Der Kulturminister hält sich eine junge Künstlerin als Geliebte und serviert sie bei Nichtgefallen knallhart ab. Den Aufschrei – oder vielmehr: den Seufzer – der bedrängten Kreatur erstickt er mit den Machtmitteln seines Amts.
Zudem fliegt er – Energiekrise hin, Klimawandel her – gerne mit seinem Privatflugzeug kreuz und quer durch Europa.
Dafür gibt es heutzutage im (linken) politischen Diskurs eigentlich ein Modewort: toxische Männlichkeit.
Immerhin: Es ist schön, dass es offensichtlich auch einem linken Mann vergönnt ist, noch wie ein ganzer Kerl zu leben. Schliesslich hat ja niemand die junge Frau gezwungen, eine Affäre mit dem verheirateten Innenminister zu haben.
Doch das bedeutet heutzutage gar nichts mehr. Die Praktikantin Monica Lewinsky spazierte einst ins Büro von Bill Clinton, zog ganz und gar freiwillig ihr Oberteil hoch - und um den armen Bill war es sogleich geschehen. Doch später sah sie sich als Missbrauchsopfer - verführt vom Glanz des Amts und der Aura der Macht von dessen Inhaber. Auch Bersets Gespielin dürfte wohl viel eher dem Glanz des Amts als dem Charme der Glatze und der kräftigen Unterlippe von dessen Inhaber erlegen sein.
Ursprünglich trat die Linke ja mit dem Versprechen der Freiheit an: Nicht erst die 1968-er Bewegung verband die Lust mit der Befreiung und fegte den Mief der Nachkriegsjahre in der Ekstase der sexuellen Revolution hinweg - schon die Bolschewiki und selbst die chinesischen Revolutionäre unter Mao frönten der freien Liebe. Heirat war dort - konservative Gesellschaft hin, rigide Moralvorstellungen her - definitiv out und galt als Relikt einer bourgeoisen Epoche.
Aber die Geschichte zeigt uns eins ums andere, dass auf linke Verheissungen der Freiheit in den meisten Fällen die Realität der Ketten folgte. Und weil die Revolution bekanntlich gerne ihre Kinder frisst, ist es bald einmal auch für die linke Führungsriege mit der Freiheit vorbei. Ein paar Ausnahmen - Mao und Kim Jong-un -, welche den Ausschweifungen frönen, während ihr Volk darbt, ausgenommen. Der heutige linke Mann - per Definition Feminist - lebt als Sklave seiner Ideologie: bestenfalls als halber, aber sicher nicht als ganzer Mann. Der linke Mief ersetzt den rechten Mief, die neue linke Spiessbürgerlichkeit die alte rechte Spiessbürgerlichkeit. Der Spiesser ist heute links.
Alain Berset, man weiss es mittlerweile zur Genüge, nimmt sich immer mal wieder gerne ein paar Freiheiten heraus. Und trotz diverser mehr oder weniger unappetitlicher Affären und den Corona-Leaks rangiert er immer noch auf Platz 3 der beliebtesten Bundesräte.
Wobei seine Popularität kaum der politischen Rechten geschuldet ist - sein mehr als dürftiges Resultat bei der Wahl zum Bundespräsidenten legt davon beredet Zeugnis ab. Warum also stützt die Linke einen Bundesrat, der in seinem Verhalten so vielen Grundsätzen einer frommen linken Lebensführung widerspricht, ja diese geradezu zu verhöhnen scheint?
Ist dies wirklich ein Fall von "Alle sind gleich, aber einige sind gleicher" - welches vom linken Fussvolk im Interesse des Machterhalts ohne Murren hingenommen wird? Oder lebt auch auf der Linken, die sich unter der Dominanz ehemaliger Juso-Kader zunehmend jakobinisch-fundamentalistisch gebärdet, noch irgendwo die Erinnerung an die Freiheit? Ist Berset mit seinen Tabubrüchen und Eskapaden damit eine Art Robin Hood jener Linken, welche sich insgeheim nach mehr Freiheit sehnen?
Leider ist diese Hypothese wohl zu schön um wahr zu sein. Die Wahrheit dürfte auch hier viel prosaischer lauten: Kadavergehorsam.
Die Pandemie-Jahre waren schliesslich geradezu die Hochzeit des Kadavergehorsams. Sagte der Bundesrat in der Person von Alain Berset "Maske auf!" - so hatte dies umgehend zu geschehen. Und sagte er "Maske weg!" dann kam sie ebenso gleich wieder weg. Und manch einer, der noch am 31. März 2022 eine Person ohne Maske im ÖV eigenhändig in den Kerker geschleppt hätte, sass am 1. April fröhlich trällernd und selbstverständlich ohne Maske im ÖV - und bemerkte nicht einmal, wie inkonsequent sein Verhalten war. Schliesslich änderte sich die Welt ja nicht über Nacht.
Es ist natürlich richtig, dass die privaten Affären Bersets nie ein Grund waren, das Amt als Bundesrat niederzulegen. Man sollte sich sowieso vom Glauben verabschieden, dass Bundesräte Vorbilder in tugendhaftem Verhalten sein sollten. Schon das Bundesrats-Salär spricht ja dagegen: Ein hl. Franz von Assisi benötigt keine halbe Million pro Jahr. Solange es die Amtsführung nicht beeinträchtigt oder ein Bundesrat dadurch erpressbar wird, ist mehr oder weniger jede private Schweinerei gestattet.
Auch die derzeit herumgebotene Idee, dass Berset wie seinerzeit Elisabeth Kopp zurücktreten müsse, wenn es sich herausstelle dass er ein Lügner sei, ist Humbug. Politik ist ja nachgerade das Geschäft des Lügens. Kaum ein Abstimmungsbüchlein des Bundes, in dem die Fakten nicht zumindest ziemlich gedehnt werden. Und es sind ja nicht die sieben Bundesräte zusammen, die in heiliger Eintracht miteinander beschliessen, ein wenig zu flunkern. Sondern die Lüge wird meist von dem für das Dossier zuständigen Bundesrat ins Gremium getragen. Oder anders gesagt: Strenggenommen führt ein Bundesrat seine Kollegen bereits damit hinter's Licht.
Wenn ein Bundesrat allerdings seine Kollegen durch gezielte Indiskretionen vertraulicher oder geheimer Informationen an die Medien derart unter Zugzwang setzt, dass sie gar nicht anders können, als ihm zu folgen, dann verunmöglichst er dadurch das übliche und ordnungsgemässe Funktionieren der Regierungsarbeit und dies wäre dann tatsächlich ein Rücktrittsgrund.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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