Rund 90 Personen haben im Kanton Thurgau eine Abstimmungsbeschwerde gegen die Vorlage zum Covid-19-Gesetz vom 28. November eingereicht. Direkte Folgen dürfte das keine haben. Dafür müsste sich zuerst das Bundesgericht einschalten.
Stein des Anstosses für die Abstimmungsbeschwerde ist der viel diskutierte Text auf dem Abstimmungszettel. Dieser beinhalte einen «Propagandazusatz», heisst es in der Beschwerde, das stellvertretend für rund 90 Unterzeichner vom Thurgauer Anwalt und SVP-Kantonsrat Hermann Lei verschickt wurde. Im Unterschied zu den beiden anderen Vorlagen –Pflege- und Justizinitiative – ist hier der Inhalt näher beschrieben mit den Stichworten «Härtefälle, Arbeitslosenversicherung, familienergänzende Kinderbetreuung, Kulturschaffende, Veranstaltungen». Dafür fehlt jeder Hinweis auf die Auswirkungen des Urnengangs auf das Covidzertifikat beziehungsweise die damit verbundene Zertifikatspflicht – für viele Stimmbürger das entscheidende Element.
Für die Beschwerdeführer ist diese Wortwahl auf dem Stimmzettel «irreführend und manipulativ». Es werde damit der Anschein erweckt, «dass es bei dieser Abstimmung ausschliesslich um Härtefallgelder, ALV, Kinderbetreuung, Kulturschaffende und Veranstaltungen ginge, obwohl diese Themenfelder grösstenteils bereits verabschiedet wurden und nicht mehr zur Debatte stehen.»
Das Thema ist nicht neu. Auf verschiedenen Kanälen kritisieren seit dem Versand der Abstimmungsunterlagen viele Leute die Ausgestaltung des Abstimmungstexts. Dieser vermittelt den Eindruck, es gehe bei der Abstimmung ausschliesslich um finanzielle Hilfen. Allerdings laufen die meisten Finanzhilfen ohnehin im März 2022 aus, und selbst bei einem Nein zum Covid-19-Gesetz würde diese Frist nicht unterschritten. Laut der Abstimmungsbeschwerde werde durch den Eindruck, den der Text der Bundeskanzlei erweckt, der Anspruch der Stimmberechtigten verletzt, «den freien und unverfälschten Willen (…) zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringen zu können.»
Dass das Thema Covidzertifikat überhaupt gar nicht erst zur Sprache kommt, bezeichnen die Beschwerdeführer als «dreiste Irreführung». In den erläuternden Informationen im Abstimmungsbüchlein ist das Zertifikat dann zwar ein Thema. Aber hier, heisst es in der Abstimmungsbeschwerde, würden die Stimmbürger getäuscht, indem man vorgebe, das Covidzertifikat erleichtere sämtliche Auslandreisen erheblich. Die meisten Länder der Welt würden aber das Zertifikat für die Einreise nicht voraussetzen, heisst es dazu.
Die Beschwerdeführer bringen weitere Punkte auf. Sie sprechen unter anderem von einem gezielt geschürten «Klima der Verunsicherung, Angst und Panik geschürt, der grosse Teile der Bevölkerung «verängstigt, in Panik versetzt und deren Verstand lähmt.» Deshalb seien die Stimmberechtigten nicht in der Lage, sich eine sachbezogene und hinreichende Meinung über den Abstimmungsgegenstand zu bilden.
Die Abstimmungsbeschwerde auf kantonaler Ebene ist eine «Ehrenrunde», wie Hermann Lei sagt. Eine Kantonsregierung kann eine nationale Abstimmung weder absetzen noch verschieben; sie ist schlicht nicht die zuständige Instanz. Entsprechend wird sie einen formellen Nichteintretensentscheid fällen und diesen publizieren müssen. Mehr kann sie nicht tun.
Vor diesem Hintergrund wirkt es zunächst seltsam, überhaupt an die kantonale Regierung zu gelangen. Der Umweg ist aber nötig. Denn Beschwerden dieser Art werden vom Bundesgericht beurteilt, aber nicht als erste Instanz, sondern nur bei Beschwerden gegen Verfügungen der Bundeskanzlei und gegen Entscheide von Kantonsregierungen. Zuerst muss also diese vorliegen, bevor das Bundesgericht aktiv werden kann.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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