Wir haben die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wer im Falle unserer Urteilunfähigkeit über uns schaltet und waltet. Das Instrument dafür ist der Vorsorgeauftrag. Was steckt dahinter?
Im Jahr 2013 wurde das rund 100-jährige Vormundschaftsrecht vom neuen Erwachsenenschutzrecht abgelöst. Die damit einhergehenden Anpassungen an die heutigen Verhältnisse gingen nicht still vonstatten. Insbesondere die KESB stand wiederholt in der öffentlichen Kritik. Soviel Negatives man schon gelesen haben will, das neue Recht hat massgebend unsere Möglichkeiten zur Selbstbestimmung gestärkt, indem neue Werkzeuge wie der Vorsorgeauftrag und die Patientenverfügung geschaffen wurden. Das Erwachsenenschutzrecht befasst sich mit uns allen und nicht nur mit denjenigen, die nicht mehr oder nur unzureichend für sich selber sorgen können.
Selbst in der Hand
Jede handlungsfähige Person hat die Möglichkeit, in einem Vorsorgeauftrag festzulegen, wer einmal ihre Vermögens- und Personensorge übernehmen soll, falls sie urteilsunfähig wird. Darunter fällt beispielsweise der Entscheid, wann die urteilsunfähige Person ins Altersheim übertritt, die Verwaltung bestehender Konti und Liegenschaften, aber auch die Vertretung im Rechtsverkehr. Wir alle haben es also selbst in der Hand, Anweisungen für den Fall unserer Urteilunfähigkeit zu treffen.
In Punkto Vorsorgeauftrag könnten meine Klienten nicht unterschiedlicher sein. So treffe ich das Ehepaar Mitte 80, das zwar noch voller Vitalität die Schweizer Berge hochklettert, aber aufgrund einschlägiger Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis lieber auf Nummer sicher gehen möchte. Das andere Mal ist es die ledige Frau Ende 40, die keine Angehörigen hat. Oder der Mann Anfang 60, dessen Kinder und Lebenspartnerin nichts davon hören möchten, dass ein Vorsorgefall Realität werden könnte. Seinen Vorsorgeauftrag beurkunde ich schliesslich bereits ein paar Tage später notfallmässig, vor einer unerwarteten Operation im Kantonsspital St.Gallen.
KESB als böser Wolf?
So unterschiedlich diese Menschen sein mögen, beim Beweggrund sind sie sich einig: Sie wollen sich in erster Linie davor schützen, in die Fänge der KESB zu geraten. Manchmal kommt es mir so vor, als ob die KESB der böse Wolf ist, der hinter dem Busch lauert und vor Freude die Zähne fletscht, sobald er ein urteilsunfähiges Huhn wittert, das er rupfen könnte. Natürlich ist dieser Gedanke nicht unberechtigt und bei vielen tatsächlich ein ausschlaggebender Faktor, der für die handschriftliche Abfassung oder den Gang zum Notaren zur öffentlichen Beurkundung eines Vorsorgeauftrages spricht. Dagegen gibt es absolut nichts einzuwenden. Bevor man aber einfach mal schnell jemanden als Vorsorgebeauftragten einsetzt, um dem bösen Wolf zu entkommen, ist es sinnvoll und wichtig, den Vorsorgeauftrag von einer anderen Seite zu betrachten.
Der Vorsorgeauftrag widerspiegelt ein Bedürfnis, das aufgrund des Älterwerdens und dem Wandel der Gesellschaft entstanden ist. Früher war es Dreh- und Angelpunkt, sich darüber Gedanken zu machen, was mit seinem Hab und Gut nach dem eigenen Hinschied passieren sollte und allenfalls ein Testament abzufassen. Es ist zwar etwas Schönes, in einem Testament akribisch für die Nachwelt zu regeln, was mit dem eigenen Nachlass geschehen soll. Pragmatisch gesehen, kann das einem aber egal sein. Man ist ja dann schliesslich nicht mehr. Heute gibt es daneben weitere wichtige Fragen, die man für sich beantworten sollte – und zwar solche die noch die eigene Lebenszeit betreffen.
Wichtige Fragen klären
Tritt ein unerwarteter Unfall oder eine schwere Krankheit ein, welche die Urteilsunfähigkeit zur Folge haben, geht es in erster Linie um das eigene persönliche Wohlergehen. Man ist dann eben nach wie vor am Leben und möchte dieses weiterhin möglichst nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen führen. Daher sollte man sich vor Abfassung eines Vorsorgeauftrages Fragen widmen wie «Welcher Person respektive welchen Personen kann ich die Bestimmung über mein Leben, die Verwaltung meines Vermögens und meine Vertretung uneingeschränkt und ohne Bedenken anvertrauen?» - «Ist die vorgesehene Person geeignet und fähig, den Vorsorgeauftrag überhaupt zu erfüllen?». Bereits der Entscheid, ob verschiedene Beauftragte für die Personen- und Vermögenssorge eingesetzt werden oder nur eine Person für alle Bereiche, kann entscheidend sein. Zudem ist es wichtig, vorab des Gespräch mit denjenigen Personen zu suchen, welche im Vorsorgefall eingesetzt werden sollen. Manchmal fühlt sich die gewünschte Person gar nicht imstande, einen solchen Auftrag zu erfüllen.
Nach der eingehenden Besprechung der Wünsche und Vorstellungen eines Klienten ist das Resultat oft ein anderes als ursprünglich vorgesehen. So kommt das Ehepaar Mitte 80 zum Schluss, dass die Einsetzung ihrer Kinder als Vorsorgebeauftragte, und zwar ersatzweise nach dem Altersprinzip, wenig Sinn macht. Gibt es doch eine Tochter, die besonders für diese Aufgabe aufgrund ihrer Kompetenzen in Frage kommt. Die ledige Frau Ende 40 entscheidet sich gegen die ursprünglich vorgesehene Einsetzung ihrer besten Freundin als einzige beauftragte Person und möchte nach längerem Hinterfragen doch lieber, dass ihr Treuhänder den Bereich der Vermögenssorge übernehmen soll. Und zu guter Letzt begreifen die Angehörigen des Mannes Anfang 60, wie schnell es gehen kann. Sehr schnell!
Entscheiden, solange wir können
Wir haben die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wer im Falle unserer Urteilunfähigkeit über uns schaltet und waltet. Die Entscheidung, wer das ist, sollte wohl überlegt sein. Andernfalls könnte es doch die bessere Variante sein, uns vom bösen Wolf rupfen zu lassen. Vielleicht ist das auch weniger schlimm als angenommen. Wer weiss. Die Entscheidung treffen, ob wir jemanden einsetzen wollen oder nicht, sollten wir aber, solange wir noch können.
Gloria Schöbi (*1987) ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Bartl Egli & Partner in Heerbrugg und Au. Sie ist zudem Gemeinderätin (FDP) der Politischen Gemeinde Au und Vorstandsmitglied der FDP Frauen des Kantons St.Gallen.
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