Die Sache ist klar: Der 1. Mai ist kein Feiertag im Kanton St.Gallen. Geschäfte mit der kantonalen Verwaltung sollte man dennoch nicht auf diesen Tag legen. Denn für sie gilt eine «Ruhetagsregelung»: Am Nachmittag ist der Laden dicht. Das erntet nicht nur Verständnis.
Der 1. November ist ein Feiertag, der 1. Mai nicht. Das Stimmvolk im Kanton St.Gallen hatte einst die Wahl, welchen Tag sie bevorzugt, das Verdikt war klar: Man wollte lieber an Allerheiligen blau machen als am Tag der Arbeit.
Und deshalb herrscht heute munteres Treiben am Arbeitsplatz. Jedenfalls in der Privatwirtschaft. Die kantonale Verwaltung geniesst einen freien Halbtag. Ab Mittag macht sie den Laden dicht. Obwohl kein Feiertag ist.
Das ist nicht neu. Aber es wirft Jahr für Jahr Fragen auf. Schon 2004 musste die St.Galler Regierung auf einen entsprechenden Vorstoss hin erklären, warum die Verwaltung ein Privileg geniesst, das private Arbeitnehmer nicht haben.
Das Geheimnis heisst «Ruhetagsregelung». Dort sind nicht nur die gesetzlichen Ruhe- und Feiertage enthalten, sondern auch einige Spezialfälle. Zum Beispiel der 24. und 31. Dezember, die rein technisch normale Arbeitstage sind, aber als «Ruhetage» gelten. Und das gilt auch für den 1. Mai nachmittags.
Die Regelung war seinerzeit das Ergebnis aus Verhandlungen mit den Personalverbänden. Diese wollten - das hielt die Regierung 2004 fest - mehrfach noch weiter gehen, es blieb aber beim damaligen Umfang. In der Antwort auf den Vorstoss hiess es sinngemäss, unterm Strich stehe die Verwaltung mit der Anzahl an freien Tagen nicht besser da als die Privatwirtschaft. Als «Beleg» wurden die Regelungen von verschiedenen Firmen angeführt. Dabei handelte es sich allerdings ausnahmslos um Grossunternehmen. KMU und Gewerbebetriebe können da kaum mithalten.
Bis heute stören sich viele daran, dass an der Urne ein klares Verdikt gegen den 1. Mai als Feiertag fiel, die kantonale Verwaltung - und übrigens auch diejenige der Stadt St.Gallen - aber unter dem Stichwort Ruhetag einfach einen halben Tag die Pforten schliesst.
Aber an der Ruhetagsregelung zu rütteln, wäre vermutlich aussichtslos. Es wäre mit geballtem Widerstand zu rechnen.
Wir erinnern uns an das Jahr 2012. Damals trat das neue Personalgesetz des Kantons St.Gallen in Kraft. Eine Auswirkung: Das St.Galler Kinderfest war kein bezahlter Feiertag mehr. Viele Verwaltungsangestellte liefen Sturm dagegen.
Weil das Gesetz am 1. Juni in Kraft trat, wäre die Verwaltung bei einer Durchführung im Mai 2012 noch in den Genuss eines Feiertags gekommen. Entsprechend hofften viele in den Amtsstuben, dass es klappt.
Die Gebete an den Beamten-Gott verhallten aber ungehört: Das Kinderfest fand erst im späten Juni statt.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.