Mit vier Kindern in eine Stadt zu ziehen, die man vorher gar nicht gekannt hat – genau dieses Abenteuer haben Marianne Rölli Siebenhaar und ihr Mann gewagt. In einer losen Folge stellen wir Schweizer Vereine in aller Welt vor.
Wann haben Sie der Ostschweiz den Rücken gekehrt?
Mit meinem Einstieg ins Berufsleben bin ich aus der Ostschweiz in den Kanton Aargau gezogen. Dort habe ich meinen Mann kennen gelernt und wir haben eine Familie gegründet. Im Juli 2008 sind wir, das sind mein Mann, unsere vier Kinder und ich, aus der Schweiz ausgewandert.
Weshalb haben Sie sich genau Deutschland ausgesucht?
Nach Leipzig sind wir gezogen, weil mein Mann hier eine Stelle an der Universität angenommen hat. Wir kannten Leipzig kaum und waren alle sehr gespannt auf die Stadt, die unsere zweite Heimat werden sollte.
Wie schwierig – oder eben nicht - gestaltete sich die Auswanderung?
Für mich gestaltete sich die Auswanderung schwierig, da ich anfänglich großes Heimweh hatte. An manchen Tagen kam es mir vor, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Mir fehlten meine Freundinnen und Freunde und ich war und bin sehr froh, dass wir viel Besuch aus der Schweiz hatten und haben. Die Kinder haben sich rasch eingelebt – auch das hat mir sehr geholfen. Nach und nach entstanden neue Kontakt und Freundschaften.
Womit hatten Sie am meisten zu kämpfen?
Eine große Herausforderung beim Ankommen war für uns alle die deutsche Bürokratie. Vieles war für uns unverständlich und kompliziert und wir wünschten uns oft die gewohnte Vertrautheit im Umgang mit Behörden und administrativen Abläufen zurück. Sehr zu schaffen machte mir auch, dass meine beruflichen Abschlüsse hier nicht anerkannt wurden und ich erst nach einer Nachqualifizierung einen Einstieg ins Berufsleben machen konnte.
Was hingegen lief glatter als geplant?
Erfreulich und erstaunlich war für uns als Eltern zu sehen, wie rasch und unkompliziert sich unsere Kinder hier einlebten. Sie fanden sich in der Schule zurecht, sprachen in kürzester Zeit fließend und akzentfrei Hochdeutsch und fanden schnell Freundinnen und Freunde.
Sie sind Mitglied eines Schweizer Vereins im Ausland. Weshalb?
Ich finde es schön, hier in Leipzig Landsleute zu treffen und ich genieße es, gemeinsam etwas zu unternehmen und dabei Schweizerdeutsch sprechen zu können. Es wird dabei immer deutlich, was für ein Schatz und gleichzeitig was für eine Herausforderung es ist, zwei Heimaten zu haben. Dies stärkt mein Verständnis für Menschen mit Migrationshintergrund. Es ist faszinierend zu sehen, dass jeder Mensch eine eigene Geschichte hat und Lebenswege mitunter sehr verschlungen sein können.
Wie gestaltet sich das Vereinsleben?
Der Schweizer Club Leipzig und Umgebung hat nicht sehr viele Mitglieder. Zu den Veranstaltungen kommen immer auch Freunde der Schweiz, die mit der Schweiz verbunden sind, aber nie dort gelebt haben. Das beeindruckt mich sehr. Es finden sehr unterschiedliche Angebote statt. Fest dazu gehört eine Feier zum Nationalfeiertag – der allerdings nicht genau am 1. August gefeiert wird. Oft steht dabei Armbrust- oder Bogenschießen auf dem Programm. In der Weihnachtszeit wurde in den letzten Jahren gemeinsam gebacken – Wiehnachtsguetzli oder Grittibänzen. Immer wieder gibt es auch die Möglichkeit, gemeinsam Sehenswürdigkeiten oder kulturelle Höhepunkte aus Leipzig und Umgebung zu entdecken.
Was haben Sie von Ihrem neuen Heimatland übernommen? Und was ist nach wie vor typisch schweizerisch?
Von der Freude an der Musik haben wir uns hier in der Bach-Stadt anstecken lassen. Auch genießen wir bei besonderen Gelegenheiten eine Leipziger Lerche – ein köstliches süßes Gebäck – zum Kaffee. Sonntags aber gibt es bei uns Zopf. Eine St.Galler-Bratwurst ist und bleibt für mich ein Hochgenuss!
Würden Sie den Schritt noch einmal wagen? Oder wollen Sie gar einmal zurückkehren?
Es fällt mir schwer zu sagen, ob ich den Schritt noch einmal machen würde. Ich bin dankbar für viele tolle Erfahrungen, die mir das Auswandern ermöglicht hat. Daneben bleibt aber auch ein kleines bisschen Traurigkeit darüber, immer ein wenig fremd zu sein - und zwar mittlerweile sowohl in der Schweiz auf Heimatbesuch wie auch hier in Deutschland.
Toll finde ich aber, dass ich durch das Auswandern eine große Offenheit gewonnen habe. Es tut gut, zu wissen, dass man dort zuhause sein kann, wo man geliebt wird.
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Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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