Wie geht es mit der Energiekrise weiter? Eine Volksinitiative «Jede einheimische und erneuerbare Kilowattstunde zählt!» soll den Handlungsdruck auf allen politischen Ebenen erzeugen, wie Mitglied Martin Bölli sagt.
Die Energiekrise zeigt auf, welche Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden. Sie wollen erreichen, dass in der Schweiz verfügbare erneuerbare Energiepotenziale rascher genutzt werden können. Weshalb?
Die aktuellen Rahmenbedingungen für die Nutzung erneuerbarer Energien sind geprägt von Partikularinteressen. Was wir jetzt benötigen, ist Sachpolitik, mit dem Ziel, möglichst schnell die Winterstromproduktion zu erhöhen und damit die Versorgungssicherheit zu verbessern. Die naheliegendste und klimafreundlichste Lösung sind erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Wir beherrschen diese Technologien und sie führen zu mehr Unabhängigkeit.
Die Schweiz hätte das Wissen und die Technologie, die Herausforderung erfolgreich zu meistern. Weshalb stehen wir dennoch an diesem Punkt der Energiemangellage?
Das Problem ist eine «Ja, aber»-Mentalität. Die einen wollen vor allem Energiesparen, andere sehen das wichtigste Potenzial in der Reduktion der Energieverluste – also der Energieeffizienz. Je besser wir in diesen beiden Punkten werden, desto weniger stark müssen wir die Stromproduktion ausbauen. Aber auch beim Ausbau der Stromproduktion gibt es viele Sonderwünsche: keinesfalls in Schutzgebieten, die Landschaft darf nicht beeinträchtigt werden oder die Solartechnologie kann alle Probleme lösen. Auch neue Atomkraftwerke sind wieder im Gespräch. Oft gibt es eine grundsätzlich breite Akzeptanz für erneuerbare Energien – solange es einen nicht selbst betrifft. Man spricht hier auch vom NIMBY Effekt – nicht in meinem Garten!
Was müsste getan werden, um das Problem richtig anzugehen?
Die Bewilligungsverfahren müssen einfacher und effizienter werden. Diese sind nicht nur Sache des Bundes, sondern teilweise auch der Kantone, Gemeinden oder gar Korporationen. Wir sind daher der Überzeugung, dass ein nationales Interesse zur Nutzung erneuerbarer Energien in der Verfassung verankert werden muss, um alle gleichermassen in die Pflicht zu nehmen. Ausserdem müssen wir bereit sein, mehr Geld in die Hand zu nehmen – und zwar so lange, bis wir betreffend Versorgungssicherheit wieder auf Kurs sind. Zur Erinnerung: Die Kleinwasserkraft hat im vergangenen Jahr alleine fast 220 Millionen Franken an die Energieförderung zurückbezahlt – weil die Strompreise massiv höher waren als die garantierte Rückvergütung (Quelle: Pronovo Cockpit 2022, Jan 2023). Wenn wir also jetzt bereit sind, Geld in erneuerbare Energien zu investieren, sind wir mittelfristig nicht mehr so anfällig auf Schwankungen der Energiepreise, und sparen unter dem Strich.
Ausserdem sind wir der Meinung, dass es einen ausgewogenen Mix aller erneuerbaren Energien braucht, also Wasser, Sonne, Wind, Biomasse/-gas und auch Geothermie - sowohl grosse und kleine Anlagen, und somit insbesondere auch dezentrale, also regionale und kommunale Lösungen.
Weshalb kam für Sie genau jetzt der richtige Zeitpunkt für die Volksinitiative?
Die Politik arbeitet aktuell an einer Lösung, und wir gehen davon aus, dass diese noch vor den Parlamentswahlen im Sommer vorliegt. Es ist auch davon auszugehen, dass dagegen das Referendum ergriffen wird. Damit würde das Schweizer Stimmvolk in gut einem Jahr über die Vorlage abstimmen. Das CO2-Gesetz hat gezeigt, dass solche Vorlagen scheitern können. Wir sind der Meinung, dass wir jetzt mit der Initiative starten müssen, also auch als eine Art «Plan B». Wir erhoffen uns damit, dass das Parlament mutige Entscheidungen im Sinne der Energiewende trifft – und damit die Schweiz punkto Versorgungssicherheit auf Kurs bringt. Sollte das nicht der Fall sein, droht unsere Initiative mit einem vorrangigen nationalen Interesse für erneuerbare Energien. Damit möchten wir Druck für wirkungsvolle Rahmenbedingungen aufsetzen - bereits ab heute. Und jede Unterschrift erzeugt ab sofort Wirkung, da sie hilft, diesen Druck zu verstärken.
Wo setzt die Initiative an?
Zuerst schafft die Initiative Augenhöhe zwischen den Interessen für Schutz und für Nutzung. Beide Interessen sind in der Verfassung verankert. Sollte die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet sein, und sollte nicht ausreichend Strom für die Erreichung der Schweizer Klimaziele zur Verfügung stehen, würde die Nutzung erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz als vorrangiges nationales Interesse erklärt. Damit erhoffen wir uns, die Bewilligungsverfahren und den Zubau deutlich beschleunigen zu können. Dieses vorrangige nationale Interesse wäre so lange gültig, bis die Schweiz bezüglich Versorgungssicherheit wieder auf Kurs ist.
Wie geht es nun weiter?
Ab dem 14. Februar beginnt die Unterschriftensammlung. Unterschriftenformulare können ab dann auf www.jede-kwh-zaehlt.ch heruntergeladen werden. Danach haben wir bis zum 14. August 2024 Zeit, um 100'000 Unterschriften zu sammeln.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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