Berner, aufgepasst. Der Chefarzt für Intensivmedizin schläft schlecht: «Es ist ein Alptraum.» Er sieht die Triage kommen, also die Entscheidung über Leben und Tod. Kann man ihm helfen?
So sieht’s Prof. Stephan Jakob vom Inselspital Bern, so berichtet SRF: «Um die Fallzahlen zu senken, müssten sich entweder noch mehr Menschen impfen lassen oder man müsse drastische Massnahmen ergreifen: «Wir müssen jetzt alle Formen von Lockdown diskutieren», sagt der Mediziner.
Er diagnostiziert mit sicherer Hand die Zukunft: «Es wird ganz sicher eine Triage geben.» Für Leser, die mit diesem Begriff nicht vertraut sind, so erklärt’s Wikipedia:
«Triage ist ein aus der Militärmedizin herrührender Begriff für die – ethisch schwierige – Aufgabe, etwa bei einem Massenanfall von Verletzten oder anderweitig Erkrankten darüber zu entscheiden, wie die knappen personellen und materiellen Ressourcen aufzuteilen sind.»
Nicht nur das, Alpträume hat Jakob, weil er die Zukunft schwarz sieht; bei bisherigen Überlegungen sei man immer davon ausgegangen, was getan werden müsse, wenn beispielsweise 12 Patienten, aber nur 10 Betten vorhanden sind. «Wenn jetzt noch einmal eine Welle kommt, werden wir aber eher in der Situation sein, dass wir zehn Patienten für zwei Betten haben», sagt Jakob auf SRF.
Nun wollen wir ungern einem Professor widersprechen, und auch den Straftatbestand der Schreckung der Bevölkerung wollen wir nicht ins Feld führen. Dagegen aber vielleicht ein paar Zahlen.
Wir bedienen uns dafür beim Bundesamt für Statistik und verwenden die von Markus Somm (Nebelspalter) aufbereitete Grafik:
Dürfen wir aus ihr schliessen, dass vor allem Menschen über 80 Jahre im Risiko stehen, an Covid 19 schwer zu erkranken oder gar zu sterben? Während sie bei 20- bis 30-Jährigen bei 1 : 42'000 liegt? Ja. Dürfen wir daraus schliessen, dass sich seit Ausbruch der Pandemie alle Massnahmen schwergewichtig darauf konzentrieren, diese deutlich abgrenzbare Risikogruppe zu schützen?
Nein, das dürfen wir leider nicht. Mehr Zahlen. In der Schweiz sind bislang etwas über 11'000 Menschen an Covid 19 gestorben. Wir ersparen uns die Debatte über an oder mit. Jeder einzelne Fall ist eine Tragödie – aber kein Anlass zu Panik. Vor allem Schweizer unter 50 können es gelassen angehen; bislang sind in dieser Altersgruppe 68 Menschen gestorben.
Da immer wieder Horrorszenarien von Ärzten und Wissenschaftlern herumgeboten wurden, dass es in der Schweiz bis zu 100'000 Tote geben könne, sollte man vielleicht mit solchen Alpträumen nicht öffentlich hausieren gehen, wenn wir einem Professor diesen Ratschlag gegen dürfen.
Wie schon mehrfach dargestellt, sind die Zahlen der zertifizierten Betten als einziger Massstab für die Auslastung der Intensivstationen untauglich.
Stand 30. November 2021, offizielle Zahlen des BAG.
Seit Mitte November hat tatsächlich eine leichte prozentuale Veränderung stattgefunden. Das aber immer vor dem Hintergrund, dass jedes Spital bemüht ist, so wenig leere Betten in den IS zu haben wie möglich.
Müssen wir nun mit dem Schlimmsten rechnen? Und wenn ja, ist das dann die Schuld von verstockten Nicht-Geimpften, die verantwortungslos erkranken und Intensivpflege benötigen?
Richtig ist zunächst, dass ein Abbau von Betten in den IS stattgefunden hat, mitten in der Pandemie. Warum? Prof. Jakob liefert so nebenbei eine Erklärung dafür: «Eigentlich hätten wir 36 zertifizierte IPS-Betten. Aktuell können wir 28 betreiben, nächsten Monat noch 26», sagt Chefarzt und Klinikdirektor Stephan Jakob. Grund sei der Personalmangel: «Viele haben gekündigt. Manche sind länger krankgeschrieben, weil sie nach diesen schweren 21 Monaten so erschöpft sind», sagt er auf SRF.
Die Debatte über die Schuld der Impfverweigerer soll hier nicht geführt werden. Aber man kann sagen, dass eines der Hauptprobleme der Intensivstationen nicht sie darstellen. Sondern der Personalmangel.
Der hingegen ist längst bekannt, war schon vor der Pandemie virulent. Aber wohlfeile Politikerworte, dass da dringend etwas unternommen werden müsse oder Klatschen auf dem Balkon kann dieses Problem nicht wegzaubern.
Hier handelt es sich um ein klares Versagen der Verantwortlichen. Also Spitalleitungen, Behörden und Exekutivpolitiker für das Spitalwesen. Sie haben buchstäblich nichts unternommen.
Die Bevölkerung, verschreckt und abgelenkt, hat ebenfalls nicht energisch Abhilfe gefordert. Alle Hilferufe des Pflegepersonals wurden mit bedauernden Geräuschen quittiert – und einem «da müsste man aber mal unbedingt».
Es ist eben einfacher, inbrünstig die Glaubensdebatte über Vor- oder Nachteile oder Auswirkungen der Impfung zu führen, als Geld in die Hand zu nehmen und eine der Ursachen für eine mögliche Überlastung zu beseitigen.
Es ist einfacher, nur die zertifizierten Betten zu zählen als darauf hinzuweisen, dass es problemlos möglich war, deren Zahl fast zu verdoppeln – um halt nicht zertifizierte, aber gleichwertige Betten. Nur: ohne Personal geht da nichts.
Jeder, der nicht lautstark Abhilfe fordert und dann als Patient in der IS landet, muss sich durchaus Eigenverschulden vorwerfen lassen. Das gilt selbstverständlich auch für die Geimpften.
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