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Zeyer zur Zeit / Rammstein

Das gehört verboten!

Das Muster ist bekannt. Anonyme Anschuldigungen, nicht-anonyme Andeutungen. Machtmissbrauch, Macho-Mann. Einer, der so aussieht und auftritt wie der deutsche Sänger Till Lindemann ist schuldig. Auf Zuruf.

«Die Ostschweiz» Archiv am 12. Juni 2023

Wenn die Journalisten-Meute losgaloppiert, kennt sie kein Halten mehr. In Deutschland überbieten sich ehemals seriöse Medien in Denunziationsjournalismus, gegen den der Sensationsjournalismus der Boulevardblätter hochseriös wirkt.

In der Pole Position ist der «Spiegel», der schon einen deutschen Comedian, einen Schauspieler und einen Drei-Sterne-Koch an den medialen Pranger nagelte. Und einer rachsüchtigen Schweizer Journalistin, die nach einem Mobbing entlassen worden war, die Plattform gibt, sich nachträglich an ihrem Vorgesetzten und ihrem Verlag zu rächen, der ihr jahrelang ein auskömmliches Leben und Arbeiten ermöglichte.

Da wollte die Münchner «Süddeutsche Zeitung» nicht nachstehen und nagelte den Sänger und Frontman von Rammstein ans mediale Kreuz. Ein idealer Täter. Die martialischen Brachialauftritte der Band, ihr Spiel mit allen denkbaren Provokationen, da ist eine Vorverurteilung kein Problem.

Die Masche ist eigentlich ausgeleiert, aber immer wieder für eine Wiederholung gut. Ein Post auf den asozialen Medien, voller Andeutungen, Filmriss, blaue Flecken, aber kein sexueller Übergriff, und blöd auch, ein Drogentest blieb ohne Befund. Das ist der übliche Startschuss.

Dann melden sich anonyme Heckenschützen, deren Aussagen von insgesamt sechs Redakteuren der SZ ehrfürchtig aufgezeichnet werden. Nun befindet sich darunter aber zum grossen Bedauern der Journaille keine einzige handfeste Anschuldigung eines sexuellen Missbrauchs. Also muss verbal aufgerüstet und aufgepumpt werden: «Ob es sich um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja.» Behauptet die SZ, obwohl sie nicht dabei war.

Nun ist kein Halten mehr; selbst die NZZ verliert die Contenance und verwendet diesen Satz in einem Kommentar, ohne ihn als Zitat zu kennzeichnen. Das nennt man normalerweise Plagiat, aber die Medienstelle der alten Tante behauptet, das entspräche «selbstverständlich den üblichen redaktionellen Prozessen». Dazu scheint auch zu gehören, dass die NZZ – ungeheuerlich – zuerst titelte: «Till Lindemann und Rammstein: aus dem Künstler ist ein Täter geworden». Unschuldsvermutung, Vorverurteilung? Na und. Als dann der Verstand beim Weltblatt wieder einsetzte, wurde der zweite Teil des Titels klammheimlich in «Was ist Tat, was ist Fiktion» geändert. Ohne das transparent dem Leser auszuweisen.

In erster Linie via Tamedia (dem Herausgeber von «Tages-Anzeiger», BaZ, «Berner Zeitung», «Bund» usw.) schwappt dieser Denunziationsjournalismus auch in die Schweiz. Ohne die geringste Eigenrecherche werden hier die Anschuldigungen der SZ übernommen und eins zu eins dem Leser serviert. Aber solcher Hetzjournalismus hat ein Problem. Es muss immer noch einer draufgelegt werden, es kann ja nicht bei blossen Anschuldigungen bleiben.

Es muss vor allem darüber hinweggetäuscht werden, dass es zwar einen anschwellenden Gesang von anonymen Anschuldigungen gibt – wie immer in solchen Fällen. Auch Patrizia Laeri hat nach ihrem Outing, sie sei vor mehr als zwanzig Jahren das Opfer einer versuchten Kussattacke geworden, behauptet, bei ihr hätten sich Dutzende weiterer Frauen gemeldet, die ebenfalls Übergriffiges beim Schweizer Fernsehen erlebt hätten. Nur: keine dieser Frauen ging an die Öffentlichkeit. Nur: auch Laeris Behauptungen wurden durch einen Untersuchungsbericht widerlegt, sie seien nicht beweisbar und zudem widersprüchlich.

Auch bei Rammstein mehren sich die anonymen Denunziationen. Nur: es gibt bis dato keine Strafanzeige. Wenn es also unziemliche Übergriffe gegeben haben sollte, was ja nicht auszuschliessen ist: wieso hat dann niemand jemals Strafanzeige gestellt? Wenn es ein ganzes System mit Casting und ständigen sexuellen Ausschweifungen gegeben haben soll, bei dem auch Groupies gegen ihren Willen missbraucht wurden – wieso hat dann kein Opfer die Hilfe der Strafverfolgungsbehörden in Anspruch genommen?

Schlimmer noch für die Hetzmedien: inzwischen hat Rammstein offiziell verkündet, dass sämtliche Vorwürfe als unwahr zurückgewiesen werden. Anwälte seien damit beauftragt, gegen alle diese Anschuldigung rechtliche Schritte einzuleiten, dagegen vorzugehen. Hoffentlich bezieht sich das auch auf die Medien, die diese ruf- und geschäftsschädigenden Vorwürfe erhoben haben oder kolportieren.

Vorreiter «Spiegel» musste schon mehrfach unbelegte Vorwürfe zurücknehmen, im Fall Roshani mussten 9 von 14 eingeklagten Behauptungen gelöscht werden. Die Entscheidung ist noch nicht rechtsgültig.

Bei Rammstein gibt es noch keinerlei eingeklagte Vorwürfe. Nur anonyme Beschuldigungen. Und die Absurd-Logik der Medien, dass die übliche Multiplikation beweise, dass es eben keine Einzelfälle seien, sondern ein System dahinterstecke. Nach der Devise: wenn einer behauptet, die Erde sei eine Scheibe, dann ist’s mal eine Behauptung. Stimmen ihm Dutzende zu, dann ist’s eine systemische Weltsicht.

Auch dem Kolporteur Tamedia ist es bewusst, dass nun noch ein Zacken draufgelegt werden muss. Denn unbeeindruckt von all diesem Gewäffel hat Rammstein seine Tournee begonnen und füllt in München mit insgesamt 250'000 Zuschauern das mehrfach ausverkaufte Olympiastadion. Dort wurden – wenn Lächerlichkeit töten könnte – «Awarness-Zonen und Safe Spaces» eingerichtet, falls es einem Zuschauer unwohl werden sollte.

Nun sind auch zwei ausverkaufte Konzerte in Bern angekündigt. Da versteigt sich der Tamedia-Journalist Andreas Tobler doch zur Forderung: «Das kann nicht sein.» Die Auftritte müssten abgesagt werden. Gecancelt. Das sei aber keinesfalls eine «Cancel-Kultur», widerspricht er jeder Logik, und fährt fort: «Aber nun braucht es eine Pause, um die schwersten Vorwürfe noch vertieft abklären zu können.»

Dagegen stellt er: «Selbstverständlich gilt für Till Lindemann die Unschuldsvermutung, solange kein Verfahren eingeleitet und er nicht rechtskräftig verurteilt ist.» Es gilt die Unschuldsvermutung, aber Zehntausenden von erwachsenen Fans, die freiwillig die Bühnenshow von Rammstein anschauen wollen, soll das verboten werden. Der Veranstalter und die Band sollen ruiniert werden. Fordert der «Tages-Anzeiger».

Im eigenen Haus stehen bekanntlich beim «Magazin» ähnliche Anschuldigungen von Machtmissbrauch im Raum. Hat Tobler sich hier schon zu Wort gemeldet, hat er gar eine einstweilige Einstellung des «Magazin» gefordert, bis diese «schwersten Vorwürfe vertieft abgeklärt» wurden? Wie tief kann Journalismus noch sinken. Hier gilt nicht die Unschuldsvermutung, sondern die Schundvermutung.

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«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

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