Rückgrat, 1996: Stadtplan mit Ortekataster und Strassenverzeichnis. (Bild: H.R. Fricker)
Ein Teil von Hans Ruedi Frickers Kunstwerk «Ortekataster-Das Rückgrat» von 1996 wird in St. Gallen vermisst. Das zeigen zwei Auszüge aus dem St. Galler Stadtmelder. Was den Künstler an diesen Auszügen ehrt und wieso diese Orte für einige so wichtig sind.
Das Rückgrat- Ortekataster: 98 Messingbolzen sind im Trottoirbelag versenkt. Sie markieren vierzehn je 400 x 400m grosse Felder zwischen Bruggen und Neudorf. Auf der Achse Zürcherstrasse - Bahnhof - Bohl und Zürcherstrasse sind pro Feld ein 10 x 10 cm grosse Messpunkt und an den Rändern der Felder je 6 Grenzpunkte mit 5 cm Durchmesser im Belag versenkt.
AUSZÜGE ST.GALLER STADTMELDER
«Bei der Brücke zw. Militärkantine und GHG Rosenberg war auf Seite der GHG bis vor wenigen Tagen ein Teil des Kunstwerks «Rückgrat» von HR Fricker im Trottoir versenkt. Ich glaube, es war der Pflasterstein mit «Ort der Skepsis» drauf. Mit der Neuteerung des Trottoirs ist der verschwunden. Wird der nachträglich wieder eingesetzt?»
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«Nach Abschluss der Bauarbeiten vor der GHG Rosenberg fehlt ein Teil des Kunstwerks «Rückgrat» von Hansruedi Fricker. Ich glaube, es war der «Ort der Skepsis». Wird der Pflasterstein wieder eingesetzt?»
Hans Ruedi Fricker, wieso haben Sie sich genau für diese Art der Kunst entschieden?
In den Achtziger Jahren vernetzte ich mich mittels Mail Art (Kunst per Post) weltweit mit vielen gleichgesinnten Künstlerinnen und Künstlern. Obwohl ich mit Mailartisten aus über 20 Ländern kommunizierte bekam ich mehr und mehr das Gefühl in einem grenzenlosen Raum zu leben. Um mich in diesem «Raum ohne Grenzen» orientieren zu könnten, erfand ich bestimmte Ortsnamen wie: «ORT DER LIST, ORT DER TRAUER, ORT DER GEWALT» und liess Email-Schilder oder Bolzen produzieren um diese Orte, als Anregung, anschreiben zu können.
Welchen Hintergrund haben Ihre Kunstwerke?
Städtischer Raum ist vielschichtig. Es ist ein Wirtschaftsraum, ein Verkehrsraum, er dient als Wohnraum, es ist ein politischer Raum, ein gewachsener Kulturraum etc.. Die 14 Ortefelder, je 400 x 400m gross, 5,6 km lang zwischen Bruggen und Neudorf, sind eine gedachte, virtuelle und fiktive Struktur, welche sozusagen über den städtischen Raum gestülpt ist. Die in die Gehsteige eingelassenen runden oder quadratischen Metallbolzen sind mit ihrer Beschriftung eine Anregung zum Nachdenken. Der Bohl bleibt der Bohl, das Neudorf bleibt das Neudorf aber die Orte-Begriffe wie Lust, List, Scham, Trauer bilden Anreize zum Vergleich vor Ort.
Wieso haben Sie sich genau diese Orte für Ihre Kunstwerke ausgesucht?
Ich wählte die Begriffe und unsere Töchter losten 1996 aus, welches Feld mit welchem Begriff belegt wird.
Was bedeuten die Meterangaben, die auf den Platten zu sehen sind?
Ein Feld ist 400 x 400 Meter gross. Die Meterangaben auf dem quadratischen Messpunkt-Bolzen zeigen die Distanz zum gedachten und gekennzeichneten Rand des 400 x 400m Feldes.
Rückgrat, 1996: Stadtplan mit Ortekataster und Strassenverzeichnis. (Bild: H.R. Fricker)
Macht es sie stolz, wenn immer mal wieder nach Ihren Kunstwerken gefragt wird? Wie zum Beispiel letztens im Stadtmelder?
Mich freut's, dass diese künstlerische Arbeit von 1996 immer noch Aufmersamkeit erhält.
Hat man Sie eigentlich darüber informiert, dass dieser Teil des Kunstwerks zeitweise verschwindet?
Ich weiss seit langem, dass Bolzen nach Bauarbeiten nicht mehr eingesetzt werden. Zur Zeit bin ich mit dem Kulturamt St.Gallen im Gespräch.
Einerseits wegen des Ersatzes von Bolzen andererseits denken wir über eine App nach, welche mittels Handy durch den «Ortekataster - das Rückgrat» führen könnte.
Bekommen Sie persönlich viele Rückmeldungen für Ihr Kunstprojekt?
Manchmal begehen Lehrer mit ihren Schülern das Rückgrat. Oder Schüler machen eine Arbeit zum Ortekataster und ich werde dazu befragt. Ich erfahre auch, dass Passanten sich Interessantes zu den Begriffen ausdenken, obwohl sie die ganze Struktur gar nicht kennen. Eine Frau erzählte, dass sie enttäuscht sei, weil der Messpunkt am ORT DER TRAUER verschwunden ist, sie hätte oft dort angehalten und an ihren verstorbenen Sohn gedacht.
Manuela Müller (*1994) aus Marbach war bis Ende März 2022 als Redaktorin für «Die Ostschweiz» tätig.
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