Um es gleich klarzustellen und transparent zu machen: Ich wähle in der Regel FDP und SVP. Mitunter auch die Mitte. Dennoch ist meine persönliche Person des Jahres 2023 die Grünen-Politikerin Franziska Ryser. Sie macht nicht nur laufbahntechnisch alles richtig, sie hat mich auch überrascht.
Als bei den ordentlichen Wahlen im Herbst 2019 plötzlich der Name Franziska Ryser bei den gewählten St. Galler Nationalrätinnen auftauchte, dachte ich – wie wohl viele –, dass hier eine (damals noch) 28-jährige Jungpolitikerin mit der grünen Welle nach Bern gespült worden ist. Bei der GLP schoss zeitgleich ein Mann namens Thomas Brunner über die Ziellinie. Den hatte man auch nicht auf dem Radar.
Kann passieren. Wird dereinst wieder korrigiert werden. Brunner nahm die Korrektur gleich selbst vor und zog sich vor den nächsten Wahlen zurück. Er umschiffte damit das Attribut eines «Abgewählten Nationalrats» geschickt. Und ganz ehrlich: Der Mann überzeugte mich auch als Politiker nie.
«Polit-WG» als Marketing
Anders die Ryser. Den Einzug in die Polit-WG zusammen mit Mike Egger (SVP) und Andri Silberschmidt (FDP) ordnete ich noch als geschickten, aber offensichtlichen Marketingschachzug ein. Letztlich war es wohl beides – geschickt und auch inszeniert. Der Begriff «Polit-WG» hat sich inzwischen bereits in den politischen Köpfen verankert – und auch auf Google.
Dann aber setzte sich Franziska Ryser politisch ordentlich in Szene – durchaus (ich muss das nochmals erwähnen) selten deckungsgleich mit meinen eigenen Ansichten. Aber immer mit so viel Enthusiasmus und Themenkenntnis, dass ich respektvoll zuhörte. Wenn eine knapp 30-jährige Politikerin (und nein, das weibliche Geschlecht tut hier nichts zur Sache) mit mehr Dossierkenntnis auftrumpfen kann als so mancher gestandene Nationalrat, dann macht das bei mir Eindruck. Und ich behalte meinen Glauben daran, dass die Jugend doch noch etwas für unser Land tun will.
Im Umfeld von Politgrössen
Franziska Ryser traf ich zum ersten Mal im Frühling 2023, als sie für den Ständerat kandidierte. «Die Ostschweiz» produzierte Podcast- Gespräche mit allen vier Kandidatinnen. Esther Friedli von der SVP blieb mir aufgrund ihrer sich selbst zurückhaltenden Art (aber immer scharf in der Sache) in Erinnerung. Susanne Vincenz von der FDP ist in meinen Augen eine ausgeglichene Person, die es wirklich liebt zu politisieren. Barbara Gysi erstaunte mich mit ihrer humoristischen (ja, durchaus!) und auch sehr sensiblen Seite. Wie sollte das eine Franziska Ryser noch toppen? Sie tat es mit einer sachlich charmanten Art und doppelte mit Wissen und Schlagfertigkeit nach.
Zur Ständerätin wurde Ryser 2023 nicht gewählt. Aber genauso wie die gewählte Esther Friedli wird sie im Jahr 2023 bereits als potenzielle Bundesrätin gehandelt. Und nochmals: Die Frau ist erst seit vier Jahren Nationalrätin und hat die 30 knapp überschritten.
Gütezeichen
Und was sagt es über eine Politikerin aus, die trotz eines starken Einbruchs ihrer Partei (gesamtschweizerisch) bei den eidgenössischen Wahlen ein absolutes Topresultat erzielt?
Dass man ihr vertraut und sie für authentisch hält. Egal ob man nun politisch gleicher Meinung ist: Das ist für mich inzwischen schon ein absolutes Gütezeichen. Heilig ist Franziska natürlich nicht und wird es auch niemals werden. Aber ein gewisser politischer Glanz geht zumindest von ihr aus.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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