Einseitig widmet sich das Tagblatt dem Ramadan. Christliche Hochfeste erleben in den Medien, sofern sie überhaupt noch wahrgenommen werden, weit kritischere Aufmerksamkeit.
Der Fastenmonat Ramadan der Muslime erlebt zurzeit einen eigentlichen Hype. In Coop-Filialen gibt es ein Deko-Sortiment mit Ramadan-Sujets, in deutschen Grossstädten werden Ramadan-Beleuchtungen montiert. Schweizer Politiker gehen noch nicht so weit wie ihre deutschen Kolleginnen und wünschen «Ramadan mubarak» in die Runde, aber das kommt vielleicht noch. Auch das St.Galler Tagblatt springt ganzseitig auf den Ramadan-Hype auf – ohne die problematischen Seiten auch nur mit einem Satz zu erwähnen.
Schön, dass unsere Medien ein Thema wie den Fastenmonat Ramadan thematisieren, denkt man beim Anblick einer ganzen Tagblatt-Seite zum Thema. Es gibt ja nicht nur islamistische Attentate und Messerstecher, sondern auch ein Alltagsleben der 430'000 Muslime, die unter uns leben. Nur leider zeichnet der ganzseitige Beitrag keine informativ-kritische Sicht, sondern allein die Schoggi- oder besser: Baklava-Seite des Fastenmonats. Ganz im Gegensatz zu den fast ausnahmslos kritischen Medienbeiträgen zu christlichen Themen (leere Kirchen, Missbräuche, Kommerz).
Nur die Zuckerseite gezeigt
«Der Ramadan gilt auch für zahlreiche Angehörige des islamischen Glaubens, die in der Ostschweiz leben», lesen wir da. «Gilt auch»: für alle? Gibt es Gruppendruck? Was ist der Grund für die Zunahme der Bedeutung des Fastenmonats? Wird die muslimische Gemeinschaft, wie es anderswo zu beobachten ist, strenggläubiger als früher? Und was bedeutet die – auch im Tagblatt - freudig begrüsste zunehmende Akzeptanz des Ramadan in der schweizerischen Gesellschaft? Führt sie zu mehr Integration – oder eher zu einer Haltung, sich in seiner Fremdheit bestärkt zu fühlen? Auch bei problematischeren Themen wie der Rolle der Frau, der Separierung der Geschlechter (in Schule, Strandbad und Spital) usw.?
Probleme? Schattenseiten? Denkste!
Anstatt nur einen verklärenden Blick auf die Zuckerseiten des Ramadan auf jene zu werfen, die ihn einhalten (wieviele sind das, und aus welchen Gründen?), müsste eine journalistischere Betrachtung doch auch fragen: Welche Probleme stellen sich in den Schulen und anderen Ausbildungsstätten, wenn Kinder und Jugendliche in der Nacht essen und trinken und wenig schlafen, tagsüber aber vor lauter Müdigkeit fast vom Stuhl fallen, wie von Lehrkräften mit einschlägigen Erfahrungen zu hören wäre? Wie steht es mit Dispensen für Turnen, Hauswirtschaft und körperlich anstrengende Aktivitäten? Was sagen Lehrmeister in den Betrieben dazu? Und wie steht es mit der Leistungsfähigkeit, mit den gesundheitlichen Auswirkungen, gerade bei Kindern und Jugendlichen? Von solcher Problematisierung, wie sie von einem guten Journalismus verlangt werden muss, ist das ganzseitige Stück journalistischer Harmlosigkeit und Naivität weit entfernt. Wenn einem der Befragten beim Anblick von mit Ramadan-Sujets geschmückten Pappbechern «ein Lächeln übers Gesicht huscht», dann übertrifft der Kitschgehalt den journalistischen jedenfalls um Längen.
Was für ein Unterschied zur selbstverordneten kritischen Haltung, wenn es um Fragen der eigenen, christlichen Religiosität und Konfessionalität geht. Das beginnt schon damit, dass anscheinend jeder Schweizer, der sich nicht zu einer Staatskirche bekennt, inzwischen als «religionslos» bezeichnet wird, wie die Grafik auf der Ramadan-Jubelseite zeigt. Als ob sich jede Person, die sich von einem der staatskirchlichen Bekenntnisse verabschiedet, gleichzeitig vom Christentum selbst verabschiedet hätte! Christentum besteht aber aus mehr als aus dem Bezahlen einer vom Staat eingetriebenen Kirchensteuer.
Eine Tagblatt-Seite über Pfingsten?
Christliche Hochfeste erleben in den Medien, sofern sie überhaupt noch wahrgenommen werden, weit kritischere Aufmerksamkeit. Nicht etwa, indem über Schulhäuser berichtet wird, in denen aus Rücksicht auf Andersgläubige keine Weihnachtsfeier mehr abgehalten wird! Das natürlich nicht. Aber über die religiöse Bedeutung von Ostern oder gar Pfingsten wird man heutzutage in den Medien nichts erfahren. Auch wenn Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Menschen in der Schweiz, auch von solchen, die noch Kirchensteuer bezahlen, nicht mehr zu sagen weiss, was es mit dem Pfingstfest auf sich hat. Wie wäre es, wenn im Tagblatt einmal eine Zeitungsseite über Pfingsten erscheinen würde?
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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