der Schweiz den aktuellen Kurs in der Coronapolitik nicht mittragen? Dass man Kritik an ihr einfach ausblendet?

Es geht bei dieser Frage gar nicht darum, wer «recht» hat. Es geht darum, ob es verwerflich ist, verschiedene Haltungen aufeinander prallen zu lassen. Um die Frage, ob es nicht die Aufgabe des «Club» ist, unterschiedliche Positionen zu debattieren. Was genau soll eine Gesprächssendung unter lauter Gleichgesinnten? Dann kann man auch in die Kirche gehen.

Man kann, gemessen an den Ereignissen der letzten Monate, den meisten grossen Verlagshäusern in der Schweiz eine einseitige, eine auslassende Berichterstattung vorwerfen. Doch festzustellen, dass ein Teil des Publikums das sogar begrüsst und kritische Stimmen gar nicht erst hören will, ist weitaus schlimmer. Einst galt für Diskussionssendungen: Jeder kann sagen, was er will, und das beste Argument gewinnt. Die nun Empörten hingegen fordern eine Art Forfait-Sieg für ihre Seite: Die andere soll gar nicht erst in den Ring steigen. Wovor genau haben sie Angst? Wenn es sich ja nur um verrückte «Schwurbler» handelt, deren Aussagen keinen Sinn machen, kann ja gar nichts passieren. Das Schweizer Volk ist intelligent genug, um Argumente auf den Prüfstand zu stellen.

Der ehemalige Kindersendungsmoderator Knackeboul beispielsweise findet auf Twitter:

#srfclub ist schon das x-te mal, dass man dem ignorant-gefährlichen bubendorf eine plattform vor millionenpublikum gibt. ist also mitverantwortlich für den erfolgskurs der menschenverachter*innen und schlussendlich der antisemitinnen, die immer hemmungsloser auftrump(f)en

Der Mann fordert also, einer Gegenstimme gar nicht erst eine Plattform zu geben. Er möchte nicht, dass sich das Publikum eine eigene Meinung bildet. Er fordert den Ausschluss von allem, was nicht seiner Lesart entspricht und will sich mit einer Gegenmeinung in keiner Weise auseinandersetzen – und das auch nicht seinen Mitmenschen zumuten. Und nebenbei formuliert er einen durchaus justiziablen Vorwurf, den des Antisemitismus – der völlig aus der Luft gegriffen ist bei der Coronathematik. Was genau haben die Kritik an der Maske oder andere Massnahmen bitte mit Antisemitismus zu tun? 

Aber würde Knackeboul einen Platz im «Club» erhalten, wäre das völlig in Ordnung. Jeder soll frei sprechen dürfen, egal, wie abstrus er sich äussert. Denn eben: Das Publikum ist mündig. Es darf auch mit haltlosen Antisemitismusvorwürfen konfrontiert werden und macht sich selbst einen Reim daraus. 

Es ist völlig egal, wer wo steht. Solange er oder sie akzeptiert, dass es die Aufgabe der Medien ist, alle Stimmen der Gesellschaft aufzunehmen. Solange man bereit ist zur Debatte. Wenn aber ein Teil des Publikums selbst Zensur fordert, sind wir an einem gefährlichen Punkt angelangt. Von den Medien schlecht informiert zu werden, ist das eine. Daran Gefallen zu finden und sich zu stören, wenn SRF – endlich – auch die andere Seite involviert, das hat eine ganz andere «Qualität».

Highlights

Sängerin, Tänzerin und Unternehmerin

St.Galler Influencerin Arina Luisa möchte mehr Realität in den Sozialen Medien: «Ich poste auch einmal meine Dehnungsstreifen»

am 18. Aug 2024
Gastkommentar

Wikipedia-Amok will UBS-Banker ‹canceln›

am 02. Aug 2024
Steigender Konkurrenzdruck

«Ich wollte nie ein Vorgesetzter sein, der Wasser predigt, aber Wein trinkt»: Der Wiler Chefredaktor Andreas Böni über seine Arbeit bei «blue Sport»

am 19. Aug 2024
Asylpolitik

SVP attackiert Bundesrat Jans, Staatssekretariat für Migration kontert mit einem «Faktencheck in 18 Punkten». Wer hat recht?

am 09. Aug 2024
Andere Orte preschen vor

Zwischen Digital Detox und Realitätsflucht: Soll das Handy aus dem Schulhaus verbannt werden? So denkt die Ostschweizer Politik darüber

am 06. Aug 2024
Gastkommentar

Biodiversität oder Ernährungssicherheit? Ein kritischer Blick auf eine Volksinitiative, die gar nicht umsetzbar ist

am 03. Aug 2024
Peter Weigelt, Präsident RevierJagd St.Gallen

Wolfsregulierung – keine jagdliche, sondern eine behördliche Massnahme

am 22. Aug 2024
Interpellationen beantwortet

«Wenigstens einen Versuch wert» – St.Galler Regierung verteidigt die Russland-Reise

am 19. Aug 2024
Gastkommentar

Gendermedizin: Oft nicht viel mehr als eine Ansammlung abgenutzter Klischees

am 21. Aug 2024
Viele Katzen, wenig Platz

Wenn «Büsis» zu «Klimakillern» werden: Tierschutz-Präsidentin Esther Geisser über Lösungen gegen die Katzen-Überpopulation in der Ostschweiz

am 17. Aug 2024
Einwurf

KI soll vor dem Ertrinken schützen. Eltern, die mehr Zeit am Handy als mit ihren Sprösslingen verbringen wollen, freut diese Entwicklung

am 16. Aug 2024
Gastkommentar: Schweizer Sommer

Wenn sich die Schweizerische Regel in der Ostschweiz durchsetzt: Zu heiss gibt es nicht, um nicht nach Draussen zu gehen

am 20. Aug 2024
Sie unterstützen die Olma Messen

«Wenn der Wirt sein bester Gast ist, wird es gefährlich» – Kuno Schedler über sein Olma-Engagement

am 16. Aug 2024
SGKB Investment Views

Rezession oder doch nicht Rezession?

am 19. Aug 2024
Sitz von Swiss Olympic

Ein Haus mit Tradition und Potenzial: Ostschweizer sind neu im Besitz des Berner «Haus des Sportes»

am 16. Aug 2024
Entscheid ist noch nicht rechtskräftig

Keine Unterschutzstellung des Spitalhochhauses in St.Gallen

am 21. Aug 2024
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.