Vom Watteproduzenten zum Vorreiter der Nachhaltigkeit: Claude Rieser geht mit Step Zero in Flawil neue Wege und verschreibt sein Unternehmen der Kreislaufwirtschaft. Was ihn antreibt, erklärt er im Gespräch mit «Die Ostschweiz».
Claude Rieser, was hat Sie persönlich zur Nachhaltigkeit geführt?
Mein Weg zur Nachhaltigkeit begann aus dem tiefen Bedürfnis, sinnvoll zu handeln. Nachhaltigkeit ist für mich essenziell. Ich habe mich stets gefragt, wie wir als Gesellschaft alles besser machen können, ohne dabei dogmatisch zu sein. Zum Beispiel habe ich meinen Fleischkonsum reduziert und kaufe Fleisch nur noch von lokalen Bauernhöfen. Ich versuche Auto durch Velo und Flug- durch Zugreisen zu ersetzen. Auch im Berufsleben bemühte ich mich stets, nachhaltige Lösungen zu finden. Ein Punkt, der für mich als Konsument schwierig bleibt, ist die Bekleidungs- und Modeindustrie. Da habe ich für mich noch keine befriedigende Lösung gefunden.
Warum ist es so schwierig, in Bezug auf Kleider nachhaltig zu handeln?
Die Modeindustrie ist problematisch, weil die Rückverfolgbarkeit der Textilien oft fehlt. Viele Materialien sind heute nicht mehr trennbar, was das Recycling erschwert. Unternehmen wie H&M haben jedoch interessante Initiativen gestartet, um Altkleider chemisch aufzulösen und neu zu spinnen. Oder Nike, mit der Rückgabemöglichkeit für Sneakers. Auch den Bereich Secondhand finde ich spannend.
Wie kam es zur Gründung von Step Zero?
Der strategische Entscheid zum Thema Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit ist schon vor Jahren gefallen. Wir standen mit Flawa in der Watteproduktion unter enormem Konkurrenzdruck und mussten uns neu positionieren. Wir wussten, dass Nachhaltigkeit im Schuhsohlenbereich fehlte und beschlossen, uns darauf zu spezialisieren. Unsere Prozesse sollten verbessert und die Produkte kreislauffähig gemacht werden. Nach der Entscheidung der amerikanischen Muttergesellschaft, die Watteproduktion zu schliessen, führten wir ein Management-Buy-out durch, gründeten Step Zero und entwickeln heute nachhaltige Materialien für die Schuhindustrie.
Die Schliessung der Watteproduktion war einschneidend. Können Sie uns vom schwersten Tag Ihres Lebens erzählen?
Das war zweifellos der Tag, an dem wir die Entscheidung treffen mussten, den Wattebereich zu schliessen. Dies bedeutete nicht nur das Ende eines über 100-jährigen Kapitels, sondern hatte auch tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Mitarbeitenden und deren Familien, da es eine Massenentlassung zur Folge hatte. Es war eine emotionale und belastende Zeit für uns alle. Viele langjährige Mitarbeitende mussten sich neu orientieren, und ich fühlte mich verantwortlich, ihnen so gut wie möglich zu helfen. Ich bin sehr froh, dass wir es so gut hinbekommen haben. Es fiel in der ganzen Zeit kein böses Wort. Diese Erfahrung hat mich und unser Team stark geprägt und uns dazu motiviert, Step Zero zu gründen.
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Entwicklung kreislauffähiger Produkte?
Eine der grössten Herausforderungen ist die Skalierung, also die Produktions- und Umsatzsteigerung, um die Kosten zu senken. Zudem ist die Entwicklung von Materialien, die kreislauffähig und gleichzeitig marktfähig sind, komplex. Wir haben beispielsweise mit unseren zu 100 Prozent biologisch abbaubaren Frischesohlen für den Detailhandel viele Schritte vorausgedacht, doch der Markt scheint noch nicht bereit. Das zeigen die Rückmeldungen der Detailhändler. Daher gehen wir schrittweise vor, um den CO2-Fussabdruck zu reduzieren und gleichzeitig die Akzeptanz zu erhöhen.
Das heisst, Ihre kreislauffähigen Frischesohlen kommen noch nicht auf den Markt?
Richtig. Für das Retailgeschäft fokussieren wir uns auf nachhaltigere Alternativen zu bestehenden Produkten, zum Beispiel durch die Verwendung natürlicher Materialien oder mit reduziertem CO2-Abdruck.
Hinter Ihrem Engagement steckt viel Idealismus. Glauben Sie, Sie halten diesen bis zur Pensionierung durch?
(Lacht) Das hoffe ich sehr. Natürlich steckt eine Spur Idealismus dahinter. Aber ich muss mich auch immer wieder daran erinnern, dass es nicht nur um den idealistischen Weg geht. Es ist wichtig, kontinuierlich nach Verbesserungen zu suchen und pragmatische Lösungen zu finden. Der Idealismus treibt uns an, aber die realistischen Schritte und Fortschritte sind entscheidend, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken.
Wie sieht die Zukunft der Kreislaufwirtschaft aus?
Die Kreislaufwirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Es gibt Idealvorstellungen wie Cradle-to-Cradle, ein vollständiger Kreislauf, in dem die Qualität der Materialien erhalten bleibt. Doch in der Praxis ist das schwierig. Wichtig ist, dass wir uns kontinuierlich verbessern und eng in Partnerschaften zusammenarbeiten, wo ebenfalls nachhaltige Ziele verfolgt werden. Ein Schlüsselaspekt wird die Innovationsbereitschaft der Industrie sein. Ein Weg könnte auch sein, dass man mehr für die Nutzung von Produkten ausgibt als für den Besitz. Ich möchte gern eine Erfahrungsgruppe in der Ostschweiz ins Leben rufen, damit gleichgesinnte Unternehmen sich austauschen können. Wir kommen alle an die gleichen Themen: Wie sollte man die Produkte zertifizieren? Wie bringen wir die Materialien zurück in den Kreislauf? Auf welche Art kann man kompostieren?
Welche Länder sind in der Kreislaufwirtschaft führend?
Betrachtet man die Forschungsaktivitäten, so sehen wir im DACH-Raum sehr viel Tätigkeit in der Materialforschung. Wenn es aber um Projekte in der Umsetzung geht, so sind sowohl Norditalien als auch Holland sehr weit vorn. Gesellschaftlich gesehen haben die skandinavischen Länder eine hohe Akzeptanz der Kreislaufwirtschaft. Bei uns haben wir jedoch eine besondere Herausforderung: der fehlende Zugang zu EU-Forschungsgeldern und Forschungsprojekten. Es gibt jetzt ein Innosuisse-Projekt, um die wissenschaftsbasierte Innovation in diesem Bereich zu fördern. Ich finde, die Schweiz hat gut auf die Situation reagiert. Die Innovationsgelder wurden erhöht, um den KMU die Forschung zu ermöglichen. Doch gesamthaft ist es kein guter Zustand: Die internationalen Beziehungen sind im Forschungsbereich entscheidend.
Welche Rolle spielt die Politik in diesem Prozess?
Die Politik, insbesondere durch Initiativen wie der EU-Green-Deal, spielt eine entscheidende Rolle. Sie setzt Rahmenbedingungen, die Unternehmen zu nachhaltigem Handeln zwingen. Allerdings ist es wichtig, dass die Politik nicht nur Vorgaben macht, sondern auch Anreize schafft und Unterstützung bietet. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Nachfrage zu erfüllen und gleichzeitig die Produktionsprozesse zu optimieren. Die Politik kann und muss beschleunigen, damit es passiert. Wäre es marktwirtschaftlich die beste Variante, nämlich die ökonomischste, hätten wir es längst gemacht. Offensichtlich ist es leider nicht so.
Wie integrieren Sie Ihre Mitarbeitenden in diesen Transformationsprozess?
Unsere 17 Mitarbeitenden sind intrinsisch motiviert und bringen einen Start-up-Spirit mit. Sie sind von der Vision der Kreislaufwirtschaft überzeugt und arbeiten engagiert daran, innovative Lösungen zu entwickeln. Wir messen unsere Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit mit KPIs, also Leistungskennzahlen, und teilen diese regelmässig mit dem Team – und feiern somit kleine Erfolge gemeinsam.
Was sind Ihre langfristigen Ziele für Step Zero?
Unser Ziel ist es, Produkte anzubieten, die vollständig kreislauffähig sind und keinerlei schädliche Inhaltsstoffe enthalten. Wir möchten die Schuhindustrie mit biologisch abbaubaren und kreislauffähigen Materialien revolutionieren und die Schuhaussensohle als einer der Topverursacher von Mikroplastik komplett neu gestalten. Dies ist ein langer Prozess, der viel Forschung und Entwicklung erfordert. Doch wir sind überzeugt, dass es der richtige Weg ist, um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten.
Zur Person
Claude Rieser ist seit 2019 der CEO von Step Zero AG in Flawil, ehemals bekannt als Flawa Consumer GmbH. Das Unternehmen konzentriert sich seit Aufgabe der Watteproduktion auf die Kreislaufwirtschaft und die Entwicklung nachhaltiger Produkte, darunter vollständig biologisch abbaubare Frischesohlen. Claude Rieser hat an der ETH Zürich studiert und lebt in Trogen.
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
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