Was tut man, wenn man alles Mögliche versucht hat, aber nichts so richtig funktioniert? Man presst das bereits Getane durch einen Zufallsgenerator und nimmt das, was unten rauskommt, als neues Rezept. Willkommen bei der neuesten Massnahmenrunde des Bundesrats.
Der Bundesrat hat ja bekanntlich den Föderalismus wiederentdeckt. Fleissig speist er bei den Kantonen Ideen ein, zu denen sich diese vernehmen lassen können. Anders als früher sogar mit einer Wirkung, die Kantone konnten in der Vergangenheit immerhin die absurdesten Ideen wie eine Prämie für Impfempfehlungen abschiessen. Da aber die Kantone inzwischen genau so panisch drauf sind wie der Bund, gibt die Mitsprache zu wenig Hoffnung Anlass.
Originell ist das, was der Bundesrat an Optionen bereithält seit Freitag, nicht. Es ist das, was die Medien – die ja offenbar ohnehin den Takt vorgeben – schon lange fordern. Die Landesregierung schlägt unter anderem vor, 2G einzuführen. Das war ja nur eine Frage der Zeit. Getestete, die sichersten Zeitgenossen überhaupt, sind lästig, vor allem, falls die Tests wieder kostenlos werden sollen. Was soll man mit diesen Leuten tun, die am ehesten ungefährlich sind, aber sich renitent nicht impfen lassen wollen? Dann doch lieber Zutritt in Restaurants, Kinos und so weiter nur für Geimpfte (die Lieblingskategorie des Bundesrats) sowie Genesene (eine völlig unklar definierte Gruppe).
Die Spielart 2G+, bei der sogar Geimpfte und Genesene sich vor dem Besuch zusätzlich testen lassen müssen, ist besonders kreativ. Ein Journalist fragte in der Tat, was das denn solle mit dem Test, bei Geimpften und Genesenen bestehe ja keinerlei Risiko mehr. Der Mann liest offenbar nicht mal die offiziell verfügbaren Statistiken. Er hält die Impfung immer noch für einen umfassenden Schutz vor Ansteckung, Erkrankung und Weitergabe des Virus. Erstaunlich.
Und dann gibt es noch die Variante 2G mit Maskenpflicht. Ungeimpfte bleiben draussen (das tun sie eigentlich bei allen Vorschlägen, darum geht es ja auch), Geimpfte und Genesene sind aber mit Maske unterwegs in den Lokalitäten, die ihnen vorbehalten sind. Das klingt schwer nach der Normalität, die uns einst versprochen wurde, sobald alle, die sich impfen lassen wollen, geimpft sind. Fast schon wie früher. Gut, ein Drittel der Leute darf nichts mehr, die anderen zwei Drittel müssen wieder Maske tragen, aber man sollte bescheiden sein mit den Erwartungen an die neue Normalität. Sie sieht nun einmal so aus, basta.
Mit einigen besonders originellen Vorschlägen, die eigentlich nur in einer staatlichen Verwaltung entstehen können, wird derweil munter weiter Stimmung gegen Ungeimpfte gemacht. Treffen sich Menschen in Innenräumen, soll die Anzahl auf fünf Personen beschränkt werden, sobald ein Ungeimpfter dabei ist. Der ist dann gewissermassen der Spielverderber, weil er eine grössere Anzahl Leute verhindert. Es gab mal eine Zeit, da hat sich die halbe Schweiz über ein Wahlplakat aufgeregt, auf dem ein schwarzes Schaf zu sehen war. Inzwischen werden schwarze Schafe am Laufband produziert.
Warum es angesichts der wundersamen Wirkung der Impfung eine Rolle spielt, ob ein Ungeimpfter auf vier, 40 oder 400 andere trifft, bleibt schleierhaft. Der Bundesrat liebt einfach möglichst konkrete Zahlenspiele, vor allem solche, die sich in der Realität gar nicht durchsetzen lassen. Man müsste vielleicht Aktien bei der Securitas kaufen, es wird viel zu tun geben, um bei Zusammenkünften von einem halben Dutzend Leute die bösen Ungeimpften zu enttarnen.
Auch die gute alte Homeoffice-Pflicht, die das Virus ja bekanntlich schon einmal völlig ausradiert hat, kommt wieder aufs Tapet. Die perfekte Gelegenheit also, zuhause so zu tun, als würde man arbeiten, während man in Wirklichkeit den Weihnachtsschmuck ums Haus aufhängt. Ach ja, ein Lockdown der Gastronomie steht auch noch zur Debatte, weil frühere Durchführungen so erfolgreich waren. Wir erinnern uns: Monsieur Berset vermutet einfach eine versteckte Gefahr in Restaurants, obwohl es dafür nach wie vor keinen Beleg gibt. Sein diffuses Gefühl muss reichen für eine weitere Variante, die eine ganze Branche zerstört. Bei Bundesratssitzungen klingt das vermutlich etwa so: «Wir haben keine Ahnung, was wir tun sollen, aber man erwartet, dass wir etwas tun, also schliessen wir doch einfach wieder die Restaurants.»
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Und nun doch noch im Ernst: Der Bundesrat wildwuchert im gleichen Stil, in dem er seit bald zwei Jahren fuhrwerkt. Völlig willkürlich schnürt er ein Bündel an Vorschlägen und wirft sie in die Runde, als ginge es darum, in einer basisdemokratischen Debatte auszujassen, wo das diesjährige Weihnachtsessen einer Firma stattfindet. Gemessen an der angeblichen Jahrhundertpandemie, der grössten Krise in der Schweiz seit dem 2. Weltkrieg, staunt man schon über das Potpourri an Ideen, zu denen sich die Kantone nun auslassen können. Bisschen mehr von dem, etwas weniger vom anderen? Würde es wirklich eine Rolle spielen, gäbe es gar nicht erst ein Auswahlverfahren. Wäre es wirklich ernst, hätten wir keine Optionen.
Man tue in der Schweiz nur immer das wirklich Nötige und bloss nie zu viel an Massnahmen, befand Berset sinngemäss vor den Medien. Da ist er nun doch etwas zu bescheiden. Inzwischen reicht es ja, dass eine (offenbar immer noch unterbeschäftigte) Spitalbelegschaft mit Steuergeldern ein Panikvideo dreht, und schon rattert das Massnahmenkarussell wieder. Hat eigentlich jemals jemand hinterfragt, warum in Spitälern, die hoffnungslos überlastet sind, Zeit und Geld vorhanden ist, um professionelle Videos zu drehen?
Es geht längst nicht mehr um zu viel oder zu wenig. Es geht um die Frage, ob überhaupt irgendetwas davon nötig ist – und ob überhaupt irgendetwas davon irgendeinen Sinn macht. Da man die Frage aber nicht stellen darf, existiert sie nicht.
Nichts spricht dafür, dass das Jahr 2022 anders aussehen wird. Der neue Bundespräsident Ignazio Cassis ist gemessen an seinen ersten Äusserungen auch ein Anhänger der blinden Unverhältnismässigkeit und des Stocherns im Nebel. Es wird also nicht besser werden. Die Antwort heisst weiterhin: Lasst uns mehr tun von dem, was nichts bringt und auf gut Glück noch ein paar andere Dinge ausprobieren.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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