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Serie: St.Galler Justizvollzug

«Bis sie überhaupt erst bei uns landen, muss schon einiges passiert sein»

Jugendliche werden aus zivil- und strafrechtlichen Gründen in das Jugendheim Platanenhof in Oberuzwil eingewiesen. Hier gibt es offene und geschlossene Wohngruppen, in denen die Jugendlichen in erster Linie an ihren sozialen Kompetenzen arbeiten, wie Sozialpädagoge Looser erklärt.

Michel Bossart am 23. Dezember 2022

Vor den Fenstern, die sich überhaupt öffnen lassen, befinden sich solide Gitterstäbe. Überhaupt dominiert hier der farblose Mix aus Weiss und Grau in abgestuften Nuancen. Dass es sich bei diesem Ort um ein Jugendheim handelt, sieht man dem funktionalen Sichtbetonbau von aussen auf den ersten Blick nicht unbedingt an. Vielleicht liegt es am Hartplatz, der eher an Schulhaus denken lässt. Offiziell heisst der Ort in Oberuzwil «Kantonales Jugendheim Platanenhof». Hier wohnen Minderjährige, die aus stark belasteten Familiensystemen kommen oder Straftaten verübt haben. Häufig sind das Belastungen wie psychische Erkrankungen bei einem Elternteil, Suchterkrankungen, häusliche Gewalt oder andere familiäre Konstellationen. Jugendliche kommen in den Platanenhof, weil sie zivil- oder strafrechtlich eingewiesen wurden. Sie sind zwischen 12 und 18 Jahre alt, die meisten allerdings seien zwischen 14- und 16-jährig, sagt Looser. Als Sozialpädagoge arbeitet er in einer von zwei geschlossenen Wohngruppen. Sie besteht aus maximal acht Jugendlichen, zurzeit sind es fünf: Vier Jungs und ein Mädchen.

Aufenthalt soll keine Strafe sein

Der 38-Jährige erzählt: «In der Regel bleiben die Jugendlichen für maximal drei Monate in der geschlossenen Wohngruppe. Bereits im zweiten Monat beginnt eine sanfte Öffnung.» Will heissen: Die Jugendlichen werden langsam an die Rückkehr in die Gesellschaft herangeführt. So haben sie zum Beispiel die Möglichkeit, Zeit mit der Familie und Freunden ausserhalb der Wohngruppe zu verbringen. Dass sie nach dem Aufenthalt in der geschlossenen Wohngruppe aber wieder nach Hause können, das komme eher selten vor, sagt Looser und erklärt: «Bis sie überhaupt erst bei uns landen, muss schon einiges passiert sein. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie nachher in eine offene Institution kommen, dort die Schule abschliessen oder eine Lehre machen.»

Die Gründe, warum Jugendliche in ein Jugendheim eingewiesen werden, sind vielfältig. Gemäss Looser können das zum Beispiel eine ausserordentliche Delikthäufung, Drogenmissbrauch, Schulverweigung, aber auch eine schwierige familiäre Situation sein. In der geschlossenen Wohngruppe wird das dissoziale Verhalten ausgiebig und oft diskutiert und daran gearbeitet: Denn der Aufenthalt im Platanenhof ist keine Strafe, auch wenn es sich für die Jugendlichen oft so anfühlt. Vielmehr liegt das Ziel des Aufenthalts darin, mit den Jugendlichen und ihrem Umfeld neue Perspektiven zu erarbeiten. «Diese sollen die jungen Menschen befähigen, ihre Zukunft nach dem Aufenthalt im Jugendheim konstruktiv zu bewältigen, indem wir eine für sie individuell passende Anschlusslösung empfehlen», erklärt Looser.

Strukturierter Alltag

Jede und jeder in der Wohngruppe hat ein Ämtli: Der eine muss zum Beispiel den Tisch decken, die andere ist für den Abwasch verantwortlich. Der Tag im Platanenhof beginnt wöchentlich alternierend um 7.30 oder 8.30 Uhr. Dann geht es je einen halben Tag in die Schule oder ins Atelier. Im Atelier erlernen die Jugendlichen nicht nur handwerkliche Fertigkeiten, sondern es wird auch eine berufliche Abklärung durchgeführt. Wenn die Jugendlichen nicht in der Schule und nicht im Atelier sind, verbringen sie die Zeit im gemeinschaftlichen Aufenthaltsraum. Die strengen Regeln, zu denen auch ein absolutes Berührungsverbot oder der Gebrauch einer gewaltfreien Sprache gehören, müssen jederzeit eingehalten werden.

Unter der Woche wird das Essen in die Wohngruppe geliefert, am Wochenende kochen sie gemeinsam. Im Aufenthaltsraum steht ein grosser Esstisch, eine Sitzecke mit einer Polstergruppe, ein Billardtisch und ein Töggelikasten.

Soziales Verhalten angewöhnen

Ins Zimmer dürfen die Jugendlichen nur zum Schlafen, oder falls jemand mal ein Timeout braucht. Sind sie im Zimmer, werden sie eingeschlossen. Eingerichtet sind die Zimmer so schlicht wie möglich: ein schmales Bett, ein eingebautes, raumteilendes Regal. Dahinter ein WC und ein Lavabo. Die Badezimmer befinden sich auf dem Gang. Nach dem täglichen Sport haben die Jugendlichen 10 Minuten Zeit, zu duschen. «Am Wochenende dürfen sie sich bis zu einer Stunde Zeit nehmen, falls sie zum Beispiel mal ein Bad nehmen wollen», fügt Looser an.

Jeden Tag, den die Jugendlichen im Platanenhof verbringen, erhalten sie fünf Franken Taschengeld. Hygieneartikel müssen sie davon nicht kaufen, denn diese werden zur Verfügung gestellt. Dazu Looser: «Das Geld geben sie meistens am Kiosk aus oder sparen es. So haben sie nach dem Aufenthalt einen Batzen, den sie mitnehmen können.» Bei den Älteren, die rauchen, wird ein Teil des Taschengeldes für die täglichen Zigaretten abgezogen. Rauchen dürfen die Jugendlichen aber erst ab 16 Jahren. Wer jünger ist und bei seinem Eintritt bereits raucht, muss es sich abgewöhnen. Angewöhnen hingegen müssen sie sich soziales Verhalten: «Wir sprechen Themen wie Gewalt, Drogen, Sex, Mobbing und andere sozial relevante Themen an», sagt Looser. Dabei wird ein Ziel verfolgt: Die Jugendlichen sollen sich für ein gewalt- und deliktfreies Leben mit und in der Gesellschaft entscheiden und sich entwickeln. «Die Nachhaltigkeit unserer Arbeit ist allerdings nicht immer messbar», bedauert Looser, zeigt sich aber überzeugt, dass der Platanenhof den Jugendlichen eine feste Struktur bietet, die die meisten von ihnen vorher so nicht gekannt haben, die ihnen einen Halt gibt und für die sich die Jugendlichen auch dankbar zeigen. «Sie sind zwar gefangen», sagt er, «und doch innerhalb dieser fixen Strukturen auch teilweise irgendwie freier: Weil sie weniger Stress und Druck als draussen haben.» Dies werde von Jugendlichen immer wieder erwähnt, auch wenn die Angewöhnung an den Alltag im Platanenhof für alle anfangs schwierig sei.

Weihnachten im Jugendheim

Jugendliche, die sich noch nicht in der Öffnungsphase befinden, müssen auch Feiertage im Platanenhof verbringen. Der Aufenthaltsraum ist bereits im Advent etwas vorweihnachtlich geschmückt. «Für das Weihnachtsfest gibt es für die Wohngruppe einen Baum, den die Jugendlichen gemeinsam schmücken», sagt Looser. «Grundsätzlich funktioniert unsere Institution aber während 365 Tagen im Jahr in etwa gleich», fügt er an. Doch Ostern oder Weihnachten seien auch im Platanenhof etwas Besonderes: Neben dem Weihnachtsbaum für die Gruppe erhalten alle von der ihm oder ihr zugewiesenen Begleitperson ein Geschenk. «Das kann zum Beispiel ein T-Shirt, ein Parfum oder ein Gutschein sein», sagt Looser. Geschenke, die die Jugendlichen von ausserhalb der Anstalt erreichen, sind ebenfalls erlaubt, werden aber vorher durchleuchtet, damit keine verbotenen Gegenstände ins Jugendheim gelangen.

Um den Feiertagsdienst reisse sich vom Personal niemand. Schliesslich verzichtet man dann auf die Zeit mit der eigenen Familie. Wenn man aber zugeteilt werde, dann nutze man die Möglichkeit, mit den Jugendlichen ein Fest zu feiern und mit ihnen eine schöne Zeit gemeinsam zu gestalten. Eine Zeit, die aus Erfahrung bei den Jugendlichen noch Jahre lang in positiver Erinnerung bleibe, meint Looser. «Der Tag ist auch für uns speziell», sagt er: Nicht nur die Jugendlichen putzen sich heraus, auch das Personal ziehe sich etwas festlicher an als sonst. Looser hat schon zweimal Weihnachten mit den Jugendlichen in der geschlossenen Wohngruppe verbracht und fand beide Male sehr speziell und schön, wie er sagt.

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Autor/in
Michel Bossart

Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).

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