Es gibt Stimmen in der Coronadebatte, die überaus klug, überlegt und verständlich die Situation erklären und Schlüsse ziehen. Leider schaffen sie es selten über ihr «Lager» hinaus. Ein solcher ist der deutsche Philosoph Gunnar Kaiser. Eine Würdigung.
Wer schon prominent ist, der spricht sich - mit wenigen Ausnahmen - nicht kritisch gegenüber der Bewältigung der Coronalage aus. Und Menschen, die das tun, werden selten prominent. Eher berüchtigt. Die Kulturszene ist die grosse Schweigerin in der Debatte und versteckt sich oft genug hinter der Behauptung, das sei nicht ihre Aufgabe. Aber es ist definitiv die Aufgabe der Leute, die das Denken, das Vordenken, zu ihrem Beruf gemacht haben. Die Philosophen beispielsweise.
Der Populärphilosoph Richard David Precht hat in seiner Vergangenheit viele kluge Gedanken formuliert, oft in recht umstürzlerischer Art. Spricht er über das Wesen unserer Schulen, merkt man, dass er in der Bildung keinen Stein auf dem anderen lassen möchte. Er vermittelt mit sanfter Stimme einen Touch Revoluzzertum. Geht es um Corona, ist Precht plötzlich braver Bürger in Reinkultur. Er lässt sich über Andersdenkende aus und propagiert das reine Anpassertum.
Nun ist es so, dass Richard David Precht in Talkshows herumgereicht wird wie eine Mass Bier am Oktoberfest. Viele im deutschsprachigen Raum glauben vermutlich, er sei der einzige Philosoph - oder der einzige mit Sprechbewilligung. Dabei gibt es in seiner Profession durchaus auch Leute, die selbst in der grössten Krise noch das tun, was man von ihnen erwarten darf: Die Dinge in Frage zu stellen.
Das aktuell beste Beispiel ist Gunnar Kaiser. Der ist Philosoph und Schriftsteller und betreibt seit 2016 unter «KaiserTV» einen Youtube-Kanal, der bis Corona eher einer schmalen Gruppe von Leuten bekannt war. Seit Monaten schreibt und spricht Kaiser nun aber gegen Massnahmen, gegen den Verlust von Freiheit und Bürgerrechten, gegen blinden Gehorsam wider jede Evidenz an. Er ist zur Stimme für viele Leute geworden, die früher kaum Lust hatten, sich einem philosophischen Werk zuzuwenden. Denn so überlegt Kaisers Gedanken sind, er formuliert sie allgemein verständlich.
Zum Beispiel, wenn er über den Angriff auf die Demokratie spricht:
Seine grösste Qualität ist das Durchbrechen des Hinnehmens. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen derzeit die Umgekehrung von allem, was bisher Gültigkeit hatte, klaglos akzeptieren, ohne es zu hinterfragen. Dazu reichte ein Schreckensszenario, das nicht eingetroffen ist, aber munter in immer neuen Variationen weitergesponnen wird. Ein wahrhaft fragiles Konstrukt, unsere Gesellschaft. 2020 wurde fast alles auf den Kopf gestellt, was uns wichtig war und was für uns wichtig war:
Für diese Haltung bezahlt Gunnar Kaiser einen Preis, wie viele andere. Im Dezember 2020 war er als Moderator einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung vorgesehen. Die Stiftung steht der deutschen FDP nahe. Kaiser wurde nach einer «Überprüfung» ausgeladen. Denn dieser, so die Begründung, «vertrete Verschwörungstheorien, die zum Gedankengut des Rechtspopulismus gehören».
Dieser Fall der «Cancel Culture», die aktuell um sich greift, rief viele Stimmen auf den Plan. Darunter viele verwunderte. Gunnar Kaiser ist ein scharf formulierender Denker mit einer radikal-liberalen Haltung. Rechte Positionen, jedenfalls in dem Sinn, in dem sie einst mal verstanden wurden, sucht man bei ihm vergeblich. Und wenn es populistisch ist, die Politik von Regierungen zu kritisieren und ihre Behauptungen zu widerlegen, ist Populismus wohl eine Qualitätsmarke.
Kaiser tut das, was ein Philosoph tun sollte: Er denkt darüber nach, was das, was passiert, mit unserer Gesellschaft macht. Dabei beobachtet er beunruhigende Tendenzen, die in einem wahnwitzigen Tempo vorwärts schreiten:
Voraussetzung dafür, dass Kaiser und andere offen denken und sprechen und so möglicherweise einen Beitrag zur Rettung dessen, was wir einst hatten, leisten, ist die Meinungsfreiheit. Diese, so sagen uns viele, sei keineswegs in Gefahr. Immerhin landet bei uns niemand im Gefängnis, nur weil er sagt, was er denkt. Aber wenn man schon Vergleiche mit Militärdiktaturen anstellen muss, um zu belegen, wir hätten Meinungsfreiheit, lässt das tief blicken. Tatsache ist, dass Leute wie Gunnar Kaiser marginalisiert werden, indem sie von immer mehr Veranstaltern ausgesperrt werden. Oder indem ihre Bücher aus Verlagsprogrammen verschwinden. Oder indem ihre Zeitungskolumnen gestrichen werden. Sie sind gezwungen, eigene Kanäle zu eröffnen, aber inzwischen reicht auch auf Youtube ein falsches Wort, um von dort zu verschwinden.
Zusammen mit anderen hat Kaiser daher einen Appell für freie Debatten gestartet. Der wurde inzwischen von über 18'000 Menschen gesprochen. Eine schöne Zahl, aber weit kleiner als die Zahl derer, die sich nicht daran stören, dass Debatten nur noch ohne kritische, störende Elemente geführt werden sollen.
Aber am besten ist Kaiser immer dann, wenn er nicht nur theoretisch ausführt, sondern den herrschenden Widersinn sarkastisch adressiert. 125'000 Menschen sahen ihm auf Youtube zu, wie er sich selbst kasteite, weil er so furchtbar unvernünftig gehandelt hatte mitten in der Apokalypse. Das Zückerchen zum Schluss:
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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