Flexible Randzeiten für die Schülerinnen und Schüler an der Oberstufe in Gossau: Die Änderungen des Stundenplans hat schweizweit für Schlagzeilen gesorgt. Weshalb dieser Schritt dennoch nötig war, erklärt Schulleiter Thomas Eberle.
Die Ankündigung, dass der Stundenplan der Oberstufe angepasst wird, hat viele überrascht – und sogar schweizweit für Schlagzeilen gesorgt. Hast du mit so vielen Rückmeldungen gerechnet?
Ganz ehrlich, nein. Klar waren wir uns bewusst, dass wir mit unserem neuen Modell festgefahrene «Bilder von Schule» aufbrechen und mutig neue Akzente setzen. Dass wir dann aber schweizweit so viel Aufmerksamkeit bekommen, das hat uns schon überrascht.
Der Entscheid kommt nicht von heute auf morgen, ihr habt euch vor zwei Jahren dem Thema angenommen. Dennoch dürfte die Änderung bei Schülern und auch den Eltern zu reden geben. Wie fielen die Reaktionen aus?
Es gab sehr viel Zuspruch. Gerade die Jugendlichen erkennen, dass wir im neuen Modell «die Schüler*innen ins Zentrum stellen» und sie nun mehr Wahlmöglichkeiten und Einfluss auf ihren eigenen Tagesablauf bekommen. Auch die Eltern attestieren uns, dass wir hier einen sehr mutigen und zeitgemässen Schritt gehen. Natürlich gibt es noch Fragen. Zum Beispiel, inwieweit die Jugendlichen diese «Angebot» auch wirklich nutzen und für sich diese «Verantwortung» übernehmen können. Hier sind die Eltern froh, dass wir als Schule diese Verbundenheit, die Begleitung und Unterstützung der Jugendlichen noch intensivieren.
Dass viele Jugendliche am Morgen nicht leicht aus dem Bett kommen, ist nicht neu. Weshalb war jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um die Änderung in Angriff zu nehmen?
Unsere Lehrpersonen spüren in der Praxis mehr und mehr, dass in den Frühlektionen wenig Lernaktivität vorhanden ist und sich viele Jugendliche schwertun, in die Gänge zu kommen. Gleichzeitig fordert uns auch der neue Lehrplan mit seinen kompetenzorientierten Ansätzen in einer guten Weise heraus. Diese beiden Zugänge sorgten dafür, dass wir unsere Strukturen hinterfragten und wir heute mit diesem neuen, flexiblen Schulmodell dastehen.
Gab es für euch ein Beispiel- oder Vorreitermodell? Oder woher habt ihr euch «Inspiration» geholt?
Jede Schülerin und jeder Schüler lernt anders, lernt in unterschiedlichen Tempis und braucht dafür unterschiedlich viel an Begleitung. Darauf wollten wir Antworten finden. Heute haben wir ein Modell, dass von Praxiserfahrungen, von anderen Schulmodellen und auch von Hochschulen bzw. wissenschaftlichen Impulsen inspiriert ist.
Wer Neues wagt, hat auch mit Widerstand zu kämpfen. Wie gross oder eben klein waren die Hürden, die ihr mit den Behörden meistern musstet, um vom Modell zu überzeugen?
Die beste Struktur und das beste Modell ist nur so gut, wie die Personen, die darin wirken. Das gilt im Besonderen auch für Schulen. Wir haben deshalb von Beginn weg der Beteiligung und der Einbindung der Lehrpersonen maximale Aufmerksamkeit geschenkt. Heute dürfen wir mit Stolz sagen: Nach durchaus intensiven Phasen des Aushandelns stehen unsere Lehrpersonen voll und ganz hinter dem neuen Schulmodell.
In dem Alter, in welchem sich die Jugendlichen befinden, ist das Verantwortungsgefühl nicht bei allen gleich ausgeprägt. Könnte man da auch zu viel von einem Schüler verlangen, ihn also mit der «Freiheit» sozusagen überfordern?
Wir denken anders, denken positiv. Wir glauben daran, dass Jugendliche verantwortungsvoll mit «Wahl und Freiheit» umgehen können. Zudem steigern wir die Wahlmöglichkeiten im Verlauf der drei Oberstufenjahre schrittweise und begleiten die Jugendlichen auf diesem Weg.
Die Mehrzahl der Schulabgänger absolvieren nach der Oberstufe eine Lehre. Der Übergang ist für die meisten recht anspruchsvoll, und länger im Bett bleiben können sie da natürlich auch nicht mehr. Was denkt ihr, wird die Anpassungsphase dadurch noch härter?
Ziel der Oberstufe ist es, die Jugendlichen nach drei Jahren Oberstufenzeit «anschlussfähig» zu machen. Das klingt sehr mechanisch und abstrakt, ich weiss. Gemeint ist aber, dass Jugendliche zum Ende der Oberstufe mit gestärktem Selbstvertrauen, Verantwortungsbewusstsein und Freude und Neugier auf das, was im (Berufs-)Leben nun auf sie kommt, da stehen. Daran wollen wir uns und unser Schulmodell messen lassen.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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