Bei ihrer Arbeit bestünden Geschlechterverhältnisse wie zu Shakespeares Zeiten. Ein Umstand, über den sich Sarah Rohrer durchaus aufregt. Wie sie die Kunst entdeckt hat und wo sie ihre Chancen sieht: Die St.Galler Schauspielerin im Interview.
Sarah Rohrer, Mitte 2019 haben Sie die Musical- und Schauspielausbildung abgeschlossen. Wie gingen Sie – mit dem Zertifikat im Sack – vor, um an erste Engagements auf der Bühne oder vor der Kamera zu gelangen?
Ich habe mich an diversen Theatern beworben, stellte Lebenslauf, Gesangsdemos, Fotos und Showreels zusammen. Zudem hielt ich überall Ausschau nach Castings und Agenturen. Aufwand und Ertrag sind ernüchternd. Dennoch haben sich einzelne Engagements ergeben. Zudem habe ich zusammen mit einer Schauspielkollegin ein eigenes Kabarett-Programm «Kunst und andere Krisen» geschrieben und aufgeführt.
War es seit jeher Ihr Wunsch, künstlerisch tätig zu werden?
Ich malte, sang, tanzte und spielte Szenen aus dem Alltag nach, seit ich denken kann. Es gehörte für mich immer dazu. Auch mussten Verwandte und Bekannte, die zu Besuch waren, unbedingt an meine Zirkusvorstellungen kommen. Wenn ich Tickets verteilte, gab es kein entkommen (lacht).
Dass das als «Kunst» bezeichnet wird lernte ich, als es um die Berufswahl ging. Ich machte zunächst die Matura und entschied mich anschliessend eine professionelle Schauspiel- und Musicalausbildung zu machen.
Viele Schauspielerinnen und Schauspieler sprechen von einem Risiko, von finanziellen Engpässen, von Zeiten ohne Auftritte – und das schon vor Corona. Wie war das ab 2019 bei Ihnen? Der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser?
Ich habe natürlich schon damit gerechnet. Dass es jedoch so prekär ist, hätte ich nicht erwartet. Arbeit zu bekommen ist schwierig geschweige denn anständig bezahlt zu werden. Zudem sind die Geschlechterverhältnisse noch fast wie zu Shakespeares Zeiten. Ich rege mich immer noch extrem auf, wenn etwa im Verhältnis 8:2 (Männer zu Frauen) besetzt wird. In der Ausbildung ist das Verhältnis nämlich umgekehrt. Zudem gibt es immer noch nicht sehr viele gehaltvolle Frauenrollen. Es wird besser aber behäbig. Ein 50/50 Verhältnis wäre schön.
Die aktuelle Phase dürfte nun eine noch grössere Herausforderung darstellen. Wie sieht Ihre berufliche Situation aus?
Ich Unterrichte mit grosser Freude Gesang. Ich liebe es zu sehen, wie meine Schülerinnen und Schüler Fortschritte machen und aufblühen beim Singen. Wie ihre Stimme an Kraft, Ausdruck, Volumen und Umfang gewinnt. Zudem biete ich auch Schauspielcoaching, Auditiontraining, Rhetorik und das Erlernen von Auftrittskompetenz an. Natürlich fehlt es, sich für Premièren herauszuputzen und ohne Auflagen ins Theater gehen zu können. Oder noch lieber selbst auf der Bühne/ am Filmset zu stehen. Ich hoffe sehr, dass das bald wieder möglich sein wird.
Gibt es Momente, in denen Sie sich wünschen, Sie hätten dereinst einen anderen Weg eingeschlagen?
Das eine zu tun heisst für mich, das andere nicht zu lassen. Ich bin von Natur aus neugierig und bilde mich immer gerne weiter. Zudem ist ein zweites finanzielles Standbein immer beruhigend. Da es unabhängig macht.
Sprechen wir lieber wieder über das eigentliche Metier. Sie sind ja sowohl Schauspielerin als auch Sängerin. Für welchen Bereich schlägt Ihr Herz etwas fester?
Das gehört für mich zusammen. Europa hinkt diesbezüglich ein wenig hinterher, wie es mir scheint. In Amerika ist es selbstverständlich, dass «actors» auch singen können. Dieses Einteilen in «Schauspiel» und «Gesang» kommt mir unglaublich altmodisch und engstirnig vor.
An welchen Grössen des Showbusiness orientieren Sie sich?
Tina Turner zum Beispiel. Mit dieser unglaublichen Energie und Bühnenpräsenz. Die grossartigen Bühnenshows! Da kommt alles zusammen. Schauspiel, Tanz und natürlich Gesang. Sängerisch finde ich auch Whitney Houston, Ella Fitzgerald, Shirley Bassey, Frank Sinatra, Mariah Carry, Christina Aguilera und Maria Callas grossartig, um nur einige zu nennen. Ihre Stimmen werden für immer leben.
Was braucht es denn grundsätzlich, um «durchzustarten»? Glück, das gewisse Etwas, eine grosse Portion Selbstsicherheit? Oder ist es gar Selbstverliebtheit?
Alles zusammen… Und natürlich ein gutes Netzwerk. Man sollte flexibel und selbstständig sein.
Zudem ist es gesund, sich in Selbstliebe zu üben. Dieses Business kann auch sehr toxisch sein. Eine gute Gedankenhygiene ist wichtig.
Wie fühlen Sie sich auf einer Bühne, im Wissen, das alle Blicke auf einen gerichtet sind?
Grossartig! Das Gefühl, den Zuschauern etwas zu geben. Emotionen. Eine inspirierende Show zu machen, das Publikum zu unterhalten. Mein Ziel ist erreicht, wenn die Leute das Theater, das Konzert oder den Film glücklich verlassen. Überhaupt wäre ich dafür, die Inhalte der Kunst positiv zu kommunizieren. Es muss nicht immer hässlich oder deprimierend sein, um gehaltvoll, kritisch oder gedankenanregend zu sein.
Der Schweizer «Markt» ist für eine Schauspielerin ja durchaus überschaubar. Schielt man da unweigerlich auch immer ins Ausland?
Natürlich. Speziell auch der deutschsprachige Raum ist natürlich inbegriffen. Prinzipiell überall, wo ich kommunizieren kann. Der englischsprachige Raum interessiert mich auch. Zudem ist es ganz normal auf englisch zu drehen oder zu singen.
Kommen wir nochmals auf die aktuelle Lage zu sprechen. Was erhoffen Sie sich von den nächsten Monaten? Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Ich hoffe sehr, dass sich die Lage so schnell wie möglich normalisiert. Die Branche leidet extrem. Und auch die Gesellschaft. Es ist eine grosse Gereiztheit spürbar.
Ich unterrichte weiterhin mit grosser Freude und versuche eigene Projekte zu realisieren.
Und längerfristig? Wo soll man dereinst überall auf Ihren Namen stossen?
Überall! (lacht) So erfolgreich, dass es gesund bleibt. Wo das Mass ist, weiss ich noch nicht. Das wäre schön.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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