logo

Gastbeitrag

Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?

Ein theologisch-ethischer Kommentar zur zunehmenden Forderung autoritärer Mittel der Corona-Bekämpfung. Ein Gastbeitrag von Benjamin Kilchör, ordentlicher Professor für Altes Testament.

Benjamin Kilchör am 17. November 2020

Am 16. November twittert die FAZ, es brauche eine Debatte darüber, ob die Demokratie noch geeignet sei, um globale Herausforderungen zu bewältigen:

Kilchör1

In diversen Medien wurde China mit fast unverhohlener Bewunderung als Vorbild genannt, wie man die Pandemie erfolgreich bekämpfen könnte. Nur hindern uns ärgerlicherweise die üblichen demokratischen Prozesse und Befindlichkeiten an einem solchen autoritären Antivirus-Programm. Ob es wirklich sein kann, dass in einem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern durch harte Massnahmen das Virus vollständig ausgelöscht wurde und auch durch Geschäftsreisende nicht wieder importiert wird, wird erstaunlicherweise nie gefragt. Wie China sollte man handeln können, nur braucht man dazu noch die gesetzliche Grundlage.

Wie solch autoritäres Vorgehen aussehen könnte, hat nun in erschreckender Klarheit der Gesundheitsökonom Willy Oggier gegenüber dem Tagesanzeiger geäussert. «Corona-Skeptiker verwirken ihr Recht auf einen Intensivplatz bei Engpässen», lässt er sich zitieren.

Kilchör 2

Massnahmenverweigerer sollten ihm zufolge dafür in einem Namensregister erfasst werden. Solch ein Vorgehen könne Signalwirkung haben, es brauche einen Malus, damit das System funktioniere.

Wie sollen wir uns das vorstellen? Sollen Bürgerpolizisten anfangen, Menschen zu melden, die sich an Bahnhöfen und in Supermärkten die Maske nicht über die Nase ziehen, damit man sie dann im Falle einer Lungenentzündung sterben lassen kann, um ein Exempel zu statuieren? Und wie weit will man diese gesundheitsökonomische Logik treiben? Sollen auch an Rauchern, an Übergewichtigen, an Extremsportlern, usw. entsprechende Exempel statuiert werden?

Je länger dieses von Anfang an kommunikativ missratene Krisenmanagement dauert, je mehr auch medial die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben wird, desto deutlichen offenbaren Vertreter und Unterstützer des Regierungskurses, wie weit sie zumindest in ihrer Fantasie zu gehen bereit sind. In den klassischen Medien wird ihnen dazu die Plattform bereitwillig gegeben, das Framing von Willy Oggier als nicht einfach ein Ökonom, sondern als «renommierter» Ökonom (SRF), gibt ihm die mediale Rückendeckung.

Als Theologe bin ich besonders darüber enttäuscht, dass nicht wenigstens von den Kirchen endlich mal ein klares Wort zu hören ist, dass es neben (gesundheits-)ökonomischen Gesichtspunkten der Krisenbekämpfung auch noch ethische Gesichtspunkte gibt und dass man die Menschenwürde nicht einfach der Virusbekämpfung opfern darf. Wenn der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden soll und öffentlich Hetze gemacht wird gegen Menschen, welche die Verharmlosung der Kollateralschäden durch die Virusbekämpfung kritisieren und die Verhältnismässigkeit infrage stellen, so bedeutet Schweigen Zustimmung.

Wo bleiben in der Öffentlichkeit von Seiten der Kirchen, der Intellektuellen, der Bildung, des Gesundheitswesens und nicht zuletzt auch von Seiten der Politik die Stimmen, die sich dagegen wehren, zurückzufallen in ein autoritäres Denken, das die Würde des Menschen nicht mehr schützt, das den Menschen total durchleuchten will, das den Menschen durch soziale Kontrolle in seinem Verhalten terminieren will, das letztlich die Eindämmung eines Virus über jeden anderen Wert stellt?

Solidarität. Ein Schlagwort, das moralisierend zwischen den Guten und den Bösen unterscheidet. Im Namen der Solidarität wird Denunziantentum gefördert, im Namen der Solidarität sollen abweichende Elemente erfasst und entfernt werden. Wer Solidarität anders versteht und lebt als es der Kommunikationsstrategie der Behörden entspricht, ist böse. Und gegen die Bösen ist dann jedes Mittel recht. Was man lange nur für besonders boshafte Meinungen in den Online-Kommentarspalten der einschlägigen Medien gehalten hat, wird nun durch Gesundheitsexperten und Ökonomen, die dafür eine breite Plattform bekommen, salonfähig. Man darf die «Unsolidarischen» sterben lassen, ihnen gilt der Grundsatz, dass jedem Menschen eine korrekte medizinische Behandlung zusteht, nicht mehr. Moralismus ist der perfideste Feind der Ethik.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Benjamin Kilchör

Dr. Benjamin Kilchör (*1984) ist evangelischer Theologe und Professor für Altes Testament an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.