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Interview mit Mathias Inhelder

«Das Areal Bach zeigt, was aus einem Gedankenspiel entstehen kann»

Mathias Inhelder, Vorstandsmitglied des Quartiervereins Nordost-Heiligkreuz und Geschäftsmitinhaber der GSI Architekten, hat das Areal Bach initiiert. Der Architekt spricht im Interview über das innovative Projekt und über den Wert von Grünflächen in der Stadt.

Die Ostschweiz am 18. Februar 2021

Interview: Daniel Steiner

Mathias, wie entstand die Idee, die brache Fläche in St. Fiden zu bespielen?

Das Gebiet zwischen Bahnhof St. Fiden und Migros Bach ist bei uns im Vorstand schon seit Jahren ein Thema. Die Brache präsentiert sich als Visitenkarte von unserem Quartier, allerdings eine, auf die wir bis anhin nicht besonders stolz sein durften. Zudem trägt die Kiesfläche massgeblich zur Überhitzung des Gebiets rund um den Bahnhof bei. Seit Jahren sind Freiräume zur Begegnung in unserem multikulturell geprägten Gebiet ein Thema, passiert ist bis Anhin wenig.

Als wir dann im Jahr 2017 als Teil der Begleitgruppe der Testplanung rund um den Bahnhof St. Fiden mitwirkten, erkannten wir die Chance des Stillstandes. Die Idee einer Belebung des Areals setzte sich in unseren Köpfen fest. Bis das Gebiet weiterentwickelt wird vergehen noch Jahre. Diese Zeit wollen wir nutzen und mit einer Umgestaltung viele Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Wie ging es weiter?

Der Vorstand des Quartiervereins beauftragte mein Büro ein Grobkonzept auszuarbeiten. Mit dieser Grundlage klopften wir beim Amtshaus an und stiessen von Anfang an auf offene Ohren bei der Stadt. Die Stadt St. Gallen ist bei diesem Projekt der wichtigste Partner. Einerseits als Grundstücksbesitzerin, andererseits für den finanziellen Support.

Mussten neben der Stadt noch andere Nutzer angefragt werden?

Auf dem Areal Bach bestehen viele Nutzungen, die sich über die Jahre etabliert haben. Der Zirkus Knie stellt hier jeweils seine Wagen ab, die OLMA-Messen betreiben einen Checkpoint und einen Teil des Messe-Parkings. Das Kantonspital und die Migros haben ebenfalls Parkierungsflächen gemietet, die SBB hat ihre Ansprüche und es gibt eine Entsorgungsstelle. Diese Liste ist fast endlos und die Anlage vor Ort präsentierte sich entsprechend chaotisch. Die verschiedenen Bedürfnisse galt es unter einen Hut zu bringen und trotzdem qualitativ hochwertigen Raum zu schaffen. Sei dies für Begegnungen oder Grünflächen, Events oder als Platz für noch zu entwickelnde Möglichkeiten.

Du bist in der Geschäftsleitung der GSI Architekten AG. Dein Büro hat massgeblich dazu beigetragen, dass das Areal Bach realisiert werden konnte. Was war die Motivation?

Als Architekten und Planer tragen wir Verantwortung für die gebaute Umwelt. Das begrenzt sich in unserem Verständnis nicht nur auf Gebäude. Auch in Bezug auf Freiräume, Strassenzüge und ortsbauliche Themen können wir unsere Fantasie und Vorstellungskraft nutzen, um Visionen aufs Papier zu bringen. So kann ein Stadtgefüge weitergedacht werden und Neues entstehen. Das Areal Bach zeigt exemplarisch, was aus einem Gedankenspiel entstehen kann.

Es lohnt sich, etwas zu wagen. Im eigenen Quartier ist man natürlich noch motivierter, weil man davon selber betroffen ist oder nach einer erfolgreichen Realisierung davon profitieren kann. Neben vielen Rückschlägen haben wir auch viel Zuspruch erhalten von den Projektpartnern und wir können von schönen Erlebnissen zerren, wie dem gelungenen Quartierfest im letzten Spätsommer.

Ihr habt euch finanziell stark an der Zwischennutzung beteiligt. Dies dank der Pro Bono Finanzierung einer 40%-Stelle für die Projektentwicklung. Wie kam das?

Jemand muss bei solchen Projekten den ersten Schritt wagen und den Aufwand auf sich nehmen. Wenn alle immer zuwarten, bis jemand anderes etwas unternimmt, führt das schlichtweg zu keinem Ergebnis. Es ist ein wenig wie ein Domino-Spiel. Sobald die ersten paar Steine gefallen sind, ziehen weitere nach. Wenn es irgendwo stockt, dann muss man wieder aufstehen, nach Lösungen suchen und das Projekt weiterschieben. Das haben wir mit der 40%-Stelle für die Projektentwicklung versucht.

Hinter dem Projekt steht also ein grosser finanzieller und personeller Aufwand?

Sehr, sehr viele Arbeitsstunden waren nötig, bis wir die finale Freigabe von der Stadt erhalten haben. Nicht nur wir vom Büro GSI, sondern auch die Vorstände vom Quartierverein und vom Areal Bach haben sich beteiligt. Nicht zuletzt haben auch die Bevölkerung sowie zahlreiche KMU’s und die Stadt das Projekt stark mitgetragen. Dieser Einsatz wurde geschätzt und bei der Kostengutsprache von 150'000.- an den Verein vom Stadtrat gewürdigt.

Es war aber sehr kräftezehrend und deshalb hoffen wir, mit diesem Projekt beitragen zu können, dass künftig die Hürden für andere Projekte aus der Bevölkerung tiefer gesetzt werden. Das Areal Bach soll ein Leuchtturm sein und andere Initianten motivieren, ihr Umfeld aktiv mitzugestalten. Wenn wir es schaffen, andere Personen hierfür zu gewinnen und die Behörden weiter zu sensibilisieren, dann ist ein Hauptziel erreicht.

Welchen Wert haben Grünflächen in der Stadt?

Einen unschätz- und unverzichtbaren Wert. Nur dank vernetzten Grünflächen werden Städte künftig noch in gewohntem Masse belebt werden können. Dabei stellt die Überhitzung ein zentrales Thema dar. Grünflächen tragen aktiv zur Kühlung von Hitzeinseln bei und bieten dringend benötigten Freiraum. Nicht nur für die Biodiversität, sondern auch für die dichter zusammenwachsende Bevölkerung. Eine Stadt der kurzen Wege benötigt schnell erreichbaren Freiraum. Auch wenn wir in einem grünen Ring leben, auf Stadtgebiet stehen schlichtweg noch nicht genügend solcher Flächen zur Verfügung.

Welche Herausforderungen hat der Klimawandel für die Architektur zur Folge?

Bauten und Anlagen stehen an beiden Enden der Klimaerwärmung. Zum einen ist die Bautätigkeit ein grosser Treiber des Klimawandels, da zu viel Energie für die Erstellung und den Betrieb verschwendet und zu viel CO2 ausgestossen wird. Zum anderen müssen wir Planer die Gebäude den Umweltbedingungen anpassen. Nicht mehr nur der Wärmeverlust im Winter ist relevant, auch die sommerliche Überhitzung von Räumen gilt es clever zu vermeiden.

Stadtplaner, Bauherren und Architekten könnten künftig also noch mehr machen für eine grüne Stadt?

Auftraggeber und Ausführende im Bauwesen besitzen einen grossen Hebel, um aktiv etwas zu unternehmen. Das Wissen ist vorhanden, was noch fehlt, ist vielfach der Wille oder die erkannte Dringlichkeit. Das Bauen wird sich grundlegend verändern müssen. Die Zeiten der Verschwendung von Flächen, nicht erneuerbaren Materialien und Energien sind vorbei.

Nachkommende Generationen werden sich über unsere aktuelle Vorgehensweise die Haare raufen. Bestenfalls lachen sie uns aus, eher wahrscheinlich jedoch ist, dass diese Generationen (zurecht) richtig wütend auf uns sein werden. Das Areal Bach ist dabei ein Tropfen auf den heissen Stein, aber immerhin schon mal ein Tropfen.

Welche Massnahmen sind künftig wichtig für eine nachhaltige Stadtentwicklung?

Nachhaltige Stadtentwicklung beginnt in der Bewahrung und Stärkung von lokalen Identitäten. Dabei gilt es die Freiräume wie auch Strassenräume nach den Bedürfnissen der Bewohner zu entwickeln. Bestehende hochwertige Freiräume müssen gestärkt und geschützt werden. Erst wenn die Struktur gesundet, sollte man damit beginnen, Hochbauten zu entwickeln. Stadt entsteht da, wo sich Menschen begegnen. Mit kurzen Wegen werden soziale Netze gestärkt und eine Verbundenheit geschaffen. Das einzelne Gebäude ist da nicht einmal so wichtig, was natürlich Pech für die Architekten ist (schmunzelt).

Viel wichtiger ist eine intelligente und nachhaltig verdichtete Quartierentwicklung. So kann bezahlbarer Wohnraum, auch für junge Familien, geschaffen werden und die gebaute Umgebung nachhaltig belebt werden. Die Stadt St. Gallen hat dank ihrer Zentrumsfunktionen eine hervorragende Ausgangslage, diese gilt es zu nutzen!

Box

Zwischennutzung: Areal Bach wird zur grünen Oase

Jahrelang fristete die Brache zwischen Bahnhof St. Fiden und Migros Bach im Osten der Stadt St. Gallen ein tristes Dasein. Damit ist jetzt Schluss. Seit Frühjahr 2019 arbeiten die Initianten gemeinsam mit Anwohnern, Behörden, Partnern, Gönnern und Spender daran, das Areal in einen beliebten und vielfältig genutzten öffentlichen Platz zu verwandeln.

Mit seinen rund 10'000 Quadratmetern bietet die ehemalige Brache künftig vielen Nutzern und Aktivitäten einen Raum – einen einmaligen Versuchsort in St. Gallen! Auf der Freifläche sind im Herbst 2020 die Bagger angerollt. Jetzt wird aus dem Schotterplatz ein Begegnungsort mit viel Grün, eine Spielwiese auf Zeit, ein bunter Tummelplatz für Gross und Klein.

Die Zwischennutzung ist vorerst auf fünf Jahre begrenzt. Die Verantwortlichen sind überzeugt: Sie tut Klima und Menschen gut und schafft eine wunderbare Grundlage für kommende bauliche und sozialräumliche Entwicklungen.

Mehr Informationen finden Sie unter folgendem Link.

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«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund 300'000 Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG, ein Tochterunternehmen der Galledia Regionalmedien.

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