Um der Überschrift die Zweideutigkeit zu nehmen: wir wollen niemanden vor Linkshändern warnen, sondern alle Linkshänder vor dem Internationalen Tag der Linkshänder – der fällt nämlich 2021 auf einen Freitag, den Dreizehnten… Ein Neuropsychologe über den Aberglauben rund um das Thema Händigkeit.
Den Internationalen Linkshändertag gibt es schon seit 1976; das Ereignis jährt sich somit zum 45. Male. Das wäre ein bloss halbrunder Grund zum Feiern, bedenkt man aber, dass genau 77 Freitage, der 13. zwischen damals und heute liegen (7 davon auf einen Voll- oder Leermond fallend ) und wir 2021 den 7. Freitag, den 13. August seither feiern dürfen, ist das schon ein ganz besonderer Grund, wieder einmal an einige Kontroversen rund um die Linkshändigkeit zu erinnern.
Schon bei der Häufigkeit des abnormen Handgebrauchs fängt es an. Gemäss Lehrbüchern bevorzugt ungefähr jedes 10. Kind die Linke spontan für alle einhändigen Aktivitäten. Wahrscheinlich sind es bei der Geburt etwas mehr, denn noch heute ist das, was seltener ist, auch meist etwas suspekt. Und ein Einfluss der Umwelt auf die Händigkeit Heranwachsender lässt sich nicht leugnen; es gibt Kulturen, in denen noch heute der Gebrauch der linken Hand reserviert ist für die Beseitigung von Spuren der Nahrung, welche diese nach erfolgter Verdauung beim Verlassen des Körpers zurücklässt.
Kein Wunder, wenn es da verpönt ist, die gleiche Hand auch für die Nahrungsaufnahme, insbesondere auch zum Füttern anderer, zu benutzen! Kulturunabhängig setzen Rechtshänder rein durch ihre zahlenmässige Überlegenheit ihre funktionellen Spiegelbilder unter gehörigen Druck. Das fängt beim Gebrauch einer Schere an und hört beim Einsatz der PC-Maus nicht auf. Deshalb setzen einige Vertreter der Lateralitätsforschung den Prozentsatz derjenigen, die spontan ihre linke Hand gebrauchen würden, als deutlich höher als 10% an.
Aber nichts wäre falscher, als aus dem unbestrittenen Einfluss der Gesellschaft auf den Handgebrauch zu schliessen, dass die Gene nicht auch eine wichtige Rolle spielen würden. Es gibt zwar kein «Linkshändergen», aber man nimmt heute an, dass epigenetische Faktoren – eine Mischung der Wirkungen von Erbsubstanz, Hormonen und früher Erziehung – den Anteil von Linkshändern innerhalb einer Kultur bestimmen. Wer dies nicht wahrhaben will und rein soziologisch argumentiert, neigt wahrscheinlich auch dazu, sich auf dem Markt genfreies Gemüse aufschwatzen zu lassen.
Es wimmelt von hinkenden Argumenten in der ohnehin müssigen Debatte «Anlage oder Umwelt» - wie so oft, sollte auch hier das «oder» durch ein «und» ersetzt werden. Ein Beispiel: spricht die Tatsache, dass eineiige Zwillinge öfters entgegengesetzte Händigkeit zeigen als Nicht-Zwillinge gegen eine Wirkung der Gene?
Nein, der Unterschied beruht darauf, dass Zwillinge um den Platz im Mutterbauch kämpfen müssen: sie liegen dicht aneinandergeschmiegt und schränken sich gegenseitig in der Beweglichkeit eines der Ärmchen ein: beim einen betrifft die Einschränkung die linke, beim anderen die rechte Körperhälfte. Umwelteinflüsse machen sich bereits in der Gebärmutter bemerkbar!
Nachfolgend listen wir 13 Fragen zum Mythos «Händigkeit» auf. Die Antworten auf einige davon haben noch 1976 anders gelautet. Andere Fragen haben heute wie damals noch keine allgemein akzeptierte Antwort. Damit besteht auch weiterhin Raum für Spekulation, Halbwissen und Aberglaube.
13 Facts zur Händigkeit: Was aberglauben Sie?
1. Ist Linkshändigkeit abnorm?
Definitionsgemäss ja. Der Norm entspricht, was man am häufigsten antrifft, und das sind die rund 90% Rechtshänder.
2. Ist Linkshändigkeit eine Krankheit?
Jein. Linkshänder (das schliesst Männer wie Frauen ein) sind zwar physisch und psychisch so gesund wie Rechtshänder, und doch spricht die medizinische Fachwelt von «pathologischer Linkshändigkeit». Und zwar dann, wenn keine «familiäre Linkshändigkeit» vorliegt, das heisst, wenn nicht entweder die Mutter oder der Vater auch schon linkshändig ist, sondern etwa eine Entwicklungsverzögerung der linken Hirnhälfte zum Ausbleiben einer Präferenz für den Rechtshandgebrauch führt.
3. Wieso weiss man, dass schon Steinzeitmenschen überwiegend Rechtshänder waren?
Ungefähr 9 von 10 Steinwerkzeuge sind für den Rechtshandgebrauch zugehauen, in Höhlen finden sich in 9 von 10 Fällen die Abdrücke der Stützhand links der Malerei.
4. Gibt es im Tierreich auch Linkspföter, Linksflügler und Linksflosser?
Und ob! Händigkeit ist ein Ausdruck einer Asymmetrie, die letztlich im Zentralnervensystem zu suchen ist. Es gibt keine bilateral-symmetrische Tierart, die nicht eine der beiden Seiten bevorzugen würde. Nur überwiegt die Präferenz für eine Seite bei vielen Tierarten nicht auf Populationsebene, sondern variiert von Individuum zu Individuum.
5. Und was ist mit Pflanzen?
Die meisten Schlingpflanzen drehen sich links herum der Sonne zu. Die Drehrichtung einer Art ist dabei rein genetisch kontrolliert; ein «Umlernen» ist bisher nicht gelungen.
6. Welches ist die markanteste Diskriminierung von Linkshändern?
Über fast alle Minderheiten gibt es Witze – den «Linkshänderwitz» gibt es allerdings nicht.
7. Sterben Linkshänder früher als Rechtshänder?
Einige Forscher glauben belegen zu können, dass die Lebenserwartung von Linkshändern eingeschränkt ist. Dies, weil sie häufiger von Arbeitsunfällen mit Todesfolge betroffen seien, da Maschinen primär auf Rechtshandbedienung abgestimmt sind. Es gibt auch Theorien, wonach Linkshändigkeit mit Immunschwäche oder erhöhtem Risiko für bestimmte Krankheiten assoziiert ist. Und dann gibt es Studien, welche jegliche Korrelation zwischen Händigkeit und Lebensdauer ins Reich des Aberglaubens verweisen wollen.
8. Ist die Assoziation links und linkisch respektive rechts und richtig universell?
Tatsächlich ist in allen Kulturen «rechts» eher positiv und «links» eher negativ belegt, auch dort, wo von rechts nach links geschrieben wird. Neuere Erkenntnisse zeigen aber, dass dies nur für die Welt der Rechtshänder gilt: würden Linkshänder über den Sprachgebrauch entscheiden, wäre der Morgenmuffel mit dem rechten Fuss aufgestanden und ein Delinquent wäre vom linken Weg abgekommen.
9. Tritt für gewisse Tierkreiszeichen Linkshändigkeit häufiger auf?
Ja. Unter dem Zeichen Schütze und Steinbock geborene Männer sind besonders häufig linkshändig (für Frauen spielt der Geburtsmonat keine Rolle). Das hat nichts mit den Sternen zu tun, sondern mit dem jahreszeitlich schwankendem Testosterongehalt der Schwangeren, der bei Föten, deren Geburtstermin zwischen November und Januar liegt, die Entwicklung spezifisch der linken Hirnhälfte verzögert. Dadurch wird Linkshändigkeit favorisiert.
10. Sollten sich als Kind zu Rechtshändern umgelernte Linkshänder im Alter wieder zurücklehren lassen?
Auf keinen Fall. Die anfängliche Umschulung hat dem Gehirn schon genügend Verwirrung gebracht. Das System später nochmals umzupolen, bringt nur einer Person einen Gewinn: dem Psychologen, der damit Geld verdient.
11. Sind Linkshänder abergläubischer als Rechtshänder?
Fragebogenstudien haben gezeigt, dass esoterisch Eingestellte häufiger keine klare Bevorzugung der rechten Hand angeben. Dies könnte mit dem Zusammenspiel der beiden Hirnhälften zu tun haben. Es könnte aber auch darauf zurückzuführen sein, dass Esoteriker es «cool» finden, in einer Befragung zur Händigkeit von den Antworten abzuweichen, die sie als typisch erachten.
12. Warum findet der Internationale Linkshändertag am 13. August statt?
Weil im Gründungsjahr 1976 der 13.8. auf einen Freitag fiel und der amerikanische Psychologe Dean Campbell mit dem Aberglauben rund um Linkshändigkeit aufräumen wollte.
13. Ist ihm das gelungen?
Nicht so ganz. Die meisten «Facts» der Händigkeitsforschung werden von Fachleuten auch heute noch kontrovers diskutiert. Dies zeigt, dass etwas so Alltägliches wie die Vorliebe für eine der beiden Hände in ihrem Wesen noch immer unverstanden ist.
Peter Brugger ist Professor für Verhaltensneurologie und Neuropsychiatrie an der Universität Zürich. Ausserdem ist er Abteilungsleiter Neuropsychologie im Rehabilitationszentrum Valens.
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