Was macht den Unterschied in der Berichterstattung? Wann entscheidet sich ein Medium für einen regierungstreuen Kurs, ein anderes dafür, Gegensteuer zu geben? Bei uns ist diese Entscheidung heute exakt ein Jahr alt.
Rückblende: Als Corona losging, im wahrsten Sinn des Wortes, irgendwann früh im Jahr 2020, da herrschte allgemein Unsicherheit. In all den Meldungen aus Wuhan, von Fledermäusen, von Leuten, die panisch aus China zurückgeflogen wurden, lag eine diffuse Bedrohung. Kaum jemand konnte sich ihr entziehen. Wer will sich schon später vorwerfen lassen, die nächste grosse Gefahr unterschätzt zu haben?
Dann schwappte das Ganze in unser Land über. Einzelne Kantone begannen, proaktiv Zahlen zu publizieren. Der erste Todesfall hier, der zweite da. Keiner konnte das damals wirklich beurteilen. Wie verlässlich ist das Gesagte, worauf beruht es, was sagt es aus? Medien rapportieren gerne offizielle Meldungen. Die ersparen das Nachdenken. Wir haben es auch getan. Pflichtschuldig. Einige Monate lang.
Der Wendepunkt liegt heute exakt ein Jahr zurück. Es war der 14. August 2020. Damals begannen wir, uns Fragen zu stellen. Anlass war die Kampagne gegen einen St.Galler Amtsarzt, der sich im Dialog mit seinen Patienten der offiziellen Politik verweigerte. Der keine Lust hatte, die Maskenpflicht und andere Massnahmen mitzutragen, das auch gegenüber seinen Patienten vertrat – und der danach sein Amt und seinen Job verlor. Nachdem ihn eine Zeitung systematisch unmöglich gemacht hatte. Weil sie das, was offiziell gesagt wurde, als einzige Wahrheit verstand und jeden, der sich dem entgegenstellte, als Gegner der Wahrheit einschätzte.
Das warf Fragen auf. Warum war es nicht möglich, die damals aktuelle Coronapolitik, die auf reichlich bescheidenen Informationen fusste, kritisch zu hinterfragen? Warum kostete das einen Mann seine Existenz? Das Resultat war der erste Artikel, in dem wir diese Fragen stellten.
Danach wurde alles nur noch irrer. Es war nur ein Vorbote auf das, was dann geschah. Der Fall von Rainer Schregel, dem bewussten Amtsarzt, war medienwirksam, später wurde er zu einer Art medialem Vorzeigebeispiel. Wer es wagte, Kritik zu äussern, wurde diffamiert, ausgesperrt, letztlich zerstört. Es ging nicht um die Frage, wer das beste Argument hat. Es ging darum, dass eine unsichtbare Linie gezogen wurde, die niemand überschreiten durfte. Was behördlich festgestellt und verordnet wurde, war sakrosankt, wer es in Frage stellte, wurde zur Unperson.
Begründet wurde diese absolutistische Haltung mit der dramatischen Gefahr für die Volksgesundheit und der Angst vor einem überlasteten Gesundheitssystem. Untermauert wurde all das mit einer täglichen Kaskade an Zahlen – Testresultate, Erkrankungen, Hospitalisationen, Todesfälle. Fragen nach der Verlässlichkeit von Tests, nach dem Zusammenhang zwischen dem Virus und der Hospitalisation oder dem Tod wurden weggewischt. Die Übersicht ging verloren, es hiess einfach stets: Es wird immer schlimmer. Sogar angeblich überforderte Krematorien wurden bemüht, um das vor Augen zu führen. Wer nachfragte, war ein Verharmloser, ein Skeptiker, ein Leugner.
Das darf in einer freien Gesellschaft nicht passieren. Am Ende einer Informationskette fallen immer Entscheidungen, und sie gefallen nie allen. Aber vor dieser Entscheidung muss die offene Debatte geführt werden, müssen alle Informationen auf dem Tisch liegen. Und das war schon damals, im August 2020, nicht mehr der Fall.
Das war es, was uns motivierte: Der simple Wunsch nach der Freiheit des Gedanken, der Freiheit des Wortes. Wenn das unterbunden wird, stimmt etwas nicht mehr. Wer das Recht auf seiner Seite weiss, hat es nicht nötig, kritische Stimmen gewaltsam zu unterbinden. Wer glaubt, richtig zu liegen, fürchtet sich nicht vor Gegenstimmen. Tut er es dennoch, ist es ein Zeichen für grösste Unsicherheit.
Deshalb haben wir damals, exakt vor einem Jahr, damit begonnen, systematisch denen eine Stimme zu geben, denen sie anderswo verweigert wird. Weil gute Lösungen nur entstehen können, wenn unterschiedliche Haltungen aufeinanderprallen. Wenn verschiedene Sichtweisen deutlich werden und sich die Bevölkerung daraus ein Bild machen können. Dass es nur ein akzeptiertes Bild gibt, das des Staates, war für die Schweiz neu. Und es sollte auch nicht einreissen.
Deshalb haben wir damals den Begriff der «Dialogleugner» eingeführt. Als Gegenüber zum angeblichen «Coronaleugner». Dialogleugner bezeichnet Leute, die einen Dialog verweigern und sich verzweifelt wünschen, dass Gegenstimmen verstummen. In den sozialen Medien, in den Zeitungen.
Das darf es in der Schweiz nicht geben. Möge das beste Argument gewinnen – aber dafür müssen zuerst alle Argumente Platz finden. Eine angebliche Notlage zu nützen, um diesen Grundsatz ausser Kraft zu setzen, ist zum einen nicht zulässig, zum anderen brandgefährlich. Für den Einzelnen, für die Gesellschaft, für das Land.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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