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Gastkommentar

Das Covid-Gesetz braucht es nicht mehr

Während der Covid-Krise sass ich in der gesundheitspolitischen Kommission und war bei allen Sitzungen zum Epidemiengesetz und auch zum Covid-Gesetz dabei. Ich war einer der wenigen Politiker, die sich medial gegen gewisse Massnahmen positionierte und Kritik übte. Gefährdet das meine Wiederwahl?

Marcel Dobler am 05. März 2023

Ich frage mich, weshalb man in den Zeitungen nicht mehr konstruktive Kritik der vierten Gewalt an den Massnahmen und der Organisation lesen konnte.

Mittlerweile wissen wir vom Fall Ringier und den Indiskretionen. Zu glauben, dass Informationen zu nur einem Verlag geflossen sind, halte ich für naiv.

Bei Gesetzesberatungen und aktuellen politischen Themen ist es üblich, dass Medien auf Kommissionsmitglieder zugehen, um Informationen darüber zu erhalten. In dieser Jahrhundertkrise ist dies aber kaum passiert.

Obwohl ich als Kommissionsmitglied direkt involviert war, wurde ich im Unterschied zu normalen Geschäften nicht kontaktiert. Die einzigen Medien, die sich regelmässig meldeten und dann auch Systemkritik zuliessen, waren 20min, nau.ch und DieOstschweiz.ch.

Es ist töricht, davon auszugehen, dass dies Zufall ist, zumal über einen so langen Zeitraum von mehr als zwei Jahren. Kritische Stimmen gab es nicht, weil man sie nicht zuliess.

Selektive Kommunikation der vierten Gewalt in diesem Ausmass wiegt schwer.

Die Meinungen bei Themen wie AHV, BVG, Armeeabschaffung, etc. verlaufen normalerweise entlang der Parteigrenzen. Als Politiker ist man sich gewiss, sein eigenes Klientel geschlossen vertreten zu können.

Bei der Covid-Krise war dem nicht so. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Politiker, der wiedergewählt werden möchte, sich lieber für Themen engagiert, die sein eigenes Lager nicht spaltet.

Gerade ein so emotionales Thema wie Covid kann mehr Stimmen kosten als mobilisieren. Je gespaltener die eigenen Wähler sind, desto weniger exponiert sich ein Politiker.

Über alle Parteien hinweg gab es Politiker, die die Massnahmen befürworteten und anderen, denen sie viel zu weit gingen. Aus meiner Sicht ist dieser Umstand, neben dem Boykott von Kommissionsmitgliedern durch die Medien, der Grund warum so wenige Politiker sich exponiert haben.

Ich persönlich vertrete lieber meine eigene Meinung mit dem Risiko, nicht wieder gewählt zu werden, als dass ich ohne Meinung wieder gewählt werde.

Die Covid-Krise ist nun vorbei. Noch in diesem Jahr folgt ein erster Entwurf für die Revision des Epidemiengesetzes. Das Referendum und die Volksabstimmung werden frühestens 2026 erwartet.

Der Bundesrat will das Covid-Gesetz 2024 auslaufen lassen. So oder so gibt es also einen Zeitraum, wo die ergänzenden Möglichkeiten des temporären Covid-Gesetzes nicht mehr greifen.

Das Covid-Gesetz jetzt auf Vorrat zu verlängern, im Wissen dass es sowieso nicht nahtlos ins neue Epidemiengesetz übergeht, ist aus meiner Sicht inkonstistent und falsch. Die Covid-Krise ist vorbei und darum braucht es dieses Gesetz nicht mehr.

Warum sollte die Angst vor einer Mutation des Virus im Jahr 2023 jetzt zu einer Verlängerung führen, wenn man für die Jahre 2024, 2025 und 2026 keine Probleme sieht und das Gesetz dann auslaufen lässt?

Aus diesem Grund gilt es, das Gesetz jetzt abzulehnen und das Referendum zu unterstützen.

Im Nachgang möchte ich noch auf einzelne Punkte und Erfahrungen aus der Covid-Zeit eingehen.

Ein Parlament ohne Entscheidungskompetenz

Die Geschichte bietet uns die Möglichkeit aus Erfahrungen zu lernen. Im zweiten Weltkrieg setzte der Bundesrat ständige Kommissionen ein, um bei dringlichen Entscheiden die demokratische Legitimation abzuholen und beschlussfähig zu sein. Nicht so in der Covid-Krise: Alle beschlossenen Massnahmen wurden vom Bundesrat allein gefällt, entweder gestützt auf das Epidemiengesetz oder das Covid-Gesetz. Bei den Massnahmen gestützt auf das Epidemiengesetz wurden die Kantone konsultiert. Das Parlament wurde nur bei Massnahmen gestützt auf das Covid-Gesetz konsultiert. Aber wie der Name schon sagt, war es mehr eine Information, die Kommissionen hatten keine Möglichkeit zur Mitsprache. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die Ladenöffnungszeiten auf 19:00 Uhr beschränkt wurden. Die Kürzung der Öffnungszeiten verdichtet das Personenaufkommen und bewirkte genau das Gegenteil. Ein Fitnesscenter, das anstatt bis um 22:00 Uhr nur noch bis um 19:00 geöffnet hat erhöht das Ansteckungsrisiko. In der Kommission war deshalb auch die Mehrheit gegen diese Beschränkung. Wie auch bei anderen Massnahmen ging der Bundesrat überhaupt nicht darauf ein und fällte seinen Entscheid im Alleingang. Im Rat durften wir dann die bereits beschlossenen Massnahmen bzw. die finanziellen Entschädigungen für die bereits beschlossenen Massnahmen freigeben. Anträge dem Parlament Kompetenzen zurückzugeben wurden allesamt vom Rat abgelehnt: Die Mehrheit der Parlamentarier hatte keinerlei Interesse, an diesem Entscheidungsprozess mitzuwirken.

Covid-Taskforce

Der Auftrag des Bundesrats an die Covid-Taskforce hat die Task-Force gleich selbst geschrieben: Ein sich selbst konstituierendes Gremium von gut 60 Personen. Besonders problematisch war die Handhabung der Kommunikation. Jedes Mitglied hatte das Recht, selbständig zu kommunizieren und parallel zur Haltung der Taskforce die eigene Meinung in der Öffentlichkeit zu vertreten. Man stelle sich in einer Firma oder einem Armeestab vor, dass jedes Mitglied eines Leitungsgremiums fast täglich seine eigene persönliche Ansicht neben dem Entscheid der Presse kommuniziert. Ich habe kein Verständnis dafür, dass dieses Kommunikations-Wirrwarr während einer mehrjährigen Krise nicht angepasst bzw. überarbeitet wurde. Aus meiner Sicht ein klares Führungsproblem. Hinzu kommt, dass man Entscheide nur so gut treffen kann, wie die zugrunde gelegten Informationen sind. Eines der zentralen Probleme der Covid-Krise. Hätte die Covid-Taskforce das notwendige Zahlenmaterial gehabt, wäre sie vermutlich zu anderen Schlüssen gekommen.

Operation Blindflug

In jeder erfolgreichen Firma trifft man zahlenbasierte Entscheidungen. In der Covid-Krise wurden zwar Grundrechte massiv eingeschränkt; eine Vorschrift zu erlassen, den Kantonen vorzuschreiben, welche Daten in welcher Form geliefert werden sollen, damit man eine fundierte Entscheidungsgrundlage hat, schaffte man aber nicht: Hierfür fehlte dem Bundesrat eine gesetzliche Grundlage. Zettel wurden von Hand ausgefüllt, gefaxt und dann im System eingegeben. Ein an Covid verstorbenes Kind schaffte es schweizweit auf die Titelseite; tatsächlich handelte es sich um eine Seniorin, die in unleserlicher Schrift erfasst wurde. Auch heute, mehr als zwei Jahre nach Beginn der Covid-Krise haben wir keine sinnvollen Daten aus den Intensivstationen. Man glaubt es kaum! Für die Datenerhebung bei Spitaleintritt ist das BAG zuständig. Bei Übertritt auf die Intensivstation ist dann der Sanitätsdienst im VBS zuständig. Das BAG erfasst ausführlich alle Daten auf mehrseitigen Formularen der Patienten. Auf den Intensivstationen werden Strichli-Listen gemacht. Obwohl bei einer Pandemie insbesondere die Erfassung der schweren Krankheitsverläufe zentral sind, haben wir genau hier kein Zahlenmaterial. Anstatt die Daten vom BAG mit den IPS-Zahlen zu verknüpfen, hat man irgendwann begonnen, Strichlis zu machen, wenn ein Patient über 65 Jahre alt und ob er geimpft ist. Das genaue Alter, Vorerkrankungen, das Gewicht etc. - also alles, was relevant wäre für evidenzbasierte Entscheide - wurden ignoriert. Dies, obwohl die Spitäler diese Informationen eigentlich haben. Nach den Ferien waren zeitweise mehr als 80 % der Patienten auf den Intensivstationen Rückreisende aus Mazedonien und Kosovo. Zwei Wochen bevor darüber die Medien berichteten, wurde mir dies gemeldet und ich habe es weitergeleitet. Passiert ist nichts. Besonders amüsant war auch die Einführung einer Impfsoftware. Fast 26 Kantone haben je für sich Lösungen entwickelt und eingeführt, Zertifikatsapp, Tracingapp, etc. Nur ein paar Kantone setzten gemeinsam eine Software um.

Organisation

Warum gab es während der Covid-Krise keinen Krisenstab, der diesen Namen auch verdient? Auf den Punkt bringen dies die Recherchen der Republik Wer managt in Bern die Corona-Krise? – Republik . Der Einsatz des richtigen Personals am richtigen Ort ist nicht nur in der Wirtschaft zentral. Warum führen Personen in einer Jahrhundertkrise durch die Krise, die weder das Anforderungsprofil noch einen erforderlichen Lebenslauf mit diesen Qualifikationen haben? Ich bezweifle, dass der Bericht aus der Bundeskanzlei, welcher die Krise kritisch beleuchten soll, so viel Selbstkritik zulässt. Für Personen, die in der Vergangenheit grössere Krisen gemanaged haben, ist dies schwer zu verstehen.

Testkosten

Die Covid-Testkosten sind das beste Beispiel dafür, dass nur der Markt die Preise senken kann. Der Bund setzte den Preis für die Kostenübernahme auf CHF 36.00 fest. Fantasiepreis! Dann wurden die Tests nicht mehr übernommen und die Preise sanken um CHF 26.00 bis 31.00 pro Test. Danach wünschte die Politik erneut, dass diese Kosten übernommen werden. Also werden wiederum CHF 36.00pro Test bezahlt, im Wissen, dass die gleichen Teststellen vorher einen Drittel verrechnet haben. Genau das passiert, wenn der Staat die Preise festlegt. Dass man zu Beginn einen Anreiz schaffen wollte, um diese Testzentren aufzubauen, ist noch nachvollziehbar. Aber dass die Preise erst auf massiven externen Druck hin und viel zu spät angepasst wurden, ist absolut unverständlich.

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Marcel Dobler

Marcel Dobler (*1980) ist Nationalrat (FDP) für den Kanton St.Gallen. Er war einer der drei Gründer des Onlineshops digitec, der später an die Migros verkauft wurde. Dobler wohnt in Kempraten bei Rapperswil.

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