Zurecht weist der K-Tipp auf die Ausbeutung von Sans-Papiers im Agrarbereich hin. Jener Missstand demaskiert nicht nur die Heuchelei vieler Bauern. Er zeigt auch, wie falsch es ist, arbeitswilligen Migranten Steine in den Weg zu legen. Ein Gastkommentar von Artur Terekhov.
Unlängst beleuchtete der K-Tipp (Ausgabe 6/2023) eine der hässlichen Seiten der Schweizer Landwirtschaft: nämlich die Beschäftigung von Sans-Papiers (ausländische Staatsangehörige, die aus verschiedenen Gründen über keinen legalen Aufenthaltstitel verfügen) durch hiesige Bauern, oftmals zu Löhnen von weniger als CHF 10 pro Stunde. Es ist geradezu offensichtlich, dass solch tiefe Stundenlöhne auf einem freien Markt kaum je natürlich zustande kämen. Vielmehr ist es allem voran der Umstand, dass Sans-Papiers sich nicht legal in der Schweiz aufhalten, der bewirkt, dass jene „dankbare Opfer“ sind, die sich schamlos ausnutzen lassen. Denn eine Person, die eigentlich gar nicht in der Schweiz sein dürfte, kann naturgemäss keine arbeitsrechtliche Klage gegen ihren Arbeitgeber – so rechtswidrig dieser auch handeln mag – einreichen, ohne dadurch aufzufliegen und im Ergebnis das Land verlassen zu müssen. Dasselbe gilt bei Kontrollen gegen Schwarzarbeit. Während der Arbeitgeber primär Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen muss und strafrechtlich mild sanktioniert wird (Busse oder – oft ohnehin nur bedingte – Geldstrafe), müssen bei einer Kontrolle erwischte Sans-Papiers ausreisen. Das Beispiel von Sali Jonuzaj, einem Kosovaren, der während rund 35 Jahren – einfach ohne Aufenthaltstitel – in der Schweiz gearbeitet hat, zeigt dies eindrücklich: Als dieser nach einer Polizeikontrolle auf dem Bauernhof das Land verlassen musste, erhielt er nicht einmal mehr seinen letzten Lohn von rund CHF 2000, was der Bauer allen Ernstes damit begründete, dass er nun ja „wegen ihm“ eine Busse bezahlen müsse. Eine Busse, die natürlich nie angefallen wäre, hätte jener Bauer seine Arbeitskraft nicht schwarz beschäftigt, sondern auch AHV-Beiträge bezahlt.
Doch so viel eigenverantwortliches Denken und kritische Selbstreflexion ist von diversen Bauern wohl zu viel verlangt. Es scheint einfacher zu sein, SVP – eine Partei, die tendenziell für weniger Staat einsteht, bei Agrarpolitik und Law and Order aber eine grosse Ausnahme zu machen scheint – zu wählen und darauf zu hoffen, dass diese weiterhin für möglichst viele Landwirtschaftssubventionen kämpft. Diese kann man ja einkassieren und gleichwohl Billigstarbeitskräfte beschäftigen. Arbeitskräfte, die gemäss der migrationspolitischen Weltsicht vieler Bauern – jene haben überdurchschnittlich oft bei der SVP ihre politische Heimat – ohnehin nicht hierher gehören, da sie primär „Schweizern den Job wegnehmen“. Also darf man diese auch ohne schlechtes Gewissen ausnutzen. Natürlich spricht dies kaum jemand so direkt aus, doch bekanntlich sagen Taten oft mehr als 1000 Worte. Und dass es Zeichen einer widerlichen Doppelmoral ist, politisch für mehr (eigene) Subventionen sowie weniger Ausländer zu kämpfen, zugleich aber genau jene illegalen Ausländer zu beschäftigen und zwar zu eindeutig nicht marktkonformen Konditionen, kann bei Lichte betrachtet kaum ernsthaft bestritten werden.
Dass der weitgehend marktfeindliche Bauernstand zu den grösseren Profiteuren der schweizerischen Staatskasse gehört, ist leider nichts Neues. Ebenso wenig, dass der Autor dieses Beitrags ein überzeugter Marktliberaler ist, für den emotionale Intelligenz nie mit Pseudosolidarität, die Eigenverantwortung im Kern unterminiert, verwechselt werden darf. Dieser Beitrag soll damit keineswegs als Forderung nach marktfeindlichen Mindestlöhnen verstanden werden – einmal abgesehen davon, dass Mindestlöhne einem Sans-Papier ohnehin nichts nützen würden, weil er diese gar nicht vor einem schweizerischen Gericht einklagen könnte, ohne dass sein illegaler Aufenthaltsstatus bekannt würde.
Zu fragen ist vielmehr, worin die moralische Rechtfertigung liegen soll, arbeitswilligen sowie arbeitstätigen ausländischen Staatsangehörigen einen (gesetzlichen) Aufenthaltstitel zu verweigern, zugleich aber mittels Familiennachzug EU/EFTA-Ausländern – mithin nicht notleidenden Asylanten, die aus einem Kriegsland fliehen – ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu gewähren, ohne dass darauf geachtet würde, dass jene Personen sich in der Schweiz integrieren oder überhaupt nur einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Während der Autor dieses Beitrags im Rahmen seiner Rechtsvertretertätigkeit also beispielsweise für eine junge Frau kämpft, damit deren polnisches Fachhochschulstudium nicht nur auf Stufe Berufslehre, sondern vielmehr Niveau höhere Fachschule anerkannt wird (Weiterzug BVGer-Urteil B-4044/2022 ans Bundesgericht), ist er als Steuerzahler gezwungen, diverse Personen zu finanzieren, die – unter welchen Umständen auch immer – in den hiesigen Sozialstaat eingewandert sind, allenfalls sogar von Beginn weg ohne jede Erwerbsabsicht. Dass jener disconnect zu einem migrationspolitischen Unmut führt, ist nachvollziehbar. Rassismus wäre aber eindeutig die falsche Antwort.
Hinzuweisen ist vielmehr darauf, was der liberale Ökonom Milton Friedman bereits anno 1978 festgehalten hat: nämlich, dass man entweder freie Zuwanderung haben könne oder einen ausgebauten Sozialstaat – nicht jedoch beides. Entgegen der Haltung vieler Linker wäre es damit grundfalsch, Parolen wie „kein Mensch ist illegal“ zu skandieren. Natürlich ist und bleibt nicht nur der Boden begrenzt, sondern sind auch die Staatsfinanzen nicht unermesslich, wächst Geld doch nicht an Bäumen. Damit aber kann auch keine moralische Pflicht bestehen, Personen voraussetzungslos in ein Land einwandern zu lassen oder die blosse Verwandtschaft zu einer anderen Person als ausreichenden Grund zu betrachten. Zugleich ist es jedoch – entgegen vieler SVPler – weder aus individualunternehmerischer noch volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll, Marktprotektionismus zu betreiben und Ausländer allein daher nicht in ein Land zu lassen, weil diese „den Einheimischen“ Jobs wegnehmen könnten. Solch eine Optik zeugt von einer faulen und wohlstandsverwöhnten Grundhaltung, die auch unter naturrechtlich-eigenverantwortlichen Gesichtspunkten ethisch nicht richtig sein kann. Denn schliesslich steht es auch Inländern jederzeit frei, auszuwandern und andernorts eine neue Erwerbstätigkeit aufzunehmen.
Daraus erhellt, dass eine freiheitliche Migrationspolitik nicht nur die sozialstaatlichen Ausgaben senkt, sondern auch eine Ausbeutung von Sans-Papiers verhindert – und zwar ganz ohne Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit. Denn unter Anwendung der vorstehend vertretenen Prämisse („jeder Ausländer, der will, soll hier arbeiten können“) wären weder Personen illegal, die in der Schweiz einer Erwerbstätigkeit nachgehen, noch gäbe es überhaupt Arbeitsverbote für einzelne Kategorien von Migranten, die durch den Arbeitsmarkt stets besser integriert werden als mittels staatlicher Sprachkurse. Affaire à suivre.
MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.
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