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Offene Sympathien

Als Nazis die Ostschweiz aufmischen wollten

Als in den dreissiger Jahren die Nazis in Deutschland lautstark ihre Ideologie verbreiteten, wurden auch viele in der Schweiz hellhörig. Die einen fürchteten, bald sei Hitler ihr Landesherr, andere hofften es.

Adrian Zeller am 04. August 2022

Historiker gehen heute davon aus, dass die Herrenmenschen-Rhetorik der Nazis in Vorkriegs-Deutschland auch in bürgerlichen Parteien der Schweiz Befürworter und Bewunderer fand. Manche zeigten ihre Sympathie offen, andere waren stille Anhänger. Immerhin mussten offenkundige Freunde der Hitler-Ideologie hierzulande mit sozialer Ausgrenzung und mit eingeschlagenen Fensterscheiben rechnen.

Dennoch bildeten sich in der Schweiz in den 1930er-Jahren Gruppierungen, die öffentliche Aufmärsche im Stil der deutschen SA organisierten, «Gautage» abhielten, Schlägereien mit politischen Gegnern anzettelten, öffentlich Hassreden hielten, einschlägige Publikationen verteilten und Kampflieder sang. Im Thurgau sowie in anderen Kantonen bildeten sich straff organisierte sogenannte «Freikorps» mit Schweizerkreuz und gekreuzten Hellebarden auf den Abzeichen auf ihrer «Sportanzüge».

Die einen nazifreundlichen Organisationen waren in ihren Haltungen gemässigt, andere radikal, sie drückte sich etwa in judenfeindlichen Liedtexten aus.

Misstrauen gegenüber der Demokratie

Gemäss dem Historischen Lexikon der Schweiz war der Nährboden für die Naziideologie in der Schweiz die Weltwirtschaftskrise, sie traf die in der Ostschweiz dominierende Textilindustrie besonders hart. Misstrauen gegenüber der Demokratie sowie Antikommunismus förderten zudem Sympathien für das braune Gedankengut.

Anhänger der nazifreundlichen Ideologie stammten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen: Studenten, Bauern, Arbeitslose sowie auch einzelne Offiziere liebäugelten mit dem rassistischen Gedankengut.

Es gab auch stille Unterstützer, so ist etwa eine namhafte Geldspende eines Wilers an die «Nationale Front» bekannt. Sie war eine der damals bekanntesten und lautstarksten Rechtsparteien. In der Ostschweiz trafen sich ihre Anhänger in Ortsgruppen in Wil, Wattwil, Niederhelfenschwil und Neckertal.

Nazis Ostschweiz

Zerstrittene Szene

Einzelne weitere Nazi-Gruppen nannten sich beispielsweise «Bauernheimatbewegung», «Eidgenössische soziale Arbeiterpartei», «Bund treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung», «Helvetische Aktion» und «Nazionalsozialistischer Schweizerbund» usw. Sie erhielten zum Teil ihre Direktiven sowie finanzielle Unterstützung direkt aus Deutschland.

Verschiedene nazifreundliche Gruppierungen in der Schweiz fusionierten und zerstritten sich wieder, auch deshalb konnten sie nie breit Fuss fassen. Bei Wahlen und Abstimmungen erreichten sie meist magere Resultate. Vereinzelt schafften es Aktivisten dennoch in Räten Einsitz zunehmen, beispielsweise wurde 1942 ein Frontist in den Grossen Rat des Kantons St. Gallen gewählt.

Verschiedene Spione und Landesverräter rekrutierten sich aus dem Milieu der Frontisten. Zusätzlich wirkten einige in der Ostschweiz lebende Deutsche als Spitzel, sie wurden von Ablegern der NSDAP in St. Gallen und in Wil angeworben. Es kam in der Folge zu zahlreichen behördlichen Ausweisungen.

Ostschweizer Sturmbannführer

Im Weiteren überschritten Schweizer die Grenze nach Grossdeutschland und meldeten sich als Freiwillige zur SS. Die Zahlenangaben variieren zwischen 150 und 2000 Männern.

Einer von ihnen war Heinrich Johann Hersche. Der Sohn von Wirtleuten wuchs in Appenzeller Gaststätten auf. Nach der Handelsmatura liess er sich zum Bankkaufmann ausbilden. Schliesslich wurde er Berufsoffizier im Rang eines Majors bei der Kavallerie. Als Springreiter errang er international Erfolge.

Während der Weltwirtschaftskrise musste er eine Lohnpfändung hinnehmen und deshalb den Dienst in der Armee quittieren. Die Polizei überwachte ihn als Nazisympathisant. 1941 wanderte Hersche nach Hitler-Deutschland aus. Dort bildete er ausländische Freiwillige der SS aus. Er hatte den Rang eines Sturmbannführers inne, dies entspricht der Stellung eines Schweizer Majors.

Am Kriegsende wurde Hersche von den Amerikanern verhaftet und an die Schweiz ausgeliefert. Hier wurde vom Divisionsgericht für fremde Kriegsdienste zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Nach der Haftentlassung, 1948, konnte der Lungenkranke und gesellschaftlich Geächtete kaum mehr Fuss fassen. Er starb 1971 in ärmlichen Verhältnissen.

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Autor/in
Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

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