Unpraktisch, nervig, kann somit weg. Oder eben gerade nicht: Die Verschlüsse können nicht mehr von den PET-Flaschen losgelöst werden. So will es das Gesetz. Was bedeutet die Umstellung für die Herstellung? Überraschende Antworten von Corvaglia-CEO Michael Krüger.
Micheal Krüger, Hand aufs Herz: Wie sehr nervt es Sie als Konsument, wenn der Verschluss an der PET-Flasche bleibt?
(Lacht) Ich nerve mich eigentlich fast nie über Alltagssituationen. Bei den Verschlüssen ist aber klar, dass wir diese anders anfassen als ein ‘normaler’ Konsument, weil es unser tägliches Kerngeschäft ist.
Sie hatten also keine Rückmeldungen von Konsumenten, die sich über die Änderung ärgern?
Nein, die gehen wohl direkt an die jeweiligen Markeninhaber, nicht an uns Produzenten. Grundsätzlich bedeutet jede Änderung an einem Alltagsgegenstand erst einmal eine Herausforderung. Die Konsumenten verstehen im ersten Moment nicht, weshalb die Umstellung nötig ist, und können es dadurch negativ wahrnehmen. Wir hatten damals vor der EU-Kommission unsere Bedenken geäussert, bevor die Neuerung beschlossen wurde. Es war aber relativ schnell klar, dass unsere Äusserungen dem Gesetzgeber egal waren.
Das heisst, mit den jetzigen Reaktionen war zu rechnen?
Natürlich. Hauptsächlich wurde die Änderung ja aus Gründen der Nachhaltigkeit eingeführt, um Littering zu reduzieren. Nur stellt sich da die Frage, wie gross der Effekt für die Umwelt schlussendlich ist, wenn der Verschluss nicht mehr abgenommen werden kann. Ist es nachhaltiger, wenn die Flasche samt Verschluss weggeschmissen wird? Die Umstellung bedeutet also nicht zwingend eine riesige Verbesserung für die Umwelt.
Die Situation würde sich im Gegenteil noch weiter verschlechtern.
Genau. Ausserdem hatten wir anfangs die Befürchtung, dass die zusätzliche Funktion zu mehr Kunststoffverbrauch führen könnte, weil wir mehr Material dafür aufwenden müssen. Und genau das wollten wir ja eigentlich vermeiden.
Hat sich das mittlerweile bestätigt?
Nein. Wir haben Lösungen gefunden, angebundene Verschlüsse so zu entwerfen, dass kein zusätzliches Material benötigt wird. Der andere Aspekt, der die Frage aufwirft, ob die Änderung wirklich hilfreich für die Umwelt ist, sehen wir aber immer noch kritisch. Es gibt zwar keine Studie, ob nun weniger Deckel im Gebüsch, auf der Strasse oder im Wald liegen bleiben. Dass Menschen weniger Abfall liegen lassen, nur weil der Deckel nicht mehr weggenommen werden kann, ist aber weiterhin fraglich. Auch, dass die Umstellung für die Konsumenten nicht sonderlich annehmlich ist, hat sich bestätigt. Im Vorfeld gab es auch erstaunlich wenig Kommunikation darüber, dass überhaupt eine Umstellung erfolgen wird.
Sie produzieren in Eschlikon, aber auch an anderen Standorten in der Welt. Wie gross waren die Herausforderungen für die gesamte Umstellung?
Sehr gross. Wir produzieren am Standort in Eschlikon zu 95 Prozent Verschlüsse für die EU. Das heisst: Wir mussten nahezu alle Produkte, die wir hier am Standort hergestellt haben, ersetzen. Das war ein riesiger Investitionsbedarf – ohne, dass dadurch mehr Umsatz generiert wurde.
Können Sie Zahlen nennen?
Es gibt eine Studie , die zum Schluss gekommen ist, dass die Umstellung europaweit bis zu fünf Milliarden Franken kosten wird. Aus unserem Unternehmen möchten wir keine Zahlen nennen.
Die Freude über die Umstellung hielt sich also in Grenzen bei Ihnen.
Zunächst schon. Dazu kam der enge zeitliche Rahmen, der uns für die Umstellung gesetzt wurde. Zwischen der Erlangung von Rechtssicherheit, was die neuen Anforderungen für die Produkte genau bedeuten, und dem Stichtag an dem alle Produkte den Anforderungen genügen müssen, lagen nur etwa eineinhalb Jahre. In dieser Zeit mussten über eintausend Abfüllanlagen in Europa auf die neuen Produkte umgestellt werden. Es war eine sehr hektische und anstrengende Zeit.
Hat sich inzwischen alles eingependelt?
Ja, das kann man so sagen. Wir haben Verschlüsse entwickelt, die sehr gut akzeptiert werden. Wir wussten gleich bei Ankündigung der Richtlinie, dass dies ein Thema sein wird, das nicht mehr weggehen wird und hatten seinerzeit sofort mit der Entwicklung losgelegt. Nun dürfen wir behaupten, Lösungen gefunden zu haben, die besser als diejenigen der Konkurrenz funktionieren.
Weshalb?
Wir haben uns für Scharnierverschlüsse entschieden, und sind damit sehr gut gefahren. Sie werden gut von den Konsumenten akzeptiert, weil sie sich intuitiv öffnen lassen und in der geöffneten Position einrasten. Ausserdem haben wir angebundene Verschlüsse entwickelt, die auf den Abfüllanlange 100% kompatibel zu herkömmlichen Verschlüssen sind, also keine Umbaukosten verursachen.
Rückblickend gesehen war die Umstellung also nicht so negativ wie anfangs gedacht?
Nein. Im Gegenteil. Vom ökonomischen Standpunkt her hat sie uns mehr geholfen als geschadet. Wir mussten zwar anfangs sehr viel Geld investieren. Nun ist es aber gut möglich, dass künftig weitere Regionen mit der Umstellung nachziehen. Ab Juli 2024 ist der feste Verschluss für Getränke in Einweggebinden mit einem Kunststoffanteil gemäss der EU-Richtlinie Pflicht.
Das heisst, Sie könnten weiter expandieren?
Genau, wir hoffen darauf, dass auch andere Regionen der Welt nachziehen. Gut möglich, dass sich ein gewisser Dominoeffekt einstellen wird.
Salopp gesagt: Der anfängliche Fluch könnte sich als Segen erweisen?
Man darf nicht vergessen, dass unsere Entwicklungsabteilung zwei Jahre lang mit fast nichts anderem beschäftigt war. Unsere Kapazität war also stark auf dieses eine Thema angebunden. Mit unserer Lösung könnten wir jedoch eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn andere Regionen nun nachziehen.
Sie sind inzwischen vom Nutzen überzeugt?
Ökonomisch gesehen: ja. Was der ökologische Nutzen betrifft, habe ich nach wie vor viele Fragezeigen. Ich denke, mit fünf Milliarden Franken hätte es sinnvollere Sachen für den Umweltschutz gegeben, die man hätte machen können.
Über Corvaglia
Corvaglia bietet innovative Verschlusslösungen für PET-Flaschen und hat damit weltweit Massstäbe gesetzt. Innerhalb von mehr als drei Jahrzehnten ist mit zahlreichen Mitarbeitenden, drei Standorten, darunter einer in Eschlikon, und einem internationalen Partnernetzwerk eine Firmengruppe entstanden, die heute namhafte, multinationale Grosskonzerne zu ihren Kunden zählt. Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass das Unternehmen den Thurgauer Wirtschaftspreis 2024 erhält.
(Bild: PD)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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