Das interaktive Kunstwerk «Stadttelefon», das Anrufe in den öffentlichen Raum ermöglicht und zufällige Verbindungen mit Passanten provoziert, ist ab sofort wieder aktiv. Die Initianten Frank und Patrik Riklin rufen die Ostschweizer dazu auf, es fleissig zu benützen.
«Liebe Ostschweizer und Ostschweizerinnen, bringt Zofingen zum Klingeln und lasst euch mit dem Zufall verbinden!», so die beiden St.Galler Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin vom Atelier für Sonderaufgaben. Sie haben das System, bei dem Sender und Empfänger unbekannt sind, vor zwölf Jahren erfunden. Nun haben sie in Zofingen wieder ein Stadttelefon installiert. Ziel ist, dass es ständig klingelt – und dass auch Ostschweizer offen für den Anruf ins Unbekannte sind. Die Nummer lautet 0901 62 4800. Zudem empfehlen die Riklins der Stadt St.Gallen, ein «Stadttelefon» fix zu installieren.
Das klingelnde Kunstwerk «Stadttelefon», das schon seit 2007 in verschiedenen Städten immer wieder mal unübliche Verbindungen herstellen liess und nicht immer unumstritten war, ist nun in Zofingen im Rahmen der Ausstellung neoscope 19 des Kunsthauses Zofingen installiert: Das «Stadttelefon» ist ein öffentlich-zugänglicher Telefonapparat wie aus Grossmutters Zeiten, der im öffentlichen Raum klingelt, sobald man die Nummer 0901 62 4800 wählt. Das Besondere: Man kann nur abnehmen, raustelefonieren geht nicht. Anrufer und Abnehmer sind unbekannt, der Zufall bestimmt die Verbindung. Ein Anruf kostet 70 Rappen pro Minute. Der Ertrag, der durch die Verbindungskosten generiert wird, sind die Honorarkosten der Künstler.
Aufruf zur Spontanität
Was als vermeintlicher Jux daherkommt, hat einen ernsthaften Hintergrund, so die Riklins unisono. Gerade in einer Welt der Automatisierung braucht es Alternativen, wie man aus diesem Digitalisierungswahn ausbrechen kann. «Die Gesellschaft lechzt nach Spontanität, nach Zufälligem, nach 'Unordnung'. Die allgemeine Entmenschlichung ist auf direktem Weg zur Zombisierung», so die Riklins. «Der menschliche Instinkt wird vernachlässigt. Wer heute ohne Grund jemanden anspricht, wird schräg angeschaut. Das klingelnde Telefonobjekt im öffentlichen Raum ist ein Appell an die Gesellschaft, spontan und neugierig zu sein, mit der Norm des scheinbar Abnormalem zu kokettieren, zu brechen, unüblich zu handeln. Nicht zuletzt auch eine Art Verantwortung für das Unbekannte zu übernehmen. Und das beginnt mit Kommunikation.»
Plaudern gegen das Prekariat der Kunstfinanzierung
Die Grundlage für die Installation eines «Stadttelefon» bildet die Zuteilung und Aufschaltung einer sogenannten «Business Number» (0901-Nummer) beim Bundesamt für Kommunikation und bei der Swisscom. Als Inhaber einer solchen Nummer kann man die Höhe des Tarifs bei einem Anruf selber festlegen (z.B. 0.70/Minute) und damit einer zustande gekommenen Verbindung einen Wert geben. Das Honorar der Künstler ist zu 100 Prozent abhängig vom Ertrag, der durch die Verbindungskosten generiert wird. So wird ein Anruf oder das Abnehmen des Stadttelefons auch zum Statement, was den Diskurs über die prekäre Lage und Realität der Kunstfinanzierung und der allgemeinen Kunst- und Kulturpraxis betrifft.
Das Stadttelefon
Das «Stadttelefon», auch «Quartiertelefon» genannt, wurde 2007 von Frank und Patrik Riklin zum ersten Mal in der Stadt Chur und Friedrichshafen (D) und 2008 in St.Gallen in einem Quartier installiert. In Zürich besteht seit 2015 fix ein solcher Telefonapparat im öffentlichen Raum im neuen Stadtquartier Hunziker-Areal (044 500 26 83). In Friedrichshafen rückte die Polizei aus, da sich in der Bevölkerung niemand verantwortlich zeigte, den Anruf im öffentlichen Raum anzunehmen und dadurch das Telefon ständig klingelte. 2017 wollte die deutsche Telekom Komplizin der Riklin-Brüder werden und die Idee deutschlandweit als Pendant zum Schwund der Telefonkabinen lancieren. Das Projekt kam nicht zu Stande.
Mit der Stadt St.Gallen als fixer Standort für ein «Stadttelefon» liebäugeln die Riklins schon lange. Gerade in einer Zeit, in der interstädtische Projekte oft an der Kommunikation scheitern, weil man nicht oder zu wenig miteinander redet. Riklins sind überzeugt, dass ein kultiviertes und zufälliges «Kommunizieren ohne Grund» viele Probleme in der Stadt anders lösen würde. Nicht zuletzt ist das «Stadttelefon» auch eine Inspirationsquelle, bei der Ideen durch spontanes Reden mit XY entstehen. Voraussetzung ist Offenheit, Spontanität und Neugier.
Die Riklin-Brüder träumen von einer weltweiten Vernetzung, worin vorsätzliche «Falschverbindungen» mit wildfremden Menschen kultiviert und spontan-zufällige «Verbindungen ohne Grund» hergestellt werden: Von Zofingen nach New York, von Sydney nach Rom. Das Kunstwerk der Riklins steht als Gegenbewegung zur Digitalhysterie und prophezeit die Sehnsucht nach einer Gestaltungsgesellschaft – die nächste Revolution in der Gesellschaft, wenn es nach den Riklins geht.
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