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Gastkommentar

Feminität in der Politik – geht das?

Ein Video der finnischen Regierungschefin Sanna Marin geht viral. Auf dem Video sieht man Marin tanzend auf einer privaten Party, bei der sie ersichtlich Spass hat und das alles, während es mit Finnlands innenpolitischer Lage nicht sehr gut steht.

Linda Heller am 22. September 2022

Skandalös. Medien berichten von einem «Sexy Tanzvideo» und Twitter dreht durch. Wer dieses private Video geleakt hat, interessiert die wenigsten. Das Politiker:innen ein Privatleben haben ist nicht leicht nachzuvollziehen, doch es soll ihnen gegönnt sein, solange dieses Privatleben so etwas wie Wandern, Lesen und Zeit mit der Familie Verbringen bedeutet. Wenn eine junge Politikerin sich in ihrem Privatleben dafür entscheidet, zu feiern und dabei in einem engen Kleid zu tanzen, geht das vielen Menschen zu weit, auch wenn sie das selber gerne tun. Es geht vielen zu weit, weil sie dem stereotypischen Bild einer kompetenten Person in vielerlei Hinsicht widerspricht. Dabei möchte ich mich auf zwei Dinge fokussieren, die miteinander interagieren: das Alter und die Kulturdimension Feminität vs. Maskulinität. Sanna Marin ist jung und feminin. Kompetenz ist alt und maskulin. Politik ist alt und maskulin. Dumm, naiv und nicht ernst zu nehmen, ist jung und feminin. Sanna Marin hat es nicht einfach oder zumindest nicht so einfach wie ihre Politkollegen. Ein Boris Johnson oder ein Donald Trump musste sich nie einem Drogentest unterziehen, obwohl auch Videos von diesen Politikern existieren, in denen sie auf Partys tanzen. Bei Männern tolerieren Menschen mehr als bei Frauen. Viele von den Männern können sich sogar Vergewaltigungsvorwürfe leisten.

Zurück zur Regierungschefin: Sanna Marin darf nicht zu feminin sein, sonst werden ihr gewisse Qualitäten wie z.B. Führungskompetenz abgesprochen, aber sie darf auch nicht zu maskulin sein, denn sonst gilt sie schnell als empathielos, weil von ihr als Frau grundsätzlich eine grosse Empathie erwartet wird. Wenn sie zu nett ist, gilt sie als nicht standhaft. Wenn sie sich zu fest aufregt, gilt sie als hysterisch. Frauen (geschweige denn non-binäre Personen) dürfen sich weniger erlauben als weisse cis Männer, um nicht gesellschaftlich geächet zu werden.

Mich beschäftigt die Frage, wie viel Feminität in der Politik erlaubt ist. Zu Deutsch: Ab wann wird Feminität mit Inkompetenz gleichgesetzt?

Kleider machen keine Leute

Meine WG-Mitbewohnerin trägt fast täglich einen Rock mit Blümchenmuster drauf. Im Labor der ETH hält sie mit diesem Outfit selten jemanden für die wissenschaftliche Mitarbeiterin und oftmals sind die Studierenden (vorwiegend jungen Männer) überrascht, wenn sie in ihrem Blumenrock auf einmal sagt, wie dies und jenes funktioniert. Wäre das anders, wenn sie auf ihren Rock mit Blümchenmuster verzichten würde? Wäre es anders, wenn sie ein weisser cis Mann wäre? Das Geschlecht sagt nichts über die Kompetenz eines Menschen aus. Theoretisch wissen das die meisten Menschen, doch das Patriachat wirkt sich unbewusst auf unser Denken und dementsprechend auch auf unser Verhalten aus.

Kleider machen schon lange keine Leute mehr, sondern ausgebeutete Kinder in Südostasien. Menschen müssen sich daran gewöhnen, dass Frauen in Blumenröckchen Doktorandinnen der ETH sind. Ebenso müssen wir verlernen, dass Männer in Anzügen grundsätzlich kompetent sind. Frauen können stark geschminkt und in einem engen Kleid Führungskompetenzen aufweisen. Lippenstift macht nicht dumm. Gewöhnen wir uns daran, dass Kompetenz so aussieht, wie Sanna Marin im «Sexy Tanzvideo».

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Autor/in
Linda Heller

Linda Heller, geboren 1998 in Arbon, studiert zurzeit Psychologie an der Universität Zürich. Vor ihrem Psychologiestudium hat sie die Höhere Fachschule für Urbanen und Zeitgenössischen Bühnentanz in Zürich abgeschlossen. Seither arbeitet sie als freischaffende Tänzerin, Choreografin und Tanzlehrerin. Ausserdem ist sie für die SP im Stadtparlament Arbon tätig.

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