Dieser Mann scheut die Arbeit nicht: Michael Strebel hat für sein neues Buch «Das Schweizerische Parlamentslexikon» 10’000 Dokumente ausgewertet und 580 Personen um Auskunft gebeten. Wie er das geschafft hat, erklärt er im Interview.
Sie haben mit Ihrem Parlamentslexikon 485 Schweizer Parlamente analysiert und über 600 Begriffe definiert. Wie kamen Sie auf die Idee, ein solches Buch in Angriff zu nehmen?
Bereits während des Studiums haben mich Parlamente besonders fasziniert. Es war dann eine tolle Chance, dass ich vor Studienabschluss als Mitarbeiter des St.Galler Kantonsrates eingestellt wurde (2008 bis 2014). Seit diesem Zeitpunkt begann die Idee zu wachsen, mich einmal gründlich mit all den Begriffen und Prozessen der Parlamente, jenseits von Motion, Postulat, Interpellation, zu beschäftigen. Je mehr ich mich beruflich und wissenschaftlich auf Parlamente spezialisierte, umso stärker wurde das Gefühl, das könnte eine spannende Sache sein. Dass es dann am Ende 600 Begriffe werden würden, war auch für mich eine Überraschung. Alle Parlamente auf Gemeindeebene anzuschauen und Beispiele aus allen Kantonen, kleinen und grossen Gemeinden bei den Begriffen einfliessen zu lassen, hat sich aus dem Wunsch ergeben, auch weniger beachtete Regionen oder Orte der Schweiz zu würdigen.
Sie haben 10'000 Dokumente ausgewertet und 580 Personen interviewt. Das tönt nach haufenweiser Arbeit. Wie viel Zeit ist von der Idee bis zum fertigen Buch verstrichen?
Im Dezember 2020 fing ich an zu Schreiben und die Veröffentlichung war Ende Dezember 2022. Das Buch entstand neben meiner beruflichen Tätigkeit, wo aber Parlamente im Zentrum sind. Ohne Unterstützung ging es dennoch nicht. Eine Historikerin recherchierte das Parlamentsrecht der Kantone und viele weitere zweckdienliche Unterlagen. Meine Lebenspartnerin erstellte so manche Grafiken und machte eine inhaltliche Überprüfung. Letztlich braucht es einen Verlag, der von der Idee überzeugt ist, und alles professionell umsetzte, und den hatte ich. Die 580 Personen wurden schriftlich zu spezifischen Parlamentsaspekten befragt, die aus den Unterlagen nicht zu beantworten waren; bei ganz vielen Gemeindeparlamenten war dies zum Beispiel das Gründungsjahr – aber nicht nur. Für mich stand im Zentrum, ein Buch zu verfassen, indem sich ganz viele Parlamente wiedererkennen und welches für den Parlamentsalltag nützlich ist. Daher waren diese Auskünfte besonders wertvoll.
Wie sind Sie bei Ihrer Arbeit vorgegangen, damit Sie sich nicht verzetteln – bei so vielen Interviews und Dokumenten?
Eine gewisse Strukturiertheit ist sicher von Vorteil, um es etwas diplomatisch zu sagen. Aber das Wichtigste ist wohl die Freude und Begeisterung am Thema. Es bereitete mir auch grossen Spass, mich mit einer Frage vertieft und detailliert auseinandersetzen zu können. Schliesslich war mein Ansporn, etwas zu erarbeiten, was es in dieser Form noch nicht gibt, und mit der ich meine Leidenschaft für den Parlamentarismus ausleben konnte.
Für viele ist das Parlament nicht sehr spannend. Haben Sie vielleicht für diese Personen das eine oder andere Highlight, dass man noch nicht so bewusst wahrgenommen hat?
Zunächst einmal die einfache Tatsache, dass Parlamente über alle wichtigen politischen Fragestellungen entscheiden, die uns unmittelbar in unserem Alltag betreffen. Und dabei geht es nicht nur um einfache Ja-/Nein Entscheide, sondern um detailreiche Inhalte, die letztlich sozusagen die Rahmenbedingen unseres Alltags formen. Dies allein sollte eigentlich ein Argument sein, der Institution Parlament Beachtung zu schenken. Vielleicht nimmt man nicht so bewusst wahr, dass auch mit einem Parlament die inhaltliche Mitwirkung der Bevölkerung bewahrt bleiben kann – zum Beispiel indem Bürger Vorstösse direkt im Parlament einreichen können und auch bei der Beratung das Wort haben. Dies ist zum Beispiel bei den Aargauer Einwohnerräten der Fall. Viele Parlamente kennen das Gleiche auch für Jugendliche, die so ermuntert werden, sich in der Gesellschaft einzubringen.
Hat sich Ihre persönliche Ansicht im Laufe der Umsetzung auch geändert?
Der Föderalismus als Labor trifft auch auf unsere Parlamente zu: lokale Begriffe, spezielle Instrumente, eine grosse Vielfalt politischer Prozesse. Dies hat meine persönliche Sicht geschärft, wie unterschiedlich die hiesige parlamentarische Landschaft doch ist.
Welches war für Sie die grösste Herausforderung bei der Umsetzung des Buchs?
Bei all den vielen Informationen die wichtigen und interessanten Bestandteile herauszuarbeiten und den «roten Faden» nicht aus dem Blick zu verlieren.
An wen ist es gerichtet?
An alle, die sich mit einer der wichtigsten politischen Institution beschäftigen und sich überraschen lassen möchten, was es alles gibt. Oder wussten Sie, dass es im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt einen Anzug als parlamentarischen Vorstoss gibt? Oder was das Götti-System ist? Und was hat es mit einem Mantelerlass auf sich? Oder wie unterschiedlich die Mindestanzahl für die Bildung von Fraktionen sind, angefangen bei eins bis hin zu zehn. Ich möchte mit dem Buch regionale Spezialitäten in anderen Regionen, auch Sprachregionen, bekannt machen, das gegenseitiges Verständnis fördern, Inputs und Ideen zur Weiterentwicklung des politischen Systems geben.
Was nehmen Sie persönlich mit?
Letztlich auch eine grosse Wertschätzung gegenüber allen Parlamentarierinnen und Parlamentarier in diesem Land. Sie setzen sich für die res publica ein, oft jenseits einer breiten öffentlichen Wahrnehmung ihrer Tätigkeit und teils auch mit persönlichen Abstrichen.
Michael Strebel ist promovierter Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Parlamentarismus und politische Systeme. Er hat Lehraufträge an Hochschulen und arbeitet für verschiedene Parlamente. Zudem bietet er Dienstleirungen für politische Institutionen an. Ende Dezember 2022 ist «Das schweizerische Parlamentslexikon» beim Verlag Helbling Lichtenhahn erschienen.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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