logo

Da stimmt was nicht

«Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024»: Eine Nichtregierungsorganisation rechnet sich ins Nirvana

Die Nichtregierungsorganisation Oxfam fordert eine fünfprozentige Vermögenssteuer für Milliardäre. Begründung: Reiche würden immer reicher, Arme immer ärmer. Doch die Berechnungen stimmen nicht.

Thomas Baumann am 16. April 2024

Unter dem Motto «Tax the rich!» – eine kaum verhohlene Anspielung auf den Slogan «Eat the rich!» – schwadroniert die Nichtregierungsorganisation Oxfam in ihrem «Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024» fröhlich drauflos: «Die fünf reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen seit 2020 verdoppelt, fast fünf Milliarden Menschen sind ärmer geworden. Unser Bericht macht deutlich, wie Superreiche und Konzerne von Inflation, Kriegen und Pandemie profitieren, während die meisten Menschen unter den Folgen leiden.»

Wer befürchtet, sich durch komplizierte ökonomische Beweisketten für diese These kämpfen zu müssen, kann beruhigt werden: Die Begriffe «Inflation», «Krieg» und «Pandemie» kommen im 50-seitigen Bericht gerade einmal 7, 2 und 6 Mal vor. Zu wenig, um damit irgendetwas «deutlich zu machen». Im Vergleich dazu wird der Begriff «rassifiziert» gleich 13 Mal verwendet.

Wenigstens den Ansatz eines Erklärungsversuchs kann man bei genauem Suchen finden: Wegen stockender Lieferketten sei es einzelnen Firmen in der Krise gelungen, ihre Preise und damit auch ihre Profite überproportional zu erhöhen. Doch Oxfam übersieht: Damit einige Firmen auf diese Weise einen Extraprofit erwirtschaften können, müssen andere einen Verlust einfahren, weil ihnen die stockenden Lieferketten die Produktion oder den Absatz erschweren.

Verzerrte Stichprobe

Denselben Fehler, nur die Gewinner zu betrachten, machen die Verfasser des Berichts auch bei den fünf reichsten Männern der Welt, verwendeten sie für ihre Betrachtung doch einfach die fünf Personen, welche 2023 am reichsten waren. Es mag kaum zu überraschen, dass diejenigen am Schluss vorne lagen, welche eine besonders gute Performance hingelegt haben.

Repräsentativer wäre es daher gewesen, diejenigen Personen nehmen, welche zu Beginn der betrachteten Periode an der Spitze der Liste lagen. Und siehe da: Im betrachteten Zeitraum von März 2020 bis November 2023 resultiert nicht mehr ein inflationsbereinigter Vermögenszuwachs von über hundert Prozent, sondern «bloss» noch von 35 Prozent. Dies entspricht ziemlich genau der realen Entwicklung der Börsen weltweit. Diese sind übrigens wegen Corona exakt im März 2020 um fast einen Drittel eingebrochen – und hatten entsprechend Aufholbedarf.

Doch wie viel ärmer sind die ärmsten fünf Milliarden Menschen geworden? Gemäss Oxfam verloren sie real 20 Mrd. Dollar – oder umgerechnet vier Dollar pro Kopf. Selbst wenn man als Massstab die ärmsten zehn Prozent der Menschheit nimmt, welche von 2.15 Dollar pro Tag leben müssen, entsprechen diese vier Dollar bloss zwei Tageslöhnen. Der angebliche Vermögensverlust entpuppt sich als rote Null.

Arme sind nicht ärmer geworden

Und selbst dieser geringfügige Verlust kommt nur deswegen zustande, weil Oxfam bei der Inflationsbereinigung Schindluder betreibt: Obwohl die Daten zu den Vermögen der ärmsten 60% der Weltbevölkerung aus den Jahren 2019 und 2022 stammen, deflationiert sie Oxfam gleich wie das Vermögen der Superreichen mit dem Konsumentenpreisindex von März 2020 bis Oktober 2023 – angeblich, um die «Vergleichbarkeit» der beiden Datensätze zu gewährleisten.

An sich ist es schon problematisch, zwei Datensätze von unterschiedlicher Dauer und Periodizität miteinander zu vergleichen. Dabei aber eine Vergleichbarkeit herstellen zu wollen, indem man den einen bewusst falsch deflationiert, ist Mumpitz hoch zwei. Deflationiert man das Vermögen der Ärmsten periodengerecht, dann resultiert anstatt einer Vermögensabnahme ein realer Vermögenszuwachs von 77 Milliarden oder 16 Dollar pro Kopf. Die Armen sind also gar nicht ärmer geworden.

Absurde Methodik

Könne man bereits in zehn Jahren den ersten Vermögensbillionär feiern, so dauere es noch 230 Jahre, bis die Armut weltweit verschwunden sei, meint Oxfam weiter – und rechnet sich dabei komplett ins Nirvana.

Die NGO legt dabei eine Armutsdefinition von 6.85 Dollar zugrunde: Arm ist, wer pro Tag weniger als diesen Betrag zur Verfügung hat. Derzeit trifft dies auf 46 Prozent der Weltbevölkerung zu. Diesen Wert extrapoliert Oxfam (geometrisch) mit der durchschnittlichen prozentualen Veränderung der Armutsquote der letzten Jahre – und kommt so auf 230 Jahre bis zum Absinken der Armutsquote auf ein Prozent, was die NGO als Verschwinden der Armut definiert.

Grundsätzlich lässt sich, was in die Zukunft extrapoliert werden kann, ebenso gut in die Vergangenheit retropolieren. Machen wir also die Probe auf das Exempel: Wie lange hat es gedauert, bis die Armutsquote von 100 auf den gegenwärtigen Wert von 46 Prozent gesunken ist, wenn man dieselbe Berechnungsweise zu Grunde legt? Die Antwort: 46 Jahre. Noch im Jahr 1977 lebte also die gesamte Menschheit, d.h. jeder einzelne Mensch auf der Erde, angeblich von weniger als 6.85 Dollar pro Tag. Mehr braucht es kaum, um den ganzen Unsinn dieser Berechnung zu demonstrieren.

Das hindert Oxfam aber nicht daran, frisch und fröhlich eine Vermögenssteuer von fünf Prozent zu fordern. Damit lässt sich ein Vermögen innert 13 Jahren zur Hälfte, und innert 31 Jahren gar zu achtzig Prozent, wegbesteuern. Doch wie soll man auch ökonomisches Verständnis erwarten, wenn es bereits beim Mathematikverständnis derart hapert?

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.