15'021 «Arbeitsmigrant*innen» sollen in Katar innert zehn Jahren gestorben sein - dies behauptet Amnesty International. Diese Zahl lässt sich leicht überprüfen. Ein Blick in die offizielle Statistik von Katar genügt.
Tatsächlich sind im Zeitraum von 2010-2019 exakt genau so viele Ausländer in Katar gestorben.
Ausländer? Korrekt! Damit sind nicht nur Inder, Pakistaner und andere Personen aus Südasien gemeint - sondern auch westliche Expats, Staatsbürger anderer arabischer Staaten, usw.
Das Statistikamt von Katar schlüsselt die Todesfälle jedoch nur nach Inländern und Ausländern auf - und nicht weiter nach Herkunftsland der Ausländer.
Dafür wird das Alter der Verstorbenen erfasst. Daraus lassen sich so allerhand interessante Aufschlüsse gewinnen. Zum Beispiel:
Über 1'000 dieser toten Ausländer sind Kleinkinder unter einem Jahr. Arbeitsmigranten? Selbst Katar dürfte keine Kinderarbeit für Säuglinge kennen.
Weitere 2'000 sind Personen über 70 Jahren. Arbeitsmigranten? Kaum.
Nein, diese Zahlen sind durchaus nicht schwierig zu finden - wer die entsprechende Publikation einmal durchliest, kann sie fast nicht übersehen. Beziehungsweise: Die Zahl der Todesfälle aller zehn Jahre zusammenzurechnen, stellt deutlich höhere Anforderungen an die Intelligenz, als die entsprechende Tabelle mit den Altersangaben der Verstorbenen zu finden. Man muss die Angaben schon nicht sehen wollen, um sie nicht zu sehen.
Männer zwischen 20 und 50 Jahren, also diejenigen, die potentiell auf den Baustellen schuften, machen gerade einmal etwas über vierzig Prozent aller Todesfälle aus. Und wie schon gesagt: Darunter ist auch der eine oder andere westliche Expat, der mit Anzug und Krawatte und nicht im Overall arbeiten geht.
Es geht nicht darum, die einzelnen Todesfälle aufzurechnen. Jeder Tote ist ein Toter zu viel. Wobei: Auch in den sichersten Ländern wird gestorben. Selbst bei scheinbar kerngesunden, jungen Personen. Der Fussball selbst ist das beste Beispiel dafür: So brach an der letzten EM der dänische Nationalspieler Christian Eriksen auf dem Spielfeld zusammen und wäre ohne sofortige professionelle Wiederbelebungsmassnahmen zweifelsohne verstorben.
Gerade von einer Organisation wie Amnesty International sollte aber schon erwartet werden können, dass sie wenigstens ihre Zahlen sauber recherchiert. Denn Säuglinge und Greise sind definitiv keine "Arbeitsmigranten".
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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