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Weniger arbeiten, gleich viel verdienen?

SP-Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten – «Abstruse Forderung, die den Wohlstand der Schweiz aufs Spiel setzt»

Gleicher Lohn, aber kürzere Arbeitszeiten: Das will SP-Politikerin Tamara Funiciello erreichen – allenfalls per Volksinitiative. Bei Ostschweizer Gewerbevertretern löst diese Idee vor allem eines aus: Kopfschütteln.

Marcel Baumgartner am 29. Juni 2023

Tamara Funiciello ist nicht gerade bekannt, für Zurückhaltung. Sie selbst könnte sich durchaus vorstellen, dereinst im Bundesrat zu politisieren. Und gerne inszeniert sie sich im Kampf gegen «alte weisse Männer». Aktuell legt sich den Fokus auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie sie in einem Interview mit «20 Minuten» erläutert. Sie stellt die Frage: «Wollen wir ‘läbe zum bügle oder bügle zum läbe’?»

Zusammen mit den SP Frauen lanciert sie eine Kampagne und prüft die Lancierung einer Volksinitiative. Das Ziel: eine Senkung der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn. Dass dies – wie von einigen Arbeitgebern eingeworfen – zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels führen könnte, hält Funiciello für einen Trugschluss. Der Fachkräftemangel herrsche dort, wo die Arbeitszeiten schon heute hoch und unregelmässig seien. Wie das Ganze finanziert werden soll, darüber äussert sich die SP-Politikerin im Interview nicht.

Von einer nicht finanzierbaren Idee spricht denn auch Felix Keller, Geschäftsführer des Kantonalen Gewerbeverbandes St.Gallen: Der Ruf linker Kreise nach Arbeitszeitverkürzung sei nicht neu und komme alle paar Jahre wieder. «Mit der Idee, dass die Verkürzung bei gleichbleibendem Lohn erfolgen soll, verkennt Tamara Funiciello die Realität.» Klar sei, dass weniger Arbeitszeit zu weniger Kaufkraft und weniger Wertschöpfung führe. Keller weiter: «Die Unternehmen können nicht die Produktivität senken und die Ausgaben (sprich die Löhne) auf gleichem Niveau belassen – das ist nicht finanzierbar.» Mit der «absurden Idee» der Arbeitszeitverkürzung werde zudem der Fachkräftemangel in allen Branchen zusätzlich angeheizt. Der Geschäftsführer warnt: «Die Schweiz muss aufpassen, dass mit solchen abstrusen linken Forderungen nicht unser Wohlstand aufs Spiel gesetzt wird.»

Kellers Amtskollege aus dem Kanton Thurgau, Marc Widler, argumentiert ähnlich: «Von einer Senkung der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn halte ich gar nichts, weil dadurch die Produktivität in den Unternehmen und damit die Wirtschaftsleistung abnimmt. Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die nicht auf Kosten der Produktivität gehen, sind flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice, Jobsharing oder Betreuungsangebote. Eine attraktive Arbeitsplatzgestaltung setzt zudem vorhandenes Fachkräftepotential frei.»

Und auch Jérôme Müggler, Direktor der IHK Thurgau bläst ins selbe Horn: Die Forderung nach einer 4-Tage-Woche mit 100 % Lohn sei eine Utopie und klar abzulehnen. De facto würde dies eine 20%-Lohnerhöhung bedeuten. «Markant höhere Löhne heisst mehr Kosten, was in höheren Preisen für uns alle resultieren würde. Zudem haben wir in der Schweiz eine Vertragsfreiheit» so Müggler.

Wenn sich also eine Arbeitgeberin und ein Arbeitnehmer finden, die beide eine solche Regelung wollen, steht dem bereits heute nichts im Wege. Es gebe keinen Grund, warum sich der Staat hier einmischen sollte. Schliesslich sei die Idee in vielen Berufen nicht praktikabel – ein Busfahrer beispielsweise könne seine Fahrten nicht durch Effizienzsteigerungen an vier statt an fünf Tagen machen. «Und logischerweise bräuchte es für die gleiche Produktivität, wenn alle weniger arbeiten, mehr Personen im Arbeitsmarkt. Das ist eine simple Rechnung», so Müggler.

Flexible Arbeitsmodelle sind Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und eine Chance zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität. Diese Meinung vertritt auch Markus Bänziger, Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. «Eine gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn ist abzulehnen. Der mittlerweile branchenunabhängige Arbeitskräftemangel wird sich aufgrund der Alterung der Gesellschaft weiter verschärfen. Als Gesellschaft werden wir künftig mit weniger Menschen mehr Arbeit leisten können.»

Zudem: Für die exportorientierte Wirtschaftsregion Ostschweiz würde eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichen Löhnen die international schon maximalen Lohnstückkosten weiter antreiben. Die Bedürfnisse nach flexibleren Arbeitsmodellen sollten laut Bänziger durch Verhandlungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmenden erfüllt werden, denn sie kennen ihre Bedürfnisse am besten.

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Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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