Die Nichtregierungsorganisation Oxfam fordert eine fünfprozentige Vermögenssteuer für Milliardäre. Begründung: Reiche würden immer reicher, Arme immer ärmer. Doch die Berechnungen stimmen nicht.
Unter dem Motto «Tax the rich!» – eine kaum verhohlene Anspielung auf den Slogan «Eat the rich!» – schwadroniert die Nichtregierungsorganisation Oxfam in ihrem «Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024» fröhlich drauflos: «Die fünf reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen seit 2020 verdoppelt, fast fünf Milliarden Menschen sind ärmer geworden. Unser Bericht macht deutlich, wie Superreiche und Konzerne von Inflation, Kriegen und Pandemie profitieren, während die meisten Menschen unter den Folgen leiden.»
Wer befürchtet, sich durch komplizierte ökonomische Beweisketten für diese These kämpfen zu müssen, kann beruhigt werden: Die Begriffe «Inflation», «Krieg» und «Pandemie» kommen im 50-seitigen Bericht gerade einmal 7, 2 und 6 Mal vor. Zu wenig, um damit irgendetwas «deutlich zu machen». Im Vergleich dazu wird der Begriff «rassifiziert» gleich 13 Mal verwendet.
Wenigstens den Ansatz eines Erklärungsversuchs kann man bei genauem Suchen finden: Wegen stockender Lieferketten sei es einzelnen Firmen in der Krise gelungen, ihre Preise und damit auch ihre Profite überproportional zu erhöhen. Doch Oxfam übersieht: Damit einige Firmen auf diese Weise einen Extraprofit erwirtschaften können, müssen andere einen Verlust einfahren, weil ihnen die stockenden Lieferketten die Produktion oder den Absatz erschweren.
Verzerrte Stichprobe
Denselben Fehler, nur die Gewinner zu betrachten, machen die Verfasser des Berichts auch bei den fünf reichsten Männern der Welt, verwendeten sie für ihre Betrachtung doch einfach die fünf Personen, welche 2023 am reichsten waren. Es mag kaum zu überraschen, dass diejenigen am Schluss vorne lagen, welche eine besonders gute Performance hingelegt haben.
Repräsentativer wäre es daher gewesen, diejenigen Personen nehmen, welche zu Beginn der betrachteten Periode an der Spitze der Liste lagen. Und siehe da: Im betrachteten Zeitraum von März 2020 bis November 2023 resultiert nicht mehr ein inflationsbereinigter Vermögenszuwachs von über hundert Prozent, sondern «bloss» noch von 35 Prozent. Dies entspricht ziemlich genau der realen Entwicklung der Börsen weltweit. Diese sind übrigens wegen Corona exakt im März 2020 um fast einen Drittel eingebrochen – und hatten entsprechend Aufholbedarf.
Doch wie viel ärmer sind die ärmsten fünf Milliarden Menschen geworden? Gemäss Oxfam verloren sie real 20 Mrd. Dollar – oder umgerechnet vier Dollar pro Kopf. Selbst wenn man als Massstab die ärmsten zehn Prozent der Menschheit nimmt, welche von 2.15 Dollar pro Tag leben müssen, entsprechen diese vier Dollar bloss zwei Tageslöhnen. Der angebliche Vermögensverlust entpuppt sich als rote Null.
Arme sind nicht ärmer geworden
Und selbst dieser geringfügige Verlust kommt nur deswegen zustande, weil Oxfam bei der Inflationsbereinigung Schindluder betreibt: Obwohl die Daten zu den Vermögen der ärmsten 60% der Weltbevölkerung aus den Jahren 2019 und 2022 stammen, deflationiert sie Oxfam gleich wie das Vermögen der Superreichen mit dem Konsumentenpreisindex von März 2020 bis Oktober 2023 – angeblich, um die «Vergleichbarkeit» der beiden Datensätze zu gewährleisten.
An sich ist es schon problematisch, zwei Datensätze von unterschiedlicher Dauer und Periodizität miteinander zu vergleichen. Dabei aber eine Vergleichbarkeit herstellen zu wollen, indem man den einen bewusst falsch deflationiert, ist Mumpitz hoch zwei. Deflationiert man das Vermögen der Ärmsten periodengerecht, dann resultiert anstatt einer Vermögensabnahme ein realer Vermögenszuwachs von 77 Milliarden oder 16 Dollar pro Kopf. Die Armen sind also gar nicht ärmer geworden.
Absurde Methodik
Könne man bereits in zehn Jahren den ersten Vermögensbillionär feiern, so dauere es noch 230 Jahre, bis die Armut weltweit verschwunden sei, meint Oxfam weiter – und rechnet sich dabei komplett ins Nirvana.
Die NGO legt dabei eine Armutsdefinition von 6.85 Dollar zugrunde: Arm ist, wer pro Tag weniger als diesen Betrag zur Verfügung hat. Derzeit trifft dies auf 46 Prozent der Weltbevölkerung zu. Diesen Wert extrapoliert Oxfam (geometrisch) mit der durchschnittlichen prozentualen Veränderung der Armutsquote der letzten Jahre – und kommt so auf 230 Jahre bis zum Absinken der Armutsquote auf ein Prozent, was die NGO als Verschwinden der Armut definiert.
Grundsätzlich lässt sich, was in die Zukunft extrapoliert werden kann, ebenso gut in die Vergangenheit retropolieren. Machen wir also die Probe auf das Exempel: Wie lange hat es gedauert, bis die Armutsquote von 100 auf den gegenwärtigen Wert von 46 Prozent gesunken ist, wenn man dieselbe Berechnungsweise zu Grunde legt? Die Antwort: 46 Jahre. Noch im Jahr 1977 lebte also die gesamte Menschheit, d.h. jeder einzelne Mensch auf der Erde, angeblich von weniger als 6.85 Dollar pro Tag. Mehr braucht es kaum, um den ganzen Unsinn dieser Berechnung zu demonstrieren.
Das hindert Oxfam aber nicht daran, frisch und fröhlich eine Vermögenssteuer von fünf Prozent zu fordern. Damit lässt sich ein Vermögen innert 13 Jahren zur Hälfte, und innert 31 Jahren gar zu achtzig Prozent, wegbesteuern. Doch wie soll man auch ökonomisches Verständnis erwarten, wenn es bereits beim Mathematikverständnis derart hapert?
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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