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Steigender Konkurrenzdruck

«Ich wollte nie ein Vorgesetzter sein, der Wasser predigt, aber Wein trinkt»: Der Wiler Chefredaktor Andreas Böni über seine Arbeit bei «blue Sport»

Seit rund einem Jahr ist Andreas Böni Chefredaktor bei «blue Sport». Ein Gespräch über Klickzahlen, Konkurrenzdruck und wie es der Wiler schafft, den unbeliebten Dialekt auch im Raum Zürich zu behaupten.

Manuela Bruhin am 19. August 2024

Andreas Böni, seit bald einem Jahr arbeitest Du als Chefredaktor bei «blue Sport» in Zürich. Hand aufs Herz: Wie oft bist Du mit Deinem Dialekt unangenehm aufgefallen?

(Lacht). Da hatte ich wohl Glück. Ringier-CEO Marc Walder kommt ebenfalls aus der Ostschweiz, genau genommen aus Goldach. Er hat es auch mit einem Ostschweizer Dialekt bis ganz nach oben geschafft. Bei Ringier und nun auch bei «blue Sport» waren und sind ganz verschiedene Dialekte zu hören. Natürlich werde auch ich zwischendurch mal hochgenommen. Neben dummen Sprüchen war es aber nie ein Hinderungsgrund.

Seit einigen Wochen ist die EM vorbei. Konntest Du die Sommerzeit nutzen, um durchzuatmen?

Nach einem solchen Grossanlass brauche ich jeweils relativ lange, bis ich runterfahren kann. Ich hatte drei Wochen Ferien und ich habe gemerkt, wie die Erholung erst in der dritten Woche so richtig eingesetzt hat. Während einer EM oder einer WM lebt man quasi in einer Blase. Wenn ich anschliessend nach Hause zurückkehre, brauche ich eine gewisse Zeit, bis ich wirklich wieder angekommen bin – vor allem mental.

Für viele stellt Dein Beruf ein Traumjob dar. Warst Du schon immer fussballbegeistert?

Ja, es wurde mir in die Wiege gelegt. Mein Vater war 37 Jahre lang Präsident beim FC Bazenheid. Als ich vierzehn Jahre alt war, habe ich angefangen, für die Wiler Zeitung über den Fussball der zweiten Liga zu berichten.

Selber stehst Du auch auf dem Feld?

Leider nicht mehr. Mein Platz ist heute auf der Tribüne.

Weshalb?

Einerseits ist das der Arbeit geschuldet. Ab 18 habe ich unter der Woche abends und auch am Wochenende gearbeitet. Das verträgt sich schlecht mit Fussballspielen, und so reichte es zu einem einzigen 2. Liga-Einsatz. Andererseits habe ich mir an der EM 2016 bei einem Plauschspiel die Achillessehne gerissen – und der Nati-Doc schickte mich danach nach Hause. Alles im Leben hat seine Zeit, fanatische Senioren-Partien mit gemeingefährlichen Grätschen der übergewichtigen Spieler sind nicht mein Ding. Doch der eigentümliche Duft und die Gespräche in der Kabine fehlen mir manchmal schon. Ich finde es immer noch schön, sich in einer Gruppe zurechtzufinden und zusammen etwas zu erreichen.

Du hast unter anderem bereits bei Sport-Bild gearbeitet, anschliessend warst du Fussball-Chef beim Blick und nun Chefredaktor bei «blue Sport». Damit gehörst du zu den erfolgreichsten Sportjournalisten der Schweiz. Würdest du rückblickend etwas anders machen?

Nein, ich glaube nicht. Als ich nach der Matura beim Blick begann, übernahm ich viermal in der Woche den Abschlussdienst. Von drei Uhr nachmittags bis elf Uhr in der Nacht war ich in der Redaktion beschäftigt. Bei Sport-Bild sah es nicht viel anders aus: Morgens um 8.30 Uhr waren wir auf der Redaktion in Hamburg, immer. Oft fuhren wir danach 300, 400 Kilometer zu Abendspielen quer durch Deutschland und morgens um zwei, drei Uhr zurück. Klar war: Wir sassen am nächsten Morgen wieder im Büro. Jeden Sonntag waren wir von zehn Uhr morgens bis Mitternacht in der Redaktion. Und egal, wann wir kamen und wann wir gingen: Chefredaktor Pit Gottschalk sass immer da. Das prägte mich.

Wie hat sich der Stress bei dir ausgewirkt?

Salopp gesagt: Das «Dreckfressen» hat mir viel in Sachen Charakterbildung mitgegeben. Ich wollte nie ein Vorgesetzter sein, der Wasser predigt, aber Wein trinkt. Ich möchte vorleben, was ich erwarte. Und ohnehin denke ich, dass die traditionelle hierarchische Arbeitsweise, in welcher der Chef seine Macht ausübt, nicht mehr zeitgemäss ist.

Gerade die Bild-Zeitung und auch Blick Sport müssen sich häufig Kritik gefallen lassen. Die Titel und Storys seien zu reisserisch. Dennoch wird das Blatt gelesen – trotzdem oder genau deshalb. Wie hast du diese tägliche Gratwanderung wahrgenommen?

Bei Bild wird sehr auf Fakten geachtet. Natürlich wird es pointierter verkauft. Die Bild hat eine unglaubliche Macht – auf einem ganz anderen Niveau, als wir es uns in der Schweiz gewohnt sind. Der grosse Unterschied ist auch, dass es dort ein wahnsinnig grosses Angebot an Journalisten gibt. Die Leistungskultur ist enorm. Wenn jemand geht, ist er oder sie morgen ersetzt.

Und wie sehr wird man als Journalist unter Druck gesetzt, damit die Klickzahlen stimmen?

Damals war noch die Auflage wichtiger… (lacht) Für mich war die Arbeit sehr lehrreich. Ich konnte wichtige Kontakte in der ganzen Bundesliga knüpfen, die bis heute bestehen. Als Sportjournalist sind solche Beziehungen Gold wert. Deshalb überlegst du dir genau, was du über wen schreibst. Unser Chef verlangte von uns, dass jedes einzelne Zitat autorisiert wurde. Kein Zitat wurde also gedruckt, ohne, dass der Interviewpartner es vorher abgesegnet hat. Für das Vertrauensverhältnis und die langfristige Beziehung war das hilfreich. Die Sportler können so freier erzählen, weil sie wissen, sie können sich das Gesagte noch einmal durch den Kopf gehen lassen, ob sie es wirklich so in der Zeitung lesen möchten. Das schafft Vertrauen.

Bist Du froh, als Chefredaktor nicht mehr immer eine Geschichte liefern zu müssen, also nicht mehr diesem Druck ausgesetzt zu sein?

Ich spüre den Druck immer noch, einfach anders. Zwar bin ich jetzt nicht mehr so aktiv auf Themensuche, aber dafür bin ich für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich. Den Druck machst du dir immer selber. Und ich erwarte von mir persönlich, dass ich meine Arbeit gut mache.

Bei Sport-Bild hast Du auch erlebt, wie gross der Konkurrenzdruck ist und insbesondere auf Auflage geachtet wird. Wie ist es in der Schweiz?

Wir bei blue Sport wollen klar die Nummer eins im Fussball sein. Die Homepage blue News soll noch relevanter für Fussball-Fans werden – im Zusammenspiel mit dem TV, wo wir als Rechteinhaber der Super League und der Champions League unangefochten sind. blue News ist die viertgrösste Plattform der Schweiz, was eine gute Leistung ist. Bei den TV-Rechten gibt es natürlich den internationalen Wettbewerb, der immer härter wird. Das ist nicht von der Hand zu weisen.

Was in den letzten Jahren gelitten hat, ist der Ruf der Journalisten. Wie erlebst Du es bei Deinem Job?

Ich denke, die Branche muss sich selber gesund pflegen. Journalist ist eine Berufung, kein Beruf. Journalist sollte nur werden, wer grosse Freude am Inhalt hat. Die Grenze zwischen Privat und Beruf verschmilzt häufig, weil man ständig Ideen erhält, was eine Geschichte sein könnte. Schade ist einfach, dass die Redaktionen so ausgedünnt wurden und viele junge Leute so lernen, schnell Storys abzuschreiben, weil sie Klicks bolzen müssen. Sie vergessen dabei, wie wichtig es wäre, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen oder mit Menschen vor Ort zu sprechen. Gleichzeitig sind viele Chefs zufrieden, wenn sie das so machen, weil sie dann ihre Klickziele erreichen. Das ist gefährlich. Die Medienlandschaft läuft Gefahr, dass sie ein ‘Einheitsbrei’ wird – und man die Menschen zu sehr auf Klicks statt auf Inhalt trimmt. Wenn Du aber Beruf und Job am Ende so liebst wie ich, dann bist Du vielleicht weg vom Acht-Stunden-Tag und zu oft erreichbar. Aber der Vorteil ist: Ich bin nicht himmelhochjauchzend unterwegs, wenn ich Ferien habe – im Umkehrschluss aber auch nicht zu Tode betrübt, wenn der erste Arbeitstag ansteht. Das finde ich ganz schön.

(Bild: pd)

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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