Ist eine Rückkehr in den Arbeitsalltag nach einem Burnout möglich? Ulrich Scherrmann aus Gais, selbständiger Coach, Organisationsberater und Supervisor, ist Autor des neuen Buches «Zurück ins Leben - Gesundheit erhalten, Leistung stärken». Der Burnout-Experte gibt darin praktische Anleitungen.
Text: Claudia Hutter
«Burnout und Depression kommen nicht von ungefähr. Diesem Zustand geht ein längerer, unerkannter Prozess voraus», sagt Ulrich Scherrmann. Seit 27 Jahren wohnt er zusammen mit seiner Frau in Gais. Bis im letzten Jahr hatte der Diplom-Theologe, aufgewachsen im deutschen Saarland, ein Teilzeitpensum als Religionslehrer an der Kantonsschule St.Gallen. Seit seinem Studium arbeitet er als selbständiger Berater. In seinem ersten Beruf war er Bankkaufmann. Eigentlich habe er Wirtschaftspädagoge werden wollen, erzählt er. Doch es kam anders. Die Theologie brachte ihn näher zu den Menschen. Den wirtschaftlichen und organisatorischen Zusammenhängen geht er als Organisationsberater auf den Grund.
Gute Kontakte zur Klinik Gais
Die örtliche Nähe von seinem Haus, Mohres 16, in kurzer Fussdistanz zur Reha-Klinik Gais, liesse darauf schliessen, dass der Coach, Organisationsberater und Supervisor BSO (Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung) dort ein Engagement als Angestellter hatte. Die Klinik Gais, welche zu den Kliniken Valens gehört, ist eine Fachklinik für Kardiologie, Psychosomatik und Psychiatrie. Angestellt war Ulrich Schermann an der Klinik Gais nie, auch wenn er dennoch kommende Woche dorthin zur Buchvernissage einlädt. «Kontakte zur Klinikleitung bestanden immer. Es gab verschiedene Projekte zusammen mit der Klinik und einer Gesundheitsorganisation», erläutert der Autor. Insbesondere unterhielt er eine enge Beziehung zu Torsten Berghändler, der an der Klinik Gais von 2007 bis 2010 Chefarzt und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie war.
Personale und betriebliche Ursachen
Im Buch «Zurück ins Leben» geht der Autor ausführlich darauf ein, was in Organisationen Stress auslöst und wie damit von Seiten der Mitarbeitenden als auch der Führungskräfte auf eine konstruktive Art umgegangen werden sollte. Wichtig ist dem Autor zu differenzieren: Welches sind personale und welches sind betriebliche Faktoren? Könne sich ein Mitarbeitender nicht klar abgrenzen, ein Nein einbringen, wenn es zu viel werde, so komme er mit der Zeit in einen inneren Stress. Gemäss Ulrich Scherrmann müssen gleichzeitig die Aspekte im Unternehmen unter die Lupe genommen werden. Es sind dabei mehrere Fragen zu klären, so etwa: Wo bestehen Kommunikationsdefizite? Gibt es eine klare Einteilung der Zuständigkeiten? Bei wem liegt die Verantwortung für welchen Prozess? Ausschlaggebend für sein erstes Buch «Stress und Burnout in Organisationen» waren für Ullrich Scherrman vor einigen Jahren die Erfahrungen als begleitender Organisationsberater in einem Unternehmen. Gleichzeitig waren dort mehrere Führungskräfte mit einem Burnout diagnostiziert worden. «Das hat mich aufhorchen lassen. Ich erkannte, dass es nicht allein an den Menschen lag, sondern auch an den organisatorischen Prozessen und Strukturen innerhalb des Unternehmens». Diese Zusammenhänge wollte er beleuchten.
Alltag braucht Struktur
Schon vor einigen Jahren erhielt er die Zusage des Fachverlags Springer aus Wiesbaden, das vorgeschlagene Thema in Buchform vorzulegen. Das motivierte ihn zusätzlich, sich eingehender mit der Thematik auseinanderzusetzen. Wichtig ist dem Autor, mit einfachen Übungen Betroffenen aufzuzeigen, wie sie nach einem Klinikaufenthalt schrittweise den erneuten Einstieg in den Arbeitsalltag schaffen. Im umsorgten Umfeld der Klinik finden sich viele Patienten schnell zurecht. Die Tage sind strukturiert mit Terminen bei Fachärzten, Therapeuten, Physiotherapie, Komplementärtherapie, gemeinsamen Spaziergängen und vielem mehr. Doch was erwartet die Betroffenen danach, wenn sie zuhause sind? Und welche Hürden haben sie zu überwinden, wenn sie an den Arbeitsplatz zurückkehren möchten? Ullrich Scherrmann: «Es ist eine enorme Aufgabe für Betroffenen, nach dem Klinikaufenthalt, der mehrere Wochen bis sogar Monate dauert, einen strukturierten Alltag zu gestalten».
Das Buch richtet sich vor allem an Menschen, welche nach einem stationären Aufenthalt aufgrund von Burnout oder Depression oder nach ambulanter Behandlung dieser Diagnose den Rückkehrprozess ins «normale» Leben vor sich haben. Es kann aber auch eine wertvolle Lektüre sein für alle andern Menschen mit einer Erkrankung.
Sport und Meditation
Arbeit betrachtet der Berater, der auf eine über 40-jährige Berufserfahrung zurückschaut, als ein wichtiger Faktor, um gesund zu werden. «Arbeit erfüllt, wirkt stabilisierend, vermittelt Sinn», so der Gaiser. Die Sinnfrage ist aufgrund seiner Erfahrungen mit Klienten nach einem Burnout umso dringlicher zu beantworten. Mit Sport, im Winter besonders Langlaufen , Skifahren und Skitouren oder Joggen, gewinnt der 64-Jährige selbst Abstand zum Berufsleben. Sport war für ihn schon immer wichtig. Doch auch mit einer Achtsamkeitsmeditation, die er jeden Morgen während 20 Minuten macht, zentriert er sich. Dies hat er bereits in seinen Studienjahren praktiziert und bis heute nie damit aufgehört. Und wenn es mal eng werde auf der Brust, dann atme er tief durch und setze sich erst richtig gut hin, Füsse spüren und sich erden – so der Experte. Denn Stressindikatoren bleiben auch beim Burnout-Spezialisten nicht aus, doch sie bleiben Anzeigen, Warnsignale. Er weiss, dass der Körper eine eigene Sprache spricht, die es rechtzeitig zu erkennen gilt.
Buchvernissage mit Ulrich Scherrmann:
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