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Eine zutiefst deutsche Geschichte

Das Phänomen Lauterbach: Der als Politiker getarnte Hysteriker

Corona macht Karrieren. Zum Beispiel die von Karl Lauterbach. Der deutsche Politiker war vor dem Virus bekannt als einer, der gern mehr wäre, als er ist. Nun ist er in aller Munde als Fackelträger einer angeblichen Apokalypse, die nur einem dient: Seinem eigenen Aufstieg.

Stefan Millius am 19. Juli 2021

Das Problem vieler TV-Sender seit Monaten: Wir haben viele Talkshows, fast alle drehen sich um Corona, und es werden dringend Teilnehmer gebraucht, fast jeden Abend.

Die Lösung lautet in Deutschland seit einem Jahr so gut wie immer: Karl Lauterbach.

Das funktioniert. Und zwar nach dem System «Unfall auf der Autobahn». Das ist ja eigentlich nichts, bei dem man das Tempo des eigenen Fahrzeugs drosseln und fasziniert hinüber schauen sollte. Aber irgendein innerer Drang zwingt einen einfach dazu. Genau so läuft es bei Karl Lauterbach, Mitglied des deutschen Bundestags für die SPD und einst mal Mediziner. Auch wenn daran nicht mehr viel erinnert.

Lauterbach ist der Fleisch gewordene Unfall auf der Autobahn. Man fasst nicht, dass das alles wirklich gerade geschieht vor den eigenen Augen, man ist irgendwie auch froh, dass es einen selbst nicht getroffen hat – aber zuschauen muss man eben doch.

Der 58-jährige Berufspolitiker ist das Sinnbild der laufenden Hysterie. Es ist völlig egal, wie stark die Panik sonst bereits herbeigeschrieben wird – Lauterbach setzt immer noch einen drauf. Bei ihm ist alles immer einige Runden schlimmer, verhängnisvoller, dramatischer. So etwas wie Entspannung kennt er nicht, mehr noch: Sie versetzt ihn in Aufregung. Allein der Gedanke, es könnte nicht alles so drastisch sein wie in seinen schlimmsten Albträumen, macht ihn krank. Er muss seine innere Paranoia aufrecht erhalten, sonst bricht er zusammen. Und er muss sie vermitteln, sie anderen aufzwingen. Wie in einem Fieberrausch.

Das Coronavirus war für Lauterbach stets eine Mischung aus Ebola, spanischer Grippe und der Pest. Von Anfang an. Seither nützt er jede Entwicklung zur möglichen Steigerung, egal wie fundiert oder eben nicht sie ausgewiesen ist. Jede blosse Idee einer Mutation, die das Ganze steigern könnte, ist sein Lebenselixier. Er fasst es gar nicht, dass sich immer noch Menschen an der freien Luft bewegen, und wenn sie es ohne Maske tun, sind sie für ihn eine Art Serienmörder. Ein volles Fussballstadion ist für ihn das sichere Anzeichen für das Ende der Menschheit. Passiert danach nichts Nennenswertes, setzt er auf das Vergessen und hüpft einfach zum nächsten Schauplatz des sicheren Untergangs der Menschheit. Lauterbach wartet gar nicht erst darauf, bis er und seine apokalyptischen Weisssagungen widerlegt werden. Er ist dann bereits wieder einen Kilometer weiter.

Vor seinem inneren Auge werden Kinder im grossen Stil dahingerafft, weil sie nicht schnell genug geimpft werden. Dass es überhaupt noch alte Menschen gibt, kann er sowieso kaum fassen. Die Welt des Karl Lauterbach ist eine Mischung aus «The Walking Dead» und «Planet der Affen». Zerstörung, Verwüstung und der allgegenwärtige Tod sind das Markenzeichen unserer Zeit für ihn. Sich selbst sieht er als letzte Bastion des Kampfs ums Überleben. Dass es nicht alle so sehen, macht ihn regelrecht rasend.

Würde ein impfkritischer Mensch ein einziges Mal mit dem verbalen Instrumentarium von Lauterbach um sich schlagen, würde es umgehend heissen: Da spricht ein Verrückter. Doch der Arzt, der sich nach dem Studium stets von Institut zu Universität hangelte und vermutlich nicht viele reale Patienten in seinem Leben gesehen hat, geniesst bei einem grossen Teil der Deutschen einen seltsam anmutenden Artenschutz. Er kann in seinem stets an ein leichtes Lallen erinnernden und von Ähs und Öhs durchsetzten Monologen Gedankensprünge von der Breite des Suezkanals machen und zum Teil völlig wirr an der Frage vorbei argumentieren, er wird immer noch – in steigender Zahl – als «Experte» eingeladen. Denn nichts verkauft sich besser als die Verkündigung grössten Unheils. Und keiner verkündet dieses so entschieden wie Lauterbach. Zwar erhält er viel Widerspruch in den sozialen Medien, gleichzeitig huldigen ihm aber auch Massen von Menschen als eine Art Messias, der sie vor dem Jüngsten Gericht bewahrt.

Ob man ihn bei den TV-Sendern, bei denen er vermutlich inzwischen eine fixe Schlafstätte unterhält, wirklich noch immer ernst nimmt, ist sehr die Frage. Denn das Haltbarkeitsdatum seiner apokalytpischen Prophezeitungen ist überaus kurz. So gut wie nichts von dem, was er mit beschwörend-irrem Blick von sich gibt, tritt dann auch ein. Das müsste inzwischen jedem aufgefallen sein, seinem Marktwert tut es aber keinen Abbruch. Es ist, als würde ein Meteorologe ewigen Regenfall prognostizieren und dann bei prallem Sonnenschein auch nach Wochen noch nach der Meinung gefragt werden.

Dutzende von Wissenschaftern publizierten vor einiger Zeit einen offenen Brief an Karl Lauterbach, in dem sie ihn sehr deutlich aufforderten, seine Rollen endlich zu trennen. Was er sage, habe mit den aktuellen Forschungsresultaten nichts zu tun, liessen sie unmissverständlich durchblicken. Oder übersetzt: Lauterbach tourt in erster Linie durchs Land, um als Politiker Profit aus Corona zu schlagen, während ihm sein Professorentitel als Steigbügel dient. Der Mann verbreitet kein Wissen, sondern nackte Angst.

Lauterbach ist ein Phänomen, was ja keineswegs nur positiv verstanden werden muss. Allerdings eines, das nicht von sich selbst lebt. Ihm wird der Weg aktiv bereitet von Zeitungen und TV-Stationen, denen es egal ist, ob ihre Interviewpartner und Studiogäste Sinn machen – Hauptsache, sie lösen Emotionen aus. Das tut Karl Lauterbach ohne Frage. Und vermutlich glaubt er sogar selbst, was er sagt, selbst wenn eine gehörige Portion Selbstzweck dabei ist. Und das ist sie. Er sieht sich selbst als nächsten Gesundheitsminister, aber auch das vermutlich nur, weil er als Kanzler nun wirklich selbst dem grössten Fan ein bisschen zu viel wäre. Aus seiner eigenen Sicht wäre er vermutlich sogar die Idealbesetzung als Papst.

Aus Schweizer Sicht kann dieses Phänomen schon fast beruhigend wirken. Unsere eigene Task Force wirkt neben Lauterbach wie ein Hort der reinen Vernunft und Zurückhaltung. Nicht, dass es das besser macht. Aber manchmal muss man ja die Hoffnung auch aus kleinen Dingen schöpfen.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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