Nichts ist zu abstrus, um einige Schlagzeilen daraus zu basteln. Der «Blick» holt den Fall der ermordeten Ylenia hervor. Die einzige Grundlage: Eine offensichtlich verwirrte «Zeugin», die einen Mittäter benennt - ohne jede Grundlage.
Die fünfjährige Ylenia wird mitten im Dorf Appenzell entführt, in einem Kastenwagen davongefahren und in der Region Oberbüren später tot aufgefunden. Der Täter: Urs Hans von Aesch, der sich noch vor Ort das Leben nimmt.
Als wäre das alles nicht dramatisch genug, hat der «Blick» nun eine neue Zeugin ausgegraben. Sie ist der Überzeugung. im Tatfahrzeug eine weitere Person - die inzwischen verstorben ist - gesehen zu haben. Sogar das Mädchen Ylenia, das nach dem Stand der Ermittlungen zu diesem Zeitpunkt längst narkotisiert war, will die Frau zusammen mit ihrem Sohn gesehen und sogar gehört haben.
Ein geheimnisvoller Mittäter in einem Fall, der längst ad acta gelegt wurde?
Und weil das alles nicht genug abstrus ist, kommt ein weiterer «Zeuge» ins Spiel. Ein gewisser Peter Beutler, der davon lebt, als Hobbykriminologe seine Verschwörungstheorien kombiniert mit realen Ereignissen in Buchform zu verpacken. Er «erkennt» den geheimnisvollen Mittäter sofort im Zug seiner Arbeit an einem Buch über den Kristallhöhlenmord von Oberriet. Dieses Buch ist ein Machwerk, das auf der Grundlage eines wahren Verbrechens mächtig Kasse macht, ansonsten aber nur von wilden Vermutungen lebt.
Wahrlich überraschend, wie hier alles zusammenspielt. Eine dubiose Quelle trifft auf eine andere. Und natürlich erkennt die Zeugin der Entführung von Ylenia den strittigen Mann aus dem Kristallhöhenfall sofort als Komplizen im Fall Ylenia.
Es gibt kaum einen besser dokumentierten Fall als den von Ylenia aus Appenzell. Unzählige Ermittler arbeiteten über lange Zeit unermüdlich daran. Aber ein offensichtlich unterbeschäftigter Buchautor und eine ebenso unterbeschäftigte Frau schaffen es, das Ganze wieder hochzukochen. Und das auf der Grundlage nicht nachvollziehbarer «Beobachtungen».
Leidtragende sind die Direktbetroffenen aus dem Fall Ylenia, allen voran ihre Mutter. Sie muss damit leben, dass sich einige Leute auf Kosten ihrer Tochter wichtig machen - mit angeblichen Wahrnehmungen aus einer Distanz von bald zwölf Jahren. Wie glaubwürdig das ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Vor allem, wenn ein Buchautor beteiligt ist, der ganz offen damit umgeht, Fiktion und Wahrheit munter miteinander zu vermischen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.