Aufgrund ihrer Grösse verfügen Coop und Migros sowohl auf dem Absatzmarkt wie auf dem Beschaffungsmarkt über eine erhebliche Preissetzungsmacht. Die Folge davon: Produzenten - zum Beispiel Bauern - erhalten zu tiefe Preise für ihrer Produkte, Konsumenten zahlen zu viel.
Diesem Missstand hat ein neuer Verein den Kampf angesagt, der sich letzte Woche mit viel Brimborium den Medien präsentierte. Er nennt sich "Faire Märkte Schweiz" (FMS). Um den Bauern bessere Preise zu ermöglichen, unterhält er eine Meldestelle, bei der sich Bauern - auch anonym - beschweren können.
Doch die Hilfe beschränkt sich offenbar nicht bloss auf die Bauern. So berichtete der Tages-Anzeiger: "Er will auch die Konsumenten vor überrissenen Preisen schützen." Und auf der Homepage des Vereins wird als Ziel proklamiert: "Der Verein will eine Preisbildung erreichen, in der sowohl überhöhte Konsumentenpreise vermieden, als auch Produzentenpreise bezahlt werden, die […] ein existenzsicherndes und nachhaltiges Wirtschaften mit einem angemessenen Einkommen ermöglichen."
Mehr Geld für die Bauern, billigere Preise für die Konsumenten - zu schön, um wahr zu sein! Der Verein FMS sucht offensichtlich die eierlegende Wollmilchsau. Doch wer soll das bezahlen?
Fakt ist: Die Gewinne von Migros und Coop sind nicht gross genug, um damit signifikante Preiserhöhungen für Produzenten und Preissenkungen für Konsumenten zu finanzieren. Die sowieso schon kargen Löhne im Detailhandel zu senken, geht auch nicht. Wer soll also bezahlen?
Rückfrage bei Mathias Binswanger, Vizepräsident des Vereins und Ökonomieprofessor. Er schreibt: "Aufgrund ihrer Marktmacht können Migros und Coop bei Bioprodukten relativ hohe Preise verlangen. […] Deshalb stagniert der Marktanteil von Bio bei vielen Produkten. […] Es ginge also darum, die Margen und damit die Preise bei Bio zu senken, was auch damit einhergehen könnte, dass die Preise für konventionelle Produkte etwas ansteigen (vor allem weniger Aktionen)."
Aktionen sind ein Mittel der Preisdifferenzierung, deshalb haben sie bei Ökonomen allgemein keinen guten Ruf - Prof. Binswanger ist hier keine Ausnahme. Grundsätzlich geht es dabei um folgendes: Ein Detailhändler würde von einem Kunden mit hoher Zahlungsbereitschaft - aus offensichtlichen Gründen - am liebsten einen hohen Preis fordern. Damit vertreibt er aber Kunden mit tieferer Zahlungsbereitschaft - oftmals Kunden, welche in schlechteren finanziellen Verhältnissen leben.
Um diese dennoch als Kunden zu behalten, offeriert ihnen der Detailhändler Aktionen. Diese sind jedoch oft mit einer gewissen Mühsal verbunden: So muss man, um in deren Genuss zu kommen, die sogenannten "Schweinebauchinserate" in der Zeitung studieren oder ein ganzes Bündel von Gutscheinen mit sich tragen. Wer genug Geld hat, tut sich diese Mühsal nicht an - und zahlt eben den normalen Preis. Wer sich den normalen Preis nicht leisten kann, nimmt hingegen den Zusatzaufwand auf sich und kommt so doch noch zu seinem Produkt.
Aus ökonomischer Sicht ist ein solcher Aufwand natürlich pure Verschwendung. Deshalb lehnen Ökonomen solche Aktionen auch ab. Dies wischt aber die Tatsache aber nicht vom Tisch, dass der Verein "Faire Märkte Schweiz" sich zwar gegen "überhöhte Preise" ausspricht - aber offensichtlich nichts gegen Preiserhöhungen von Gütern hat, deren Preis er als nicht "überhöht" einstuft. Profitieren sollen in der Realität also vor allem Bio-Kunden. Das könnte man doch auch direkt so sagen.
Schaut man sich auf der Webseite des Vereins genauer um, so tönt es dort etwas verklausuliert: "Wir fördern den Wandel hin zu nachhaltigen und tiergerechten Ernährungssystemen, in denen die Konkurrenzfähigkeit zukunftstauglicher Produkte ansteigt, die Preise vermehrt nach den effektiven Kosten leistungsfähiger Betriebe kalkuliert werden (Kostenwahrheit inkl. Kosten Ökologie, Tierwohl) und das Wohlergehen von Mensch, Tier und Umwelt gefördert wird."
Zukunftstaugliche Produkte - auch das tönt gut. Wer an solche denkt, dem kommen wohl zuerst die pflanzenbasierten Fleisch- und Milchersatzprodukte in den Sinn, welche in immer grösserer Zahl in die Regale der Grossverteiler drängen. Diese sind heute so prominent platziert, dass Analphabeten unter der Kundschaft - auch davon gibt es mehr als man denkt - nicht selten unbeabsichtigt mit pflanzlicher Butter oder pflanzlichem Hack-"Fleisch" nach Hause kommen. Die Zeiten, als man "vegan" weit oben im Gestell suchen musste, sind definitiv vorbei.
Warum also nicht gleich auf pflanzliche Ersatzprodukten anstatt auf Label-Fleisch setzen? Diese wären wohl noch zukunftsweisender. Dazu meint der Präsident des Vereins, Dr. Stefan Flückiger: "Wir sind keine Tierrechtsorganisation und lehnen den Fleischkonsum nicht komplett ab." Dafür unterstütze man den Grundsatz: "Weniger Fleisch, dafür aus tiergerechter Haltung. Das ist besser für Mensch, Tier und Umwelt."
Fazit: Der Verein "Faire Märkte Schweiz" weist mehr als nur ein paar Elemente einer Mogelpackung auf. Unbestritten setzt er sich für mehr Fairness auf dem Produzentenmarkt ein - dass Bauern eine bessere Bezahlung für ihre Produkte erhalten, ist tatsächlich nichts ans angemessen.
Anders sieht es hingegen auf dem Konsumentenmarkt aus: Hier sollen vor allem Bio-Produkte und Label-Fleisch billiger werden - der Verein sagt uns dies aber nicht direkt. Dass dafür ein Preisanstieg konventionell produzierter Produkte in Kauf zu nehmen ist, finden viele Konsumenten wohl kaum fair. Vor allem nicht vom einer Organisation, welche sich angeblich den Kampf gegen überhöhte Preise auf die Fahne geschrieben hat.
Übrigens: Nicht bloss Bio-Würste kosten mehr als konventionell produzierte - sondern auch vegane. Daran scheint sich der Verein "Faire Märkte Schweiz" aber nicht zu stören.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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