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Interview

Abgang nach sechs Jahren: Ein Gespräch über die «anderen Seiten» von FCSG-Trainer Peter Zeidler

Aus 21 Fragen durfte FC-St.Gallen-Trainer Peter Zeidler zehn auswählen. Entstanden ist dieses Gespräch, in dem es um Frauen, Bussen, französische Lebenskunst und Christian Constantin geht. Und um Zeidlers Lieblingsort in der Ostschweiz.

Odilia Hiller am 03. Juni 2024

Dieses Gespräch mit Peter Zeidler fand vor seiner Vertragsunterzeichnung beim Vfl Bochum statt. «Die Ostschweiz» veröffentlicht Ende Juni eine ganze Ausgabe seines Magazins zum Thema FC St.Gallen und die grün-weisse Bewegung, welche Matthias Hüppi in den letzten Jahren ausgelöst hat.

***

Peter Zeidler, sind Sie ein Morgen- oder Abendmensch?

Ganz klar ein Morgenmensch. Um fünf Uhr bin ich auf den Beinen. Das kommt von meinen Eltern, mein Vater hatte einen Handwerksbetrieb. Ich brauche die Morgenstunden für mich, auch zum Reflektieren. Die besten Ideen kommen mir morgens. Was trainieren wir? Mit wem möchte ich wie reden? Dafür bin ich abends früh müde – ich bin ja kein Übermensch. Um zehn bin ich in der Regel im Bett.

Das hört sich asketisch an. Sind Sie ein Asket?

Nein, viele denken das. Ich trinke zwar wenig Alkohol. Aber ich esse viele Süssigkeiten. Apfelkuchen, Apfelstrudel, Vogelnestli… Ich kann Essen sehr geniessen!

Würden Sie gerne einmal eine Frauenmannschaft trainieren?

Ja, klar! Meine Töchter sagen, es wird irgendwann so kommen. Ich sehe sehr gerne Spiele der Frauen an. Von Marisa Wunderlin, Trainerin der Frauen des FC St.Gallen, und ihrer Mannschaft. Ich habe vor ein paar Wochen ein Spiel gesehen gegen den FC Zürich hier im Stadion und war wirklich restlos begeistert. Weil eine richtige Equipe aufgetreten ist mit allem, was zum Fussball gehört. Emotional, sozial, und auch taktisch. Mit einem klaren Plan, strategisch. Das hat mir gefallen. Ob es in der Realität passiert, dass ich Frauen trainiere? Wahrscheinlich nicht, aber warum nicht?

Was wäre anders als bei Männern?

Frauen sind anders. Man muss anders kommunizieren, sie haben eine andere Gefühlswelt. Es ist wichtig, zu verstehen, wie man mit ihnen spricht, was erwartet wird. Das wäre spannend! Es tut sich viel im Frauenfussball. Anfangs wurden alle Frauen von Männern gecoacht. Jetzt gibt es immer mehr Frauen als Trainerinnen. Das ist eine grosse Aufgabe von Marisa Wunderlin, die auch Trainerinnen ausbildet. Beim FC St.Gallen werden Frauen in wichtigen Funktionen gefördert. Ich persönlich schätze vor allem die Bescheidenheit und das Selbstbewusstsein der Spielerinnen.

Wie stolz sind Sie auf Ihre Töchter, und warum?

Ich bin sehr stolz. Nicht nur wegen ihrer Leistungen, sondern weil sie ihren eigenen Weg gehen. Sie sind gute Menschen mit schönen Charaktereigenschaften. Sie sind jetzt 25 und 28 Jahre alt. Ich bin stolz, dass sie bereit sind, ihr Leben zu meistern. Die Beziehung zu meinen Töchtern bedeutet mir sehr viel.

Haben Sie schon einmal eine Busse kassiert?

Ja, eine Geschwindigkeitsbusse. Das lernt man schnell in der Schweiz. Ich bin nicht stolz darauf, aber es hat eine pädagogische Wirkung. Ich bin kein Raser, aber ich fahre zügig.

Smartphones spielen eine grosse Rolle im Leben junger Menschen. Wie sehen Sie das?

Es ist schwierig, die Beziehung zu Smartphones ist kompliziert. Manche Spieler gucken nur auf Instagram, während sich das Stadion mit Zehntausenden füllt. Es ist auch eine Art, Nervosität zu überspielen. Auch nach dem Training sehe ich viele Spieler auf ihr Handy starren, kaum haben sie geduscht. Ich sehe das Thema als riesige Herausforderung für Eltern und Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen, und ich mache mir darüber viele Gedanken.

Wie gehen Sie mit Internet und Sozialen Medien um?

Es ist die einfachste Art, sich abzulenken. Aber man muss aufpassen, nicht zu viel Zeit zu verlieren.

Welche Orte in der Ostschweiz schätzen Sie besonders?

Gais! Im Sommer fahre ich oft mit dem Fahrrad hoch, via Teufen. Die Badi Gais, der Gäbris, der Hohe Hirschberg… Es ist schön da, und man trifft immer nette Leute zum Plaudern.

Frankreich spielt eine grosse Rolle in Ihrem Leben. Was mögen Sie am Lebensstil der Franzosen?

Die Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Der Franzose agiert freier, und man selbst fühlt sich dadurch vielleicht auch freier. Meine Liebe zu Frankreich hat auch mit dem Fussball zu tun. Ich bewunderte den Fussball der 1980er-Jahre. Platini, Giresse, Tigana – das war für mich Fussball.

Könnten Sie sich vorstellen, wieder in Frankreich zu leben?

Ja, klar. Es geht auch um ein Lebensgefühl. Die Sprache, die Art, wie die Franzosen Dinge ausdrücken… Ich lese «L'Équipe». Französische Zeitungen, ob man es glaubt oder nicht, haben oft ein hohes literarisches Niveau. Und dann die Landschaft, die Loire, Paris…

Der Zufall spielt im Fussball eine grosse Rolle. Glauben Sie an Zufall?

Überhaupt nicht. Ich glaube, dass alles vorherbestimmt ist. Wenn man immer gewinnt, ist es kein Glück, sondern Können. Wenn man immer in der letzten Minute ein Gegentor kassiert, ist es Unvermögen. Aber ich glaube, dass man durch seine Gedanken Sachen beeinflussen kann. Die Macht der Gedanken!

Könnten Sie in der Zeit zurückreisen, welches Fussballspiel würden Sie gern miterleben?

Den WM-Final von 1954, Deutschland gegen Ungarn. Das Wunder von Bern! Mein Vater hat mir erzählt, wie die Leute vor dem Radio sassen und dieses Spiel verfolgt haben. Deutschland wurde Weltmeister nach der Katastrophe des Krieges. Es war ein Wahnsinn. Da wäre ich gern dabei gewesen. Vielleicht auch, um meinem Vater näher zu kommen. Ein bisschen wie im Film von Sönke Wortmann.

Sie hatten als Trainer des FC Sion ein bewegtes Verhältnis zu Präsident Christian Constantin. Reden Sie noch mit ihm, wenn Sie ihn sehen?

Ja, klar, wir sehen uns immer wieder, wenn wir mit St.Gallen gegen Sion spielen. Er begrüsst mich auf seine Art, mit Küsschen und Umarmungen. Das gehört dazu im Wallis. Wir reden über Fussball, und diese Leidenschaft verbindet uns. Mir hat es damals weh getan, entlassen zu werden, vor dem Cupfinal. Wir wären im Endspiel des Cups gewesen in Genève mit 25’000 Wallisern. Das wäre ein Traum von mir gewesen. Gegen Basel. Das hatte ich mir erträumt, und das hat er halt nicht zugelassen, indem er mich davor freigestellt hat.

Die Zeit in Sion war aber Ihre Eintrittskarte in die Schweiz.

Ja, genau. Letztendlich verdanke ich Christian die Eintrittskarte für St. Gallen. Ich habe hier sechs tolle Jahre hinter mir! Christian hat mich nach Sion geholt, ich hatte Erfolg, und dann kam St.Gallen. Das vergesse ich ihm nie.

Was nervt Sie an Journalisten?

Wenn sie nicht informiert sind. Sie können eine andere Meinung haben und mich kritisieren, aber sie sollten sich informieren. Schade ist auch, wenn sie aus jeder Tratschgeschichte eine Story fabrizieren. Was Gerüchte angeht, ist St.Gallen manchmal ein Dorf. Das kann frustrierend sein. Ich behaupte nicht, dass mich das nie aufregt.

(Bild: Walter Bieri/Keystone)

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Autor/in
Odilia Hiller

Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.

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