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Retter in Not

«Das ganze Ausmass ist unvorstellbar»

Catherine Perren war als Equipenleiterin von Redog  in der Türkei, um verschüttete Personen aufzuspüren. Was sie dort erlebt hat, wird sie wohl nie mehr vergessen. Doch trotz aller schlimmen Bilder nimmt sie auch positive Dinge mit für die Zukunft.

Manuela Bruhin am 20. Februar 2023

Kein Haus ohne Beschädigung. Hilflose Menschen. Stimmen aus der Tiefe. Konzentriertes Suchen mit den Rettungshunden. Sorgfältiges Abwägen: Kann hier nach Verschütteten gesucht werden – oder gefährden sich die Retterinnen und Retter dabei selber? Wenig Schlaf. Ewige Kälte. Aber auch: Dankbarkeit. Eine intensive Zusammenarbeit. Zusammengehörigkeit. Und: Der Beweis, dass das intensive Training mit den Rettungshunden auch im Ernstfall funktioniert und sich auszahlt. «Es sind ganz viele Emotionen, die wir mit nach Hause nehmen», fasst es Equipenleiterin Catherine Perren zusammen.

Rund um die Uhr

Eine Woche war sie in der Türkei mit den Rettungshundeteams von Redog vor Ort, um Verschüttete, Verletzte und auch Verstorbene aus den Trümmern zu retten – oder zu bergen. Die Such- und Rettungsorganisation war mit insgesamt 14 Hunden und 22 Mitgliedern rund um die Uhr im Einsatz. Mit der Rettungskette Schweiz waren acht Hundeteams sowie Equipenleiterinnen und Spezialisten der technischen Ortung im Einsatz. Mit sechs Hundeteams sowie einer Tierärztin, zwei Sanitätern und zwei Teamleitungen unterstützte REDOG seine Partnerorganisation GEA, eine türkische Hilfsorganisation mit Search and Rescue. Die Einsätze dauerten oftmals vierzehn Stunden, dann löste die andere Gruppe die vorherige ab. «Das Erste, was wir vor Ort gesehen haben, war ein riesiger Brand an der Küste», erinnert sich Catherine Perren an die ersten Stunden in der Türkei. Etwa drei Stunden waren sie mit dem Bus zu den Schadensplätzen unterwegs. Eine lange Wartezeit musste vorgängig in Kauf genommen werden, bis alle Hilfsmaterialen im Bus verstaut waren. Dennoch sei die Schweiz eines der ersten Länder gewesen, die vor Ort waren. Und genau dieser schnellen Hilfe ist es zu verdanken, dass so viele Überlebende gerettet werden konnten.

Für die Walliserin, welche in der Ostschweiz zu Hause ist, war es der erste Einsatz in diesem Ausmass. Das «Rettungsgen» trägt sie aber bereits seit ihrer Kindheit in sich – in Zermatt aufgewachsen, ist sie mit dem Rettungswesen und somit den Lawinenspürhunden bestens vertraut. Und als sie schliesslich ihren Deutschen Langhaarschäfer in ihre Familie aufnahm, war der Beitritt zu Redog 1996 beschlossene Sache. In der Türkei war sie als Equipenleiterin ohne ihren Hund dabei. Die Bilder, die sie dort sah, kann sie aber relativ gut wegstecken – dank einiger Voraussetzungen. In ihrem Beruf als Hebamme sei sie ebenfalls mit unterschiedlichen Schicksalen konfrontiert, sagt sie im Gespräch. «Man lernt, sich abzugrenzen. Sonst würde es nicht funktionieren.»

**Schwierige Rettung **

Während eines Einsatzes müssten die Gefühle weichen, um der Konzentration Platz zu machen. Denn die sei nötig – angesichts der starken Nachbeben musste jeder Schritt, jeder Griff wohlüberlegt sein. «Wir konnten den Ingenieuren vollstes Vertrauen schenken. Dennoch bleibt ein mulmiges Gefühl zurück, wenn die Erde so stark bebt und man das ganze Ausmass der Verwüstung sieht.» Denn auch durch die vielen Bilder in den Medien haben Aussenstehende nur einen kleinen Einblick darüber, wie verheerend die Situation vor Ort wirklich ist. Und nicht immer so einfach gestaltet sich die Rettung. Wie in etwa dann, wenn zwar Stimmen aus den Trümmern zu hören sind, es aber für die Retter zu gefährlich ist, selbst hinabzusteigen. Angehörige stehen daneben und sind verzweifelt – wer könnte ihnen das verübeln? Dennoch: «Die Sicherheit der Retterinnen und Retter sowie Hunde steht an erster Stelle», fasst es Catherine Perren zusammen.

Nebst der grossen Anzahl Überlebender wurden auch viele Tote aus den Trümmern geborgen. Auch dies sei für die Familien wichtig, betont Perren. Denn im Anschluss an die Rettungseinsätze fahren die grossen Maschinen auf – würde sich ein Überlebender in den Trümmern befinden, wäre das natürlich umso verheerender. Die Hunde seien jedoch für die Suche nach lebendigen Personen ausgebildet. Wo fängt die Suche überhaupt an? Da sich das Beben in den frühen Morgenstunden ereignet hat, konzentrieren sich die Helfer – soweit sie davon Kenntnis haben - auf die Schlafräume eines Hauses. Zeige ein Hund eine Witterung an, werde sie von einem zweiten, eventuell sogar dritten Rettungshund bestätigt. Erst dann fängt das sorgfältige Graben an.

Mutter und ihr Baby

Als ganz besonderes Schicksal hat sich die Rettung eines vier Monate alten Babys in die Erinnerung von Perren eingebrannt. «108 Stunden hat es in den Trümmern überlebt – und auch die Mutter konnte gerettet werden. Das war ein Highlight für uns alle.» Wie nahe Freud und Leid beieinander liegen, zeige sich aber auch am Schicksal der betroffenen Familie: Der elfjährige Sohn hat das Unglück leider nicht überlebt.

Einen Strauss von Emotionen und Erlebnissen nimmt Catherine Perren mit nach Hause. Dort reden die Teammitglieder über das Erlebte, sie werden zusätzlich psychologisch betreut. Menschen und Hunde haben den Einsatz wohlbehalten überstanden – bis auf wenige kleine Schnitte in den Pfoten, die jedoch relativ schnell heilen werden. Der schwierige Einsatz habe verdeutlicht, dass sich das langjährige Training mit den Hunden ausbezahlt habe – wenn auch nicht auf der ganzen Linie. Zusammen mit dem neuen kantonalen Hundegesetz in St.Gallen müssen nämlich die Besitzenden der Rettungshunde wieder eine Hundesteuer entrichten. Bisher waren sie davor befreit. «Es kann nicht sein, dass wir nach der jahrelangen, kostenintensiven Ausbildung unserer Hunde auch noch eine Hundesteuer entrichten müssen», so Catherine Perren. Gerade auch deshalb, weil dies in anderen Kantonen nicht üblich sei. Die Ostschweizerin hofft deshalb, dass das Gesetz noch einmal überdacht wird. Und so immerhin ein kleiner Dank an die Retter und ihre Vierbeiner herangetragen werde. Denn, so verdeutlicht die Situation in der Türkei wohl gerade wie kaum ein anderes Ereignis, dass Geld alleine eben nicht alles ist.

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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