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Die Impfquote ist plötzlich völlig egal

Der Bann ist gebrochen: Freie Bahn für totale Widersprüche

«Jede Impfung zählt», sagt Bundesrat Alain Berset. Impfquote? Nebensächlich. Nein, das reicht nicht, wir brauchen alle anderen Massnahmen, sagt das Bundesamt für Gesundheit. Der gesunde Menschenverstand jault wie ein getretener Hund.

Stefan Millius am 09. November 2021
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Die gross angekündigte, 100 Millionen Franken schwere Impfwoche des Bundes ist ein veritabler Rohrkrepierer. Zum ersten Konzert der Schweizer Musikszene erschien ein Fünftel der angemeldeten Besucher gar nicht erst, die Impfung verpassten sich gerade mal 25 von 400. Das Impfdorf im Hauptbahnhof Zürich avancierte zum Seniorentreff für die Booster-Impfung. Notfallmässig wird dieses Angebot nun eingestellt, weil es nicht die Idee war. Die Erstimpfungen, das eigentliche Ziel? Kaum messbar. So viele Steuergelder für nichts wurden selten in so kurzer Zeit verbrannt. Man würde sich wünschen, Bundesräte müssten mit ihrem Privatvermögen für derlei verordneten Unsinn haften. Dann wären sie vielleicht zurückhaltender.

Und nun das: Um die Fallzahlen (die nichts mit Erkrankungen oder der Belegung der Intensivstationen zu tun haben) zu senken, reiche eine höhere Impfquote nicht, liess sich heute Virginie Masserey vom Bundesamt für Gesundheit vernehmen. 3G brauche es weiterhin unbedingt, 2G (noch) nicht. Diese Massnahme, 2G, spart man sich vermutlich für nach dem 28. November auf. Sobald das Stimmvolk unter dem Eindruck der allgemeinen Panikmache Ja gesagt hat zur Neuauflage des Covid-19-Gesetzes, kann man aus vollen Rohren schiessen. Und selbst das durchsetzen. Weil dank einem Dutzend «Kann»-Formulierungen der Bundesrat bei einem Ja freie Bahn für fast alles hat.

Natürlich wussten wir das alle schon immer, weil man inzwischen die Aussagen des Bundesrats nur um 180 Grad drehen muss, um die Wahrheit zu entschlüsseln. Zuerst hiess es, die Normalität werde hergestellt, wenn alle Impfwilligen sich die Spritze haben geben lassen. Danach reichte auch das nicht mehr, Unwillige mussten mit allen Mitteln – kostenpflichtige Tests und behördentreue Musiker – überzeugt werden. Und wenn das durch ist, wird es eben heissen, auch 80, 85 oder 90 Prozent Geimpfte reichen nicht.

Wir hatten noch nie einen so dynamischen Bundesrat wie heute: Die Ziele werden im Tagestakt neu definiert. Das Motto lautet: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?

Natürlich hat die Impfquote nichts mit der Lösung des Problems zu tun. Sonst würde das Impfvorbild Dänemark nun nicht umschwenken und wieder Massnahmen einführen, weil die Fallzahlen zunehmen. Die Geimpften, nur scheinbar «ungefährlich», sorgen dank den Privilegien, die man ihnen schenkt, munter für die Weiterverbreitung des Virus. Die sicherste Variante, der Test, der wirklich belegt, dass man den Virus nicht intus hat, wird in immer mehr Ländern herabgestuft zum Nichts. Ginge es um die Volksgesundheit, würde dieser Wahnsinn abgestellt. Der Test wäre das Mass aller Dinge. Denn nur wer getestet ist, ist «sicher».

Aber das war ja nie das Ziel. Es ging immer um möglichst viele Geimpfte und eine lückenlose Erfassung der Bevölkerung via Zertifikat. Was natürlich niemand so sagt, aber offensichtlich ist.

Bei der Gesamtbetrachtung des Bundes kommt unter anderem wieder die Ostschweiz an diese Kasse. Diese Impfverweigerer, die zu hohen Fallzahlen führen, furchtbar! Nur hat man veritable Mühe, das Horrorszenario aufgrund unseres Landesteils zu belegen. Denn in den Spitälern, insbesondere auf den Intensivstationen, herrscht bei uns tiefste Beschaulichkeit. Nichts geschieht. Schon gar keine Überlastung. Und die soll ja angeblich das Problem sein. Wen interessieren die Fallzahlen, dieses seit Ewigkeiten demontierte Kriterium ohne jede Relevanz?

Man will angeblich das Gesundheitssystem vor dem Implodieren schützen, richtet sich aber nach den Fallzahlen von mehrheitlich symptomlosen, sich bester Gesundheit erfreuenden Leuten. Die Fälle sind das Mass aller Dinge. Obwohl sie weit weg sind von einer Spitalbehandlung. Obwohl sie zu keinen Problemen führen. Wir sprechen nach wie vor von einem Virus, dass über 99 Prozent der Betroffenen weitgehend unbehelligt lässt. Das wissen wir seit Tag 1, wir sprechen nur nicht mehr davon.

Es herrscht die totale Willkür. Wenn nicht eintrifft, was prognostiziert wird, erfindet man einfach eine neue Kategorie, um die Apokalypse zu belegen. Die Impfung ist der «Game changer»? Das war sie, bis sie von der Realität eingeholt wurde. Dass die Impfkönige unter den Nationen neue Höchststände schreiben bei den Fallzahlen, beispielsweise Grossbritannien und Israel, und damit eindrücklich belegen, dass die Impfquote rein gar nichts mit dem Verschwinden des Virus zu tun hat, wird einfach übergangen. Man lässt es in der Schweiz sogar als nette Geste gegenüber der Bevölkerung wirken, dass bis auf Weiteres «nur» 3G gilt und nicht 2G. «Si aui so nett», hätte Franz Hohler dazu gesagt. Nur dass die Nettigkeit nicht auf ewig ist. Nur damit man letzteres dann später einführen kann, nachdem man eine neue Kennziffer erfunden hat, die das Drama belegen soll und eine Verschärfung nötig macht.

Es ist der nackte Irrsinn. In echten Krisen bemüht sich eine Regierung, der Bevölkerung Ruhe zu vermitteln. Denn Panik ist ein Verstärker einer echten Notlage. Wir erinnern uns wehmütig an Winston Churchill. Über seinem Land herrschte das Blitzgewitter von Bomben, und er vermittelte nur eines: Stärke, Zuversicht. Unser Bundesrat hingegen setzt seit bald zwei Jahren alles daran, dass sich niemand auch nur für eine Sekunde entspannen kann. Statt sich darüber zu freuen, dass unsere mageren Intensivstationskapazitäten durchgehend nie an der Grenze angelangt sind, fabuliert man lieber darüber, dass das bald soweit sein wird. Und das natürlich aufgrund der bösen Ungeimpften. Währenddessen sterben in einem Altersheim in Rheintal munter vor allem Geimpfte, aber das liegt natürlich nur daran, dass es von diesen mehr gibt. Nur: Warum sterben sie überhaupt? Wo doch die Impfung schwere Verläufe verhindern soll? Was genau bewirkt diese Impfung eigentlich? Ausser einer netten Statistik für das BAG? Und, vielleicht, möglichen Langzeitfolgen?

Nur sind das natürlich Fragen, die einem der gesunde Menschenverstand einpflanzt, und der ist aktuell nicht besonders gefragt. Alles wird auf das vorab definierte Ziel der Impfquote hingebogen. Es herrscht die totale Willkür. In einer Zeit, in der die Wissenschaft gefragt wäre wie nie zuvor, gewinnt die unwissenschaftliche Darstellung die Oberhand. Nichts von dem, was aktuell verordnet wird, hält der Evidenz stand. Dass wir für den Kaffee am Stammtisch ein Zertifikat benötigen: Es hat noch nie Sinn gemacht. Wir stecken uns nicht an in Restaurants. Das wurde tausendfach belegt. Aber es spielt keine Rolle. Wichtig ist, denen ein Zückerchen zu geben, die brav mitspielen. Dass Horden von Geimpften an Konzerte gehen oder ohne jeden Abstand die Olma besuchen können: Es hat noch nie Sinn gemacht. Diese Leute sind keinen Deut «ungefährlicher» als Ungeimpfte, das belegen mehr als genug Studien. Es geht nur darum, diesen Menschen einen Vorteil zu verschaffen, damit sie die Politik des Bundesrats überzeugt mittragen. Was auch heisst, dass sie ausgespielt werden gegen die Ungeimpften, die ihnen kein Haar krümmen.

Das ist «Teile und herrsche» in Reinkultur. Dem Bundesrat ist es gelungen, in kürzester Zeit zwei Lager zu schaffen, die sich unerbittlich gegenüber stehen. Sie sind derart miteinander beschäftigt, dass sie nicht mal auf die Idee kommen, sich zu fragen, ob sie allenfalls einen gemeinsamen Feind haben: Die Landesregierung.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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