Er holte zum zweiten Mal den Eidgenössischen Kranz, durchlebte Verletzungsphasen und trat gegen seinen Lehrling an: Martin Roth hat eine abwechslungsreiche Schwingkarriere hinter sich. Sein nächstes Ziel ist fokussiert, aber auch das «Danach» im Hinterkopf.
Die Welt ist ja bekanntlich ein Dorf, und gerade beim Schwingsport heisst das, dass man schon einmal gegen seinen Kollegen oder Mitarbeiter antreten muss. Wie gut kannst du solche Begebenheiten hinten anstellen?
Das stimmt, das kommt durchaus einmal vor. Als ich mich im Jahr 2021 an der Schulter verletzte, stand ich gegen Werner Schlegel im Sägemehl. Er war damals in unserem Betrieb in der Lehre, ich als Projektleiter angestellt. Das war schon ein spezielles Gefühl. Ich war ihm zuvor noch überlegen, nun hat er auf-, wenn nicht sogar überholt. Beim Schwingen steht man sich als Rivale gegenüber, während des Arbeitstags hat man das aber wieder hintenangestellt. Es hat keinen Einfluss darauf, ob man jemanden mag oder nicht. Auch sonst kommt es vor, dass man gegen jemanden antritt, und ihn dann im Ausgang oder sonst wo trifft. Und falls jemand überheblich ist, muss man sich umso mehr beweisen und abliefern. Für die einen geht das auf, für die anderen eher weniger (lacht).
Du hast bereits viele Siege und Kränze geholt. Wie hätte dein Leben ohne das Schwingen ausgesehen? Gab es früher andere Sportarten, die dich auch fasziniert haben?
Das ist eine Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Mir kamen meine Kollegen in den Sinn, und ich dachte darüber nach, was sie in ihrer Freizeit so gemacht haben? Natürlich konnten sie viel mehr als ich in den Ausgang, haben vielleicht das eine oder andere Bier mehr getrunken. Zudem merke ich, dass ich nicht das Netz aus Bekanntschaften im Dorf oder der Region habe, welches sie sich über all die Jahre aufbauen konnten. Dafür war ich zu oft mit dem Sport beschäftigt. Durch das Schwingen habe ich jedoch überregionale Bekanntschaften knüpfen dürfen, und auch das ist viel wert. Wenn man älter wird, denkt man vermehrt an das Leben nach dem Schwingen. Umso wertvoller sind da die Freunde und Familie, die einen begleiten. Ich war ein mühsamer Schüler, der nie nach der Schule direkt nach Hause ging – ich spielte lieber Fussball mit den anderen (lacht). Ich war zwar nicht der beste Fussballer, habe aber immer gern ‘tschuttet’. Mein Lehrmeister meinte zu mir, dass ich aufgrund meines grossen Ehrgeizes wohl in manch anderen Sportarten ebenfalls gut gewesen wäre. Mit zehn Jahren habe ich mit dem Handmähen angefangen. Auch das habe ich sehr gerne gemacht. Irgendwann reichte jedoch für beides die Zeit nicht mehr, und ich musste mich entscheiden. Sport an sich interessiert mich aber nach wie vor – aktuell beispielsweise spiele ich mehrmals in der Woche gegen meine Frau Tischtennis, wir können zusammen lachen und für mich ist es aktive Erholung.
Wie hätte dein Leben wohl beruflich ausgesehen?
Hätte ich nicht geschwungen, wäre ich wahrscheinlich selbstständig geworden. Ein eigenes Geschäft zu haben, reizt mich nach wie vor, das Ziel schwirrt in meinem Kopf herum. Wer weiss, vielleicht verfolge ich es nach meiner Schwingkarriere, und kann beruflich neue Herausforderungen angehen.
Auch schwierige Zeiten hast du erlebt – beispielsweise, als du dich an der Schulter verletzt hast. Wie kommst du aus solchen schwierigen Phasen heraus?
Ja, die Phasen gibt und gab es durchaus. Ich musste mich nach der Schulterverletzung einer Operation unterziehen, und war dann für sechs Monate ausser Gefecht gesetzt. Zuvor gab es bereits einige kleinere Verletzungen, die aber nicht so gravierend waren, dass ich so lange ausfallen musste. Dennoch behalte ich die Aufbauphase als sehr bereichernd in Erinnerung. Die wöchentlichen Physiotherapien nahm ich wie ein persönliches Training wahr, ich habe die Zeit für mich genutzt – und bin schliesslich gestärkt daraus hervorgegangen. Seither kann ich viel besser einschätzen, ob und was mir weh tut, und die Signale meines Körpers deuten. Meine Schulter muss ich zwar nach wie vor gut pflegen, ich bin aber dankbar, bisher ohne Verletzungen durch die aktuelle Saison gekommen zu sein. Schlussendlich war es wahrscheinlich für meine Frau am anstrengendsten, mich über so viele Monate zuhause gesund zu pflegen (lacht).
Der Schwingsport hat heute ein ganz anderes Ansehen, als es noch vor vielen Jahren der Fall war. Wie denkst du darüber?
Das stimmt. Vor 30, 40 Jahren waren die Schwingfeste zwar auch in einem ansehnlichen Ausmass und zogen einige tausend Zuschauer an. Doch der Kreis von Leuten, die es verfolgen und auch glauben, etwas davon zu verstehen, ist inzwischen deutlich grösser geworden. Nicht zuletzt durch die verstärkte Medienpräsenz. Es sind zwiespältige Gefühle. Ich schätze einerseits den traditionellen und einfachen Gabenspender, der privat ein paar hundert Franken aufwirft, um den Sport zu unterstützen. Heute jedoch geht es nicht mehr ohne die ganz grossen Sponsoren. Auf der anderen Seite muss ich inzwischen auch einsehen, dass ich wohl auf Sponsoren angewiesen bin. Ich bin über 30 Jahre alt, habe zwei Kinder. Mein Körper braucht den einen oder anderen Tag mehr, um sich zu erholen. Zudem sollte auch die Familienzeit nicht zu kurz kommen. Zusammen mit den beruflichen Aufgaben ist es nicht ganz einfach, alles unter einen Hut zu bekommen. Kann man durch die Sponsoren die Arbeit ein wenig reduzieren, kommt das der Regeneration oder der Familienzeit zu Gute. Und auch das ist wichtig und richtig. Somit bleibt dann mehr Energie für gute Leistungen auf dem Platz.
Du hast zwei Kinder. Interessieren sie sich auch bereits für den Sport? Und wie begeistert wärst du, wenn sie in deine Fussstapfen treten wollen?
Meine ältere Tochter ist zweieinhalb Jahre alt, die jüngere fast eineinhalb. Schwingen ist bei uns natürlich allgegenwärtig. Auch meine Frau lebt meinen Traum voll mit und unterstützt mich, wo es geht. Ich denke, in diesem Alter, in welchem meine Töchter sind, finden sie alles super, was die Eltern machen. Dennoch würde ich ihnen den Schwingsport niemals aufzwingen. Wenn sie lieber turnen oder Fussball spielen wollen, sollen sie das bitte tun. Ich finde, wenn sie etwas machen, dann sollen sie das auch ernst nehmen und nicht gleich wieder aufgeben. Ein gesundes Mass zu finden, ist wichtig. Ich bin einfach froh, wenn es ihnen gut geht und sie gesund sind.
Dein nächstes grosses Ziel ist das ESAF 2025. Wie gut bist du da unterwegs?
Ich plane zeitlich gesehen bis zum Jahr 2025. Dann werde ich 35 Jahre alt sein – und ein Rücktritt wird wahrscheinlicher. Möglich ist es auch, dass ich noch eine Saison dranhängen werde – das entscheide ich, wann es so weit ist. Bis dahin bin ich beschäftigt mit Training, der Familie, meinem Beruf und der Sponsorensuche. Sportlich gesehen bin ich gut dran, denke ich. Der Aufwand, fit zu bleiben, wird aber nicht kleiner. Im Gegenteil. Die Coronajahre haben mir gezeigt, wie viel Zeit das Schwingen in Anspruch nimmt. Trotzdem: Ohne ginge es auch nicht, dass weiss ich. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass ich auch später nicht lange Ruhe haben werde (lacht). In der nächsten Zeit möchte ich gerne noch einiges drauflegen, was das Training und das Körperliche betrifft. Derzeit haben die anderen Schwinger vor meinen Leistungen einen gesunden Respekt, und das soll auch so bleiben (lacht). Wer weiss, ich wünsche mir resultatmässig noch für die eine oder andere Überraschung zu sorgen…
(Bild: Lorenz Reifer)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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