logo

Viele Katzen, wenig Platz

Wenn «Büsis» zu «Klimakillern» werden: Tierschutz-Präsidentin Esther Geisser über Lösungen gegen die Katzen-Überpopulation in der Ostschweiz

Weil Katzen zu viele Vögel und Reptilien fressen, wollen Klimaschützer mit einer Initiative die Zucht und den Import der Tiere stoppen. Esther Geisser, Präsidentin des Tierschutzvereins NetAP, erklärt, weshalb das eigentliche Problem jedoch ganz woanders liegt.

Manuela Bruhin am 17. August 2024

Esther Geisser, Klimaschützer wollen mit einer Initiative die Katzen-Population in der Schweiz eindämmen. Finden Sie auch, dass hierzulande zu viele Katzen gehalten werden?

Gemäss den Erhebungen von Futtermittelherstellern leben in der Schweiz 1.9 Millionen Katzen mit Haltern. Hinzu kommen geschätzte 300'000 verwilderte und/oder herrenlose Katzen. Tendenz: Jährlich steigend. Das ist für ein kleines Land wie die Schweiz eine sehr grosse Anzahl, die seit längerem zu einem grossen Katzenelend führt. Viele werden laufend wieder ausgesetzt oder in Tierheimen abgegeben. Es gibt aber viel zu wenig Plätze für Katzen. Die Folge ist unter anderem auch, dass etwa 200'000 Kätzchen jährlich getötet werden, weil sie überflüssig sind.

Welche Folgen werden vielleicht zu wenig beleuchtet?

In erster Linie leiden die Katzen selbst darunter. Die Überpopulation führt dazu, dass man an jeder Ecke kostenlos oder für wenig Geld eine Katze bekommt, selbst wenn man sich diese weder zeitlich noch finanziell leisten und auch nicht die passende Haltung bieten kann. Wenn man dann merkt, dass die Katze doch nicht oder – wie nach Corona – nicht mehr in die Lebensplanung passt, sie Dreck und Haare hinterlassen oder man gar Zeit und Geld investieren müsste, wird es sehr schnell entsorgt. Ökonomisch die bessere Alternative, wenn man ja gratis eine «neue» kriegt. Katzen werden nicht wie Lebewesen, sondern wie Billig- oder Wegwerfprodukte behandelt. Das Wissen über die Spezies Hauskatzen ist zwar heute grösser, nur ist das in der Bevölkerung noch immer nicht angekommen. Entsprechend leiden unzählige Katzen weiter in Haushalten oder draussen vor sich hin.

Welche weiteren Probleme bestehen?

Eine Folge der Überpopulation ist die Gefährdung der Wildkatzen. Haus- und Wildkatzen können sich verpaaren und so fruchtbare Nachkommen zeugen, sogenannte Katzenhybride. Die zunehmende Hybridisierung gefährdet jedoch das Erbgut der streng geschützten Europäischen Wildkatze. Durch die Gene der Hauskatze wird es zu evolutionären Anpassungen der hier heimischen wilden Art kommen, was dem Artenschutz abträglich ist.

Und wie gross schätzen Sie das Verständnis der Menschen ein, weil es immer mehr Katzen gibt, die vielleicht den eigenen Garten verunreinigen?

Der Unmut in der Bevölkerung wächst, und dieser ist ebenfalls auf die Überpopulation zurückzuführen. Die Katzen müssen als Sündenbock für alles herhalten und es kommt nicht selten zur Gewaltanwendung gegen die Katzen – bis hin zu Tötungen.

Kommen wir zurück zur Initiative. Die Katzen würden zu viele Vögel, Reptilien und Amphibien töten. Ist dem wirklich so?

Katzen sind Jäger und sie töten ihre Beute. Diese Tatsache lässt sich nicht wegdiskutieren, auch wenn es viele Hauskatzen gibt, die das Jagen schlicht verlernt haben. In der Regel erwischen Katzen vor allem Mäuse und Gartenvögel. Da kann die Katze glücklicherweise den Bestand nicht gefährden.

Was ist das eigentliche Problem?

Den grössten Druck auf die Vögel übt die Zersiedelung und Landwirtschaft aus. Gemäss Birdlife stellt für Dreiviertel aller Arten der Einsatz von Chemikalien und Maschinen die grösste Gefahr dar. Die Klimaerwärmung trägt durch Stürme, Dürre und Waldbrände ihr Übriges dazu bei. Lebensraum und Nahrungsquellen der Vögel gehen laufend weiter verloren. Das Gleiche gilt für Reptilien und Amphibien. Wenn der Mensch auf Arten zu viel Druck ausübt, spielen die Katzen am Ende den Sündenbock. Und die Tiere können sich nicht dagegen wehren.

Welche Folgen hätte die Umsetzung einer solchen Initiative?

Das kommt darauf an, was für eine Forderung gestellt wird. Eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen wäre das einzige tiergerechte und nachhaltige Mittel, um der Überpopulation beizukommen. NetAP fordert eine solche seit Jahren. Eine Pflicht würde alle Parteien zufriedenstellen, sowohl Katzenfreunde als auch Natur- und Artenschützer, selbst Katzengegner. Und sie hätte auch für die Katze nur Vorteile. Paderborn in Deutschland ging vor 15 Jahren erfolgreich mit gutem Beispiel voran. 1500 Städte und Gemeinden folgten. Es ist mir deshalb ein Rätsel, wieso man in der Schweiz weiterhin stur dagegen ist.

Welche weiteren Vorteile hätte eine Kastrationspflicht?

Sie wirkt sich unmittelbar und sofort auf die Vermehrung aus, setzt direkt an der Quelle des Problems an, ist human und nachhaltig, und, was oft vergessen geht, trifft einzig die Verursacher. Mit einer solchen Pflicht würde der Bestand an Katzen innert weniger Jahre sinken. Zudem hat die Kastrationspflicht ausschliesslich Vorteile, für Mensch und Tier. Es gibt keinen Grund, eine solche nicht einzuführen.

Könnte eine Leinenpflicht für Katzen, wie sie in einigen Ländern existiert, eine sinnvolle Massnahme sein, um die Auswirkungen von Katzen auf die Umwelt zu reduzieren?

Katzen sind keine Hunde. Die wenigsten Katzen tolerieren eine Leine. Und die Gefahr, dass sie sich aus dem Geschirr winden und fliehen, ist riesig. Zudem darf man nicht vergessen, dass Katzen mancherorts auch eine wichtige Rolle in der Bekämpfung von unerwünschten Nagern einnehmen. Soll der Landwirt mit der Katze an der Leine auf Mäusejagd gehen? Eine Leinenpflicht ist weder praktikabel noch sinnvoll. Und sie löst das Problem nicht, wie die erwähnten durch den Menschen zu verantwortende Eingriffe in die Umwelt, Flora und Fauna.

Glauben Sie, dass eine Registrierungspflicht für Katzen, ähnlich wie bei Hunden, in der Schweiz eingeführt werden sollte? Welche Vorteile könnte dies bringen?

Eine Chip- und Registrierungspflicht wäre ein wichtiges, für die Kastration begleitendes Mittel für den Vollzug. Eine solche Pflicht trägt selbst nicht zur Regulation bei, weil sie bekanntlich den Sexualtrieb und -akt der Freigängerkatzen nicht beeinflusst. Aber sie hilft bei der Umsetzung. Zudem würden Fundtiere schneller wieder den Weg nach Hause finden.

In einigen Ländern wird bereits eine Katzensteuer diskutiert oder sogar eingeführt. Könnte dies auch in der Schweiz eine sinnvolle Massnahme sein?

Auch eine solche sehe ich nicht als zielführend, denn auch sie trägt nicht zur Regulation der Population bei. Es ist nur einfach ein weiterer Kostenfaktor für den Halter und würde einen grossen Aufwand für den Staat nach sich ziehen. Man könnte sie sich als Anreiz vorstellen: Wer seine Freigängerkatze nicht kastrieren lassen will, muss eine schmerzhafte Steuer bezahlen, weil damit Kosten gegenüber Dritten verursacht werden. Man müsste sich quasi eine Ausnahmebewilligung erkaufen. Aber grundsätzlich bin ich gegen jede Ausnahme, damit sich der Bestand endlich auf ein vertretbares Niveau einpendelt.

Welche Rolle spielen verwilderte Katzen in der Diskussion um die Überpopulation?

Jede verwilderte Hauskatze hat ihren Ursprung bei einem Halter, der nicht kastrieren wollte. Wir Tierschutzorganisationen hätten diese verwilderten Katzen schnell unter Kontrolle, würden die Halter nicht ständig für weiteren Nachschub sorgen. Insofern würde sich auch dieses Problem relativieren, wenn endlich an der Quelle angesetzt wird: Beim gleichgültigen, beziehungsweise ignoranten Halter, der schliesslich das ganze Leid bewusst oder unbewusst verursacht.

Was würden Sie sich persönlich wünschen?

Dass die Katzen, und natürlich alle Tiere generell, einen echten Stellenwert in unserer Gesellschaft erhalten und nicht wie Wegwerfartikel behandelt werden. Eine Kastrationspflicht wäre ein erster Schritt und könnte dahingehend viel bewirken.

Ausserdem wäre ich froh, wenn man nicht kopflos – oder weil es so einfach ist – die Katze stets für alles verantwortlich macht. Klimakiller sind nicht die Katzen, sondern das Kauf- und Konsumverhalten des Menschen, seine Ernährung, seine Bautätigkeit und der Verkehr. Da sollte viel stärker angesetzt werden! Aber es ist wie überall: Man will immer zuerst bei anderen eine Änderung fordern, um selbst nichts ändern zu müssen.

(Bild: Depositphotos/pd)

Highlights

Sängerin, Tänzerin und Unternehmerin

St.Galler Influencerin Arina Luisa möchte mehr Realität in den Sozialen Medien: «Ich poste auch einmal meine Dehnungsstreifen»

am 18. Aug 2024
Gastkommentar

Wikipedia-Amok will UBS-Banker ‹canceln›

am 02. Aug 2024
Steigender Konkurrenzdruck

«Ich wollte nie ein Vorgesetzter sein, der Wasser predigt, aber Wein trinkt»: Der Wiler Chefredaktor Andreas Böni über seine Arbeit bei «blue Sport»

am 19. Aug 2024
Asylpolitik

SVP attackiert Bundesrat Jans, Staatssekretariat für Migration kontert mit einem «Faktencheck in 18 Punkten». Wer hat recht?

am 09. Aug 2024
Andere Orte preschen vor

Zwischen Digital Detox und Realitätsflucht: Soll das Handy aus dem Schulhaus verbannt werden? So denkt die Ostschweizer Politik darüber

am 06. Aug 2024
Gastkommentar

Biodiversität oder Ernährungssicherheit? Ein kritischer Blick auf eine Volksinitiative, die gar nicht umsetzbar ist

am 03. Aug 2024
Peter Weigelt, Präsident RevierJagd St.Gallen

Wolfsregulierung – keine jagdliche, sondern eine behördliche Massnahme

am 22. Aug 2024
Interpellationen beantwortet

«Wenigstens einen Versuch wert» – St.Galler Regierung verteidigt die Russland-Reise

am 19. Aug 2024
Gastkommentar

Gendermedizin: Oft nicht viel mehr als eine Ansammlung abgenutzter Klischees

am 21. Aug 2024
Viele Katzen, wenig Platz

Wenn «Büsis» zu «Klimakillern» werden: Tierschutz-Präsidentin Esther Geisser über Lösungen gegen die Katzen-Überpopulation in der Ostschweiz

am 17. Aug 2024
Einwurf

KI soll vor dem Ertrinken schützen. Eltern, die mehr Zeit am Handy als mit ihren Sprösslingen verbringen wollen, freut diese Entwicklung

am 16. Aug 2024
Gastkommentar: Schweizer Sommer

Wenn sich die Schweizerische Regel in der Ostschweiz durchsetzt: Zu heiss gibt es nicht, um nicht nach Draussen zu gehen

am 20. Aug 2024
Sie unterstützen die Olma Messen

«Wenn der Wirt sein bester Gast ist, wird es gefährlich» – Kuno Schedler über sein Olma-Engagement

am 16. Aug 2024
SGKB Investment Views

Rezession oder doch nicht Rezession?

am 19. Aug 2024
Sitz von Swiss Olympic

Ein Haus mit Tradition und Potenzial: Ostschweizer sind neu im Besitz des Berner «Haus des Sportes»

am 16. Aug 2024
Entscheid ist noch nicht rechtskräftig

Keine Unterschutzstellung des Spitalhochhauses in St.Gallen

am 21. Aug 2024
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.